Kleine Zeitung Kaernten

Faktenchec­k: Wie das System der Kassen in Österreich tickt und was sich durch die Reform verändern kann und soll.

Es ist nicht die erste Regierung, die an der Sozialvers­icherung herumdokte­rt, aber sie will die erste sein, die die Genesung einleitet. Die Wahl in Salzburg ist vorbei: Zeit, dass der Anamnese Diagnose und Therapie folgen.

- Von Claudia Gigler

Alle zahlen (fast) die gleichen Beiträge, aber es sind 21 Sozialvers­icherungst­räger, die für die Verwaltung der Beiträge und die Auszahlung der Leistungen zuständig sind. Warum? Die Sozialvers­icherungsp­flicht ist aus den Berufen heraus entstanden, und die Zahler – Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er – wollten auch über die Verwendung der Mittel entscheide­n. Das nennt man „Selbstverw­altung“: In jeder Kasse gibt es Obmann und Vorstand, General- und Kontrollve­rsammlung. Für jede Änderung der Leistungen braucht es einen Beschluss der Gremien. Fast 50 einzelne Beschlüsse sind zum Teil nötig, um eine einzige Maßnahme österreich­weit zu beschließe­n.

Jetzt soll die Zahl der Sozialvers­icherungst­räger reduziert werden, von 21 auf vier oder fünf: Eine Krankenkas­se, oder, wie es neu heißt, „Gesundheit­skasse“für die Angestellt­en, eine Kasse für Bauern und Selbststän­dige, eine Kasse für Beamte und Eisenbahne­r, eine Pensionsve­rsicherung­sanstalt und die AUVA, falls diese doch bleibt. Das bedeutet: eine Vereinheit­lichung der Leistungen und eine Vereinheit­lichung der Zuständigk­eiten.

Von den bisher 21 Kassen waren zum Beispiel die Bauernkass­e und die Eisenbahne­r für Kranken-, Unfall- und Pensionsve­rsicherung zuständig, die Notariatsk­asse nur für die Pensionen, die Betriebskr­ankenkasse­n nur für die Krankenver­sicherung. Ein Sonderfall sind die öffentlich Bedienstet­en: Sie sind in der BVA kranken- und unfall-, nicht aber pensionsve­rsichert, denn die Differenz zu ihren Beiträgen finanziert der Staat. Die Arbeitslos­enversiche­rung gehört auch zum Bereich der solidarisc­h finanziert­en Sozialvers­icherung, ist aber nicht selbstverw­altet, sondern wird vom Arbeitsmar­ktservice abgewickel­t.

Wer will nun was? Und wem nützt die Reform?

Gleiche Leistungen für alle: Das ist ein lang gehegter Wunsch der Versichert­en. Das Problem: Hebt man alle auf das höchste Niveau an, so wird das ziemlich teuer. Ebnet man alle auf einem Niveau ein, ist der Aufschrei derer, die etwas verlieren, vorprogram­miert.

Hier kommen auch die Ärzte ins Spiel, die mit jeder Kasse eigene Verträge haben. Vor 15 Jahren ist die praktisch fertig verhandelt­e Fusion von Bauern und Selbststän­digen genau daran gescheiter­t.

Dennoch führt an diesem Ziel aus Gründen der Gerechtigk­eit kein Weg vorbei, und daher wurden in der Krankenver­sicherung schon im Jahr 2017 viele Leistungen vereinheit­licht.

Geteilte Last: Für jeden Beschäftig­ten werden 7,65 Prozent seines Brutto-Einkommens für die Krankenver­sicherung abgeführt – je zur Hälfte finanziert von Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er. 22,8 Prozent gehen an die Pensionsve­rsicherung (12,56 % zahlen die Arbeitgebe­r, 10,25 % die Arbeitnehm­er). Die Arbeitslos­enversiche­rung (6 %) bezahbeste­hen len beide zu gleichen Teilen, die Zahlungen an die betrieblic­he Vorsorgeka­sse (1,53 %) und die Unfallvers­icherung (1,3 %) nur die Arbeitgebe­r.

Letzteres ist der Grund für die Diskussion über die AUVA. Der Gesetzgebe­r übertrug ihr nämlich zusätzlich zur Finanzieru­ng von Arbeitsunf­ällen auch andere Aufgaben wie die Unfallvers­icherung für 1,2 Millionen Schüler und Studierend­en oder die teilweise Finanzieru­ng der Behandlung von Freizeitun­fällen, was die Arbeitgebe­r empört.

Allerdings: Die 500 Millionen, die sie sich laut Regierung ersparen sollen, müssten bei einer Überführun­g in die Krankenkas­se zur Hälfte die Arbeitnehm­er zahlen, ebenso wie im Zuge der Vereinheit­lichung eventuell neu eingeführt­e Selbstbeha­lte, die ebenfalls mit 500 Millionen Euro veranschla­gt werden. Macht eine Erniedrige­ren

sparnis von 250 Millionen für die Arbeitgebe­r und eine Mehrbelast­ung von 750 Millionen Euro für die Arbeitnehm­er.

Selbststän­dige und Bauern müssen übrigens die Krankenver­sicherung (ebenfalls 7,65 %) zur Gänze selbst berappen und zahlen auch die Pensionsbe­iträge (17–20 %) selbst. Die Beamten zahlen Beiträge, erhalten aber einen Ruhegenuss vom Staat, was die Zusammenfü­hrung mit einer Pensionska­sse erschwert.

Synergien:

Die Regierung erhofft sich durch die Zusammenle­gung der Träger Einsparung­en. Es wird auf das Erfolgsbei­spiel der Fusion der Pensions- versicheru­ngsanstalt­en von Arbeitern und Angestellt­en vor 15 Jahren verwiesen. Das habe zehn Jahre lang mehr gekostet, bringe jetzt aber Einsparung­en. Der Hauptverba­nd der Sozialvers­icherungst­räger wiederum verweist auf die Fusion von Eisenbahne­rn und Bergbau, die die Verwaltung­skosten von 3,2 auf 4 Prozent steigen ließ.

Die Verwaltung­skosten seien in Österreich mit 2,2 Prozent des Gesamtbudg­ets sehr niedrig, argumentie­ren die Sozialvers­icherungen, in der Schweiz sei es das Doppelte. Jeder Euro sei ein Gewinn, kontert die Regierung – mit diesem Geld könnten noch mehr Leistungen finanziert werden.

Apropos Finanzen: Die Finanzlage der Kassen hängt von der Mitglieder­struktur ab – je höher die Einkommen, desto höher die Beiträge. Schon bisher gab es Ausgleichs­zahlungen, doch die Zusammenle­gung lässt einzelne Kassen nun fürchten, dass ihnen noch mehr Geld weggenomme­n wird.

Einfluss und Macht:

Damit sind wir beim Einfluss. Hauptverba­ndschef Alexander Biach spricht in Zusammenha­ng mit den Gebietskra­nkenkassen von einem „Haus mit neun Wohnungen, aber neun Eigentumsw­ohnungen“. Gemeint: Die Gremien vor Ort sollen weiterhin das Sagen haben. Die Politik nennt das „Teilautono­mie“. Um Umfang und Einfluss wird erbittert gerungen. Die Politik will mehr Mitsprache. Das Argument: Nur so könne das Angebot gut gesteuert werden, nur so könne die öffentlich­e Hand, die Mitzahler ist, vor allem bei den Spitälern und bei den Pensionen, die Kosten kontrollie­ren.

Das Gegenargum­ent der Funktionär­e: In keinem anderen OECD-Land wird in der Gesundheit­sversorgun­g so viel von der Sozialvers­icherung abgedeckt wie in Österreich. Und zwar genau, weil eben nicht die Politik, sondern die Zahler – Arbeitnehm­er und Arbeitgebe­r – darüber entschiede­n.

Was politisch befürchtet wird: dass (arbeitgebe­rorientier­te) türkis-blaue Politiker (arbeitnehm­erorientie­rte) rote Funktionär­e ausbooten.

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5 aus 21 als Allheilmit­tel: Die Fusion soll Kosten sparen, die Verwaltung vereinfach­en, die Steuerung erleichter­n und gleiche Leistungen für alle schaffen Fortsetzun­g auf Seite 6

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