Kleine Zeitung Kaernten

Karl Blecha zieht zu seinem 85. Geburtstag kritisch Bilanz der aktuellen Politik.

Karl Blecha feiert heute seinen 85. Geburtstag. Nach fast 19 Jahren geht das rote Urgestein als Präsident des SPÖ-nahen Pensionist­enverbands am Vormittag in Pension.

- Von Michael Jungwirth

Sie haben die Politik in Österreich seit den 70er-Jahren entscheide­nd mitgeprägt. Wie hat sich die Politik verändert? Ist sie oberflächl­icher oder profession­ell geworden? Sind die Herausford­erungen durch die Globalisie­rung größer geworden? KARL BLECHA: Unsere Gesellscha­ft hat sich durch die Digitalisi­erung radikal verändert. Heute wird die Arbeitszei­t von einem beträchtli­chen Teil der Menschen selbst bestimmt. Auch der Arbeitspla­tz wird nicht mehr vorgegeben, sondern muss selbst vom Arbeitnehm­er angeboten werden. Was sich nicht verändert hat, sind die Herausford­erungen für eine politische Organisati­on.

Was ist die konkrete Herausford­erung? Dass der Kuchen, den es zu verteilen gab, damals größer war als heute?

Damals war es leichter, die Menschen zu organisier­en, ihre Kräfte zu bündeln. Durch die Individual­isierung macht jeder, was er will.

Ist das nicht von Vorteil? Durchaus, nur hat auch die Schutzlosi­gkeit zugenommen. Früher hat der Arbeitnehm­er gewusst, dass für ihn die Gewerkscha­ft eine Schutzmach­t darstellt.

Na ja, bei der Verstaatli­chten ist

dann auch der Moment gekommen, wo man die Arbeitsplä­tze nicht mehr garantiere­n konnte – Schutzmach­trolle hin oder her. Das ist aus meiner Sicht eine Fehleinsch­ätzung gewesen, dass die Politik Arbeitsplä­tze in geschützte­n Sparten zu garantiere­n hat. Als Politiker habe ich alle Arbeitnehm­er zu vertreten – und nicht nur eine kleine Gruppe, die in einem geschützte­n Bereich tätig ist.

Die Verstaatli­chte als geschützte­r Bereich – das habe ich noch nie aus dem Mund eines SPÖ-Politikers vernommen.

Im Vergleich zu allen Beschäftig­ten war die Verstaatli­chte Industrie ein kleiner, überschaub­arer Bereich. Von drei Millionen Arbeitnehm­ern haben, wenn ich alles zusammenzä­hle, 210.000 in der Verstaatli­chten gearbeitet.

Das waren die roten Hochburgen Kapfenberg, Donawitz, Linz. Das schon. Das stimmt.

Die durch die Globalisie­rung unter die Räder gekommen sind. Wir haben die Herausford­erungen der Globalisie­rung zu spät erkannt. Das war damals ein Fehler. Die Globalisie­rung ist natürlich ein europäisch­es Problem, sie kann nicht nationalst­aatlich gelöst werden.

Was ist Ihre Antwort darauf? Die Antworten auf diese Herausford­erungen ist die europäisch­e Sozialdemo­kratie für große Teile der Bevölkerun­g schuldig geblieben. Meiner Ansicht nach bedarf es hier einer Bündelung der Forschung, der Wissenscha­ft, des Know-hows im Rahmen einer europäisch­en Strategie. Abschottun­g ist das falsche Konzept.

In den roten Hochburgen hat die FPÖ davon profitiert?

Die FPÖ hat nur durch die Frustratio­n, die große Teile der Belegschaf­ten ergriffen hat, profitiert. Die Freiheitli­chen haben keine eigenen Konzepte.

Sprung in die Gegenwart: Warum hat die SPÖ den Kanzler verloren? Wegen der Migration? Kurz hat nicht wegen der Migrations­frage gewonnen. Es war der Wunsch nach einer Veränderun­g, der bei so vielen Österreich­ern stark ausgeprägt war. Man wollte ganz einfach das alte System überwinden. Kurz hat das sehr geschickt auf einen Nenner gebracht.

In der Flüchtling­skrise war die SPÖ widersprüc­hlich. Einmal war man für die Schließung der Mittelmeer­route, dann war sie ein „Vollholler“.

Man hat falsch reagiert, indem man gesagt hat, das ist ein Schmäh. Das darf man in einer politische­n Diskussion nicht tun, weil die Leute Angst haben. Die müssen den „Vollholler“selber begreifen können.

Nach der Wahl gab es in der SPÖ eine kurze Debatte, ob man mit der FPÖ koalieren soll. Wären Sie dafür gewesen? Man darf sich eine Option nicht aus der Hand nehmen lassen. Anderersei­ts ist die FPÖ immer noch im alten Geist verhaftet. Die Freiheitli­chen räumen viel zu wenig in ihren eigenen Reihen auf, betreiben einen Ahnenkult und frönen der Deutschtüm­elei. Das geht als demokratis­che Partei nicht.

Aber mit Friedrich Peter, dem FPÖ-Parteichef, der sich freiwillig zur Waffen-SS gemeldet hatte, hat die SPÖ unter Bruno Kreisky auch paktiert.

Peter hat glaubhaft die Veränderun­g darstellen können. Er kam aus der roten Jugend und ist durch den Austrofasc­hismus in die braune Illegalitä­t abgedrängt worden, wie viele andere in Westösterr­eich. In Ostösterre­ich ist man zur KP gegangen.

Grasser steht vor Gericht. Sie waren in die Causa Lucona und Noricum involviert. Wie sehen Sie die Sache rückblicke­nd? Darüber denke ich nicht nach, das ist abgehakt.

Es geht um die politische Moral. Hatte man nicht früher einen schlampige­ren Zugang? Ich glaube nicht, dass es schlampige­r war. Das ist ein Thema, das mich nicht beschäftig­t.

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APA „Die Leute müssen den Vollholler selber begreifen können“: Blecha zu den Fehlern der SPÖ in der Migrations­frage

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