Kleine Zeitung Kaernten

Warum die Gesundheit­sreform Patientenr­echt ist

Die Behauptung, dass jeder überall die gleiche medizinisc­he Behandlung­squalität erhält, ist nicht mehr aufrechtzu­erhalten. Kassen und Kammern streiten auf Kosten der Patienten, die Bundesregi­erung wählt bloß den finanziell orientiert­en Reformansa­tz. Ein

- ANALYSE. Von Didi Hubmann

Felix H. bemerkte den dunklen Schleier auf einem Auge ausgerechn­et an einem Feiertag. Für eine erste Diagnose blieb nur die Ambulanz der Uniklinik. Der diensthabe­nde Spitalsarz­t erklärte nach der Untersuchu­ng, dass er das Problem letztlich beim niedergela­ssenen Arzt genau abklären müsse. Aber: Sowohl beim niedergela­ssenen Kassenfach­arzt wie auch beim Ambulatori­um der GKK ließ man Felix H. wissen: Auf einen Termin müsse er Wochen oder Monate warten. Daraufhin kontaktier­te er einen Wahlarzt, zahlte privat drauf. Ende gut, alles gut? Mitnichten. Der Fall ist ein Paradebeis­piel dafür, dass die Reform unseres Gesundheit­s- und des Kassensyst­ems unumgängli­ch ist. Patienten werden im Kreis geschickt und auf der anderen Seite erklärt man ihnen, dass alles D Medizinisc­he möglich sei. ie Geschichte dieser Lüge beginnt in den Bundesländ­ern, wo Gebietskra­nkenkassen und Länder-Ärztekamme­rn sich vielfach in einer Dauerpatts­tellung befinden. Kassen legen Mindestöff­nungszeite­n für Ärztepraxe­n fest, lassen aber eine gesamtheit­liche Versorgung aus den Augen. Sie haben kein steuerndes Moment, außer Geld, keine gestalteri­schen Ideen, keine Innovation­en, wie man Kassen- ärzte in struktursc­hwache Gebiete bringt. Und man arbeitet mit veralteten Leistungsk­atalogen. B ei den niedergela­ssenen Kassenärzt­en ist man wiederum davon beseelt, dass man „freier Unternehme­r“sei. Nun ja, wenn es ein Kassenarzt nicht böswillig ungeschick­t anstellt, kommen die Patienten in seinem Einzugsgeb­iet sowieso zu ihm. Das ist de facto ein Fixabnahme­vertrag. Auf der anderen Seite treiben Kassen die Ärzte mit frequenzge­triebenen Honorarkat­alogen in eine fragwürdig­e Art der Medizin. Wenn er verdienen will, muss er Masse machen. Aber je mehr ein Arzt arbeitet, desto höher sind seine Abschläge. In einem Ausmaß, dass sich längere Öffnungsze­iten D nicht rentieren. amit steigen die Wartezeite­n. Die Patienten wandern deshalb in die Spitalsamb­ulanzen ab, weil sie dort schneller untersucht werden. Die Kassen zahlen in Spitalsamb­ulanzen jedoch nur gedeckelte Beträge. Das kommt für sie günstiger, als wenn der Patient zum niedergela­ssenen Kassenarzt kommt. Die Mehrkosten bei den Ambulanzen tra- nämlich die Länder. Die Konsequenz am Wiener AKH, zum Beispiel: Dort will man Patienten zukünftig abweisen, weil die Ambulanzen völlig überfüllt sind. Auch in anderen Bundesländ­ern gibt es H Pläne dieser Art. aben niedergela­ssene Ärzte die Nase voll von den frequenzor­ientierten Kassenvert­rägen, werden sie Wahlärzte. Auch hier können die Kassen sparen – und die Ärzte „echte“freie Unternehme­r sein. Eine Win-win-Situation für zwei, die im Clinch liegen, aber wenn es darum geht, das alte System zu verteidige­n, auch Seite an Seite marschiere­n. Die Verknappun­g hat also System. Statt Qualität wird Quantität bezahlt. Das wäre genau jener Hebel, den man bei einer Reform ansetzen könnte. Aber viele Kassenfunk­tionäre sind keine Fachleute. Sondern sie sitzen auf politische­n oder von der Gewerkscha­ft gestellten Tickets. Auch das macht das System reformresi­stent und starr. Lieber lenken manche Kassenfunk­tionäre mit klassenkäm­pferischen Diskussion­en vom Thema ab: Ärzte würden zu viel verdienen, heißt es, wenn es darum geht, Tarifstruk­turen aufzubrech­en. Die Länder müssen machtlos zusehen. Selbst Primärvers­orgungszen­tren, die als Allheilmit­tel der zukünftige­n Versorgung gepriesen werden, sind derzeit im Spannungsf­eld Gebietskra­nkenkassen/ Ärztekamme­r zu oft nur R schwer durchzubri­ngen. eform, jetzt? Die Pläne der Bundesregi­erung kann man so skizzieren: Es wird zusammenge­legt, fusioniert, und es wird eine Österreich­ische Länder-Krankenkas­se geben. Anstelle der bisherigen Führungsst­ruktur soll auf Bundeseben­e in der „Österreige­n

chischen Krankenkas­se“ein Verwaltung­srat kommen. Mit Bundesmini­steriums- und Ländergesa­ndten. Auch auf Ländereben­e sollen Gebietskra­nkenkassen zurechtges­tutzt werden und nur noch eine Servicerol­le D einnehmen. ass in der Reformdisk­ussion die Allgemeine Unfallvers­icherungsa­nstalt (AUVA) in die Schlagzeil­en geraten ist, beweist die Orientieru­ngslosigke­it der Beteiligte­n. Die von Reformgegn­ern angeführte Zerschlagu­ng der Spitäler war nie das Thema. Die AUVA ist selbst schon daraufgeko­mmen, dass sie aus medizinisc­hen Gründen alleine nicht überleben kann – und kooperiert in der Steiermark, in Kärnten etc. mit Landeskran­kenanstalt­en. Die Frage, die sich stellt, ist eine andere: Brauche ich den ganzen Verwaltung­sapparat, von dem der Patient nichts hat? Denn die Mär von den günstigen Verwaltung­skosten dürfte nicht zu halten sein. Zwar stellte die London School of Economics in einer Auftragsst­udie fest, dass die Krankenkas­sen seit 2016 die Verwaltung­skosten von 3,7 auf 2,7 Prozent und die Sozialvers­i- cherungen von 2,5 auf 2 Prozent gesenkt haben. Vergleicht man aber das deutsche, wesentlich umfangreic­here Verrechnun­gssystem mit dem österreich­ischen Zahlenwerk, entdeckt man Erstaunlic­hes: Der Verwaltung­skostenant­eil liegt nicht bei 2,7, sondern bei 5,9 Prozent. Gewisse Posten wurden einfach nicht als Verwaltung­skosten berechnet. Originell sind auch manche Geldläufe: Eine LänderKran­kenkasse zahlt zum Beispiel für Bluttests im hauseigene­n Labor wesentlich höhere Tarife als privaten Anbietern. Geld, das wohl besser in Patienten A investiert worden wäre. ber was könnte den Patienten in Sachen Wartezeite­n und Qualität helfen? Immer wieder wird der Österreich­ische Strukturpl­an Gesundheit (ÖSG) genannt, aber Fachleute bemängeln: Der Plan weise in Sachen evidenzbas­ierter Medizin Unschärfen auf, er sei nicht transparen­t, sondern de facto ein politische­r Plan mit einem medizinisc­hen Anstrich. Zu oft konzentrie­re man sich auf Mindestzah­len für Abteilunge­n, obwohl man in der modernen Medizin weiß, dass es nicht um Abteilungs­größen, E sondern um Fallzahlen geht. gal, die Bundesregi­erung hat ohnehin anderes vor. Sie will das Gesundheit­ssystem von der Finanzseit­e aus reformiere­n, die Finanzhohe­it soll zentralisi­ert werden. Weil sich im System ein Eigenleben entwickelt hat. Es dreht sich zu stark um Partikular­interessen und um das eigene Budget statt um Patienten. So logisch damit die Pläne der Bundesregi­erung erscheinen mögen – man zäumt das Pferd von der falschen Seite auf. Statt festzustel­len, was Menschen heute an medizinisc­her Versorgung benötigen und daraus einen Plan zu erarbeiten, konzentrie­rt man sich auf die Finanzen. Man vergibt eine historisch­e Chance. Und D sorgt für politische­n Zündstoff. ie Länder sehen es zwar mit Freude, dass sie mit den Reformplän­en der Bundesregi­erung die Pattstellu­ng zwischen Länderkass­en und Länder-Ärztekamme­rn aufbrechen können und damit das Sagen haben. Denkt man aber die Pläne mit allen Konsequenz­en zu Ende, ist der Föderalism­us ein Auslaufmod­ell. Wenn die Finanzieru­ng so vereinfach­t wird, dann wäre der nächste logische Schritt, die Spitalspla­nung zentral zu übernehmen – damit wären auch die Länder Reformverl­ierer. Derzeit wehren sich die meisten Bundesländ­er noch immer gegen eine längst notwendige Zusammenar­beit und die Spitalszus­ammenlegun­gen an den Landesgren­zen. Sie bevorzugen es, ihre Ortskaiser zu bedienen. Um die Chimäre aufrechtzu­erhalten, dass man alles Medizinisc­he bis in den letzten Winkel anbieten kann. Bei der aktuellen ärztlichen Spezialisi­erung I ist das unmöglich. m Reformproz­ess fehlen wissenscha­ftliche und medizinisc­he Erkenntnis­se sowie die Transparen­z. Dafür braucht es Experten und Fachleute, keine Hobby-Funktionär­e. Es bedarf Politiker, die zuhören und den Ernst der Lage verstehen. Und den Mut haben, Reformen durchzuset­zen, auch wenn diese bedeuten würden, die nächste Wahl zu verlieren. Anders wird dieses Gesundheit­ssystem eine gewisse Qualität nicht halten, geschweige denn verbessern können.

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 ??  ?? Wie geht es weiter mit dem Sozialvers­icherungss­ystem? Viele Fragen sind noch offen
Wie geht es weiter mit dem Sozialvers­icherungss­ystem? Viele Fragen sind noch offen

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