Karl Blecha zieht zu seinem 85. Geburtstag kritisch Bilanz der aktuellen Politik.
Karl Blecha feiert heute seinen 85. Geburtstag. Nach fast 19 Jahren geht das rote Urgestein als Präsident des SPÖ-nahen Pensionistenverbands am Vormittag in Pension.
Sie haben die Politik in Österreich seit den 70er-Jahren entscheidend mitgeprägt. Wie hat sich die Politik verändert? Ist sie oberflächlicher oder professionell geworden? Sind die Herausforderungen durch die Globalisierung größer geworden? KARL BLECHA: Unsere Gesellschaft hat sich durch die Digitalisierung radikal verändert. Heute wird die Arbeitszeit von einem beträchtlichen Teil der Menschen selbst bestimmt. Auch der Arbeitsplatz wird nicht mehr vorgegeben, sondern muss selbst vom Arbeitnehmer angeboten werden. Was sich nicht verändert hat, sind die Herausforderungen für eine politische Organisation.
Was ist die konkrete Herausforderung? Dass der Kuchen, den es zu verteilen gab, damals größer war als heute?
Damals war es leichter, die Menschen zu organisieren, ihre Kräfte zu bündeln. Durch die Individualisierung macht jeder, was er will.
Ist das nicht von Vorteil? Durchaus, nur hat auch die Schutzlosigkeit zugenommen. Früher hat der Arbeitnehmer gewusst, dass für ihn die Gewerkschaft eine Schutzmacht darstellt.
Na ja, bei der Verstaatlichten ist
dann auch der Moment gekommen, wo man die Arbeitsplätze nicht mehr garantieren konnte – Schutzmachtrolle hin oder her. Das ist aus meiner Sicht eine Fehleinschätzung gewesen, dass die Politik Arbeitsplätze in geschützten Sparten zu garantieren hat. Als Politiker habe ich alle Arbeitnehmer zu vertreten – und nicht nur eine kleine Gruppe, die in einem geschützten Bereich tätig ist.
Die Verstaatlichte als geschützter Bereich – das habe ich noch nie aus dem Mund eines SPÖ-Politikers vernommen.
Im Vergleich zu allen Beschäftigten war die Verstaatlichte Industrie ein kleiner, überschaubarer Bereich. Von drei Millionen Arbeitnehmern haben, wenn ich alles zusammenzähle, 210.000 in der Verstaatlichten gearbeitet.
Das waren die roten Hochburgen Kapfenberg, Donawitz, Linz. Das schon. Das stimmt.
Die durch die Globalisierung unter die Räder gekommen sind. Wir haben die Herausforderungen der Globalisierung zu spät erkannt. Das war damals ein Fehler. Die Globalisierung ist natürlich ein europäisches Problem, sie kann nicht nationalstaatlich gelöst werden.
Was ist Ihre Antwort darauf? Die Antworten auf diese Herausforderungen ist die europäische Sozialdemokratie für große Teile der Bevölkerung schuldig geblieben. Meiner Ansicht nach bedarf es hier einer Bündelung der Forschung, der Wissenschaft, des Know-hows im Rahmen einer europäischen Strategie. Abschottung ist das falsche Konzept.
In den roten Hochburgen hat die FPÖ davon profitiert?
Die FPÖ hat nur durch die Frustration, die große Teile der Belegschaften ergriffen hat, profitiert. Die Freiheitlichen haben keine eigenen Konzepte.
Sprung in die Gegenwart: Warum hat die SPÖ den Kanzler verloren? Wegen der Migration? Kurz hat nicht wegen der Migrationsfrage gewonnen. Es war der Wunsch nach einer Veränderung, der bei so vielen Österreichern stark ausgeprägt war. Man wollte ganz einfach das alte System überwinden. Kurz hat das sehr geschickt auf einen Nenner gebracht.
In der Flüchtlingskrise war die SPÖ widersprüchlich. Einmal war man für die Schließung der Mittelmeerroute, dann war sie ein „Vollholler“.
Man hat falsch reagiert, indem man gesagt hat, das ist ein Schmäh. Das darf man in einer politischen Diskussion nicht tun, weil die Leute Angst haben. Die müssen den „Vollholler“selber begreifen können.
Nach der Wahl gab es in der SPÖ eine kurze Debatte, ob man mit der FPÖ koalieren soll. Wären Sie dafür gewesen? Man darf sich eine Option nicht aus der Hand nehmen lassen. Andererseits ist die FPÖ immer noch im alten Geist verhaftet. Die Freiheitlichen räumen viel zu wenig in ihren eigenen Reihen auf, betreiben einen Ahnenkult und frönen der Deutschtümelei. Das geht als demokratische Partei nicht.
Aber mit Friedrich Peter, dem FPÖ-Parteichef, der sich freiwillig zur Waffen-SS gemeldet hatte, hat die SPÖ unter Bruno Kreisky auch paktiert.
Peter hat glaubhaft die Veränderung darstellen können. Er kam aus der roten Jugend und ist durch den Austrofaschismus in die braune Illegalität abgedrängt worden, wie viele andere in Westösterreich. In Ostösterreich ist man zur KP gegangen.
Grasser steht vor Gericht. Sie waren in die Causa Lucona und Noricum involviert. Wie sehen Sie die Sache rückblickend? Darüber denke ich nicht nach, das ist abgehakt.
Es geht um die politische Moral. Hatte man nicht früher einen schlampigeren Zugang? Ich glaube nicht, dass es schlampiger war. Das ist ein Thema, das mich nicht beschäftigt.