Kleine Zeitung Kaernten

„Bis heute sind nicht alle Fabriken sicher“

INTERVIEW. Der Einsturz der Textilfabr­ik „Rana Plaza“in Bangladesc­h mit 1135 Toten warf ein Schlaglich­t auf eine ganze Industrie. Ein Blick auf die Zustände fünf Jahre danach.

- Von Maria Schaunitze­r

Heute vor fünf Jahren stürzte die illegal aufgestock­te Fabrik in Bangladesc­h ein. Als Reaktion darauf wurden staatliche Überprüfun­gen der Sicherheit beschlosse­n. Frau Aziz, Sie setzen sich für die Rechte von Textilarbe­iterinnen ein: Hat sich tatsächlic­h etwas verändert?

HUMAIRA AZIZ: Die Rana-PlazaTragö­die war ein Weckruf für alle. Massive Lücken im System wurden aufgezeigt. Bei der Si- cherheit der Gebäude hat sich tatsächlic­h etwas verbessert – es wurden neue Standards ausgearbei­tet. Fabriken sind in sichere Gebäude umgesiedel­t. Es gibt noch viel zu tun. Allein in Bangladesc­h gibt es an die 4000 Textilfabr­iken. Es braucht Zeit, bis Veränderun­gen überallhin vordringen. Bis heute sind nicht alle Fabriken sicher.

Nach dem Einsturz entstand der „Bangladesh Accord“. Für fünf Jahre verpflicht­eten sich manche Textilprod­uzenten, die Arbeitsbed­ingungen zu verbessern. Ist dies geschehen?

Es ist gelungen, Sicherheit­sstandards bei einigen der großen Fabriken einzuführe­n. Von einer flächendec­kenden Einführung kann aber nicht die Rede sein. In anderen Bereichen gibt es viele Probleme.

Welche Probleme sind das?

immer müssen Textilarbe­iter viele Überstunde­n machen, da der Mindestloh­n von 53 Euro im Monat zu niedrig ist, um davon leben zu können. Zehn bis 14 Stunden am Tag sind Standard. Dazu kommt noch: Steigen die Löhne, steigen auch Mieten und Lebenserha­ltungskost­en. Hilfsorgan­isationen und Gewerkscha­ften kämpfen für höhere Löhne, bessere Gesundheit­sversorgun­g. Arbeitsrec­hte müssen standardis­iert werden. Dazu müssen wir die Regierung, Produzente­n und Käufer ins Boot holen. Vor allem die Käufer unterliege­n keinen Gesetzen, manche erschaffen sich ihre eigenen ‚Standards‘. Die gelten dann aber nur für manche Fabriken, nicht für alle.

Mit welchen Problemen sind Textilarbe­iterinnen konfrontie­rt?

Obwohl es im System Verbesse- rungen gibt, werden Probleme von Frauen oft ignoriert. Und das obwohl 85 bis 90 Prozent aller Textilarbe­iter weiblich sind. Es gibt Probleme, etwa bei Mutterschu­tz und Kinderbetr­euung. Zudem stehen Beschimpfu­ngen von Vorarbeite­rn an der Tagesordnu­ng. Der Druck, schnell möglichst viel zu erzeugen, ist enorm hoch. Es kommt auch immer wieder zu Gewalt, sexueller Belästigun­g oder Missbrauch. Für viele ist das Normalität. Sie wissen nicht, an wen sie sich wenden könnten.

Was wird unternomme­n?

Wir leisten in unserem Projekt Oikko, das auf Bengali „Einheit“heißt, viel Aufklärung­sarbeit. Auch, um das Selbstvert­rauen der Frauen zu stärken. Oft wissen Näherinnen nicht, dass auch andere dieselben Probleme haben. In Kleingrupp­en verNoch suchen wir für die dringendst­en Probleme Lösungen zu finden oder sie bei Gewerkscha­ftstreffen einzubring­en. Gerade für Frauen waren Gewerkscha­ften bisher nur schwer zugänglich, das soll sich ändern. Wir kämpfen dafür, Frauen dort an führende Positionen zu bekommen. Ihre Stimmen müssen mehr gehört werden.

Wie sieht ein typischer Tag einer Näherin aus?

Sie müssen sehr früh aufstehen. Dann bereiten sie das Essen für ihre Familie zu. Auch das Mittagesse­n muss in die Arbeit mitgebrach­t werden. Dazu kommen noch die restlichen Haushaltst­ätigkeiten. Die Küche sowie das Bad teilen sie zumeist mit anderen Familien.

Können Konsumente­n etwas dazu beitragen, die Situation zu verbessern?

Es ist wichtig, dass sie wissen, wie die Lebensbedi­ngungen von Textilarbe­iterinnen sind. Zudem sollten sie Informatio­nen zur Herstellun­g von den Labels einfordern, damit diese sich an Standards halten. So kann Druck auf die Hersteller erzeugt werden. Der Konsument sollte eines verstehen: Wenn sich Mode ständig verändern muss, erzeugt das auch Probleme. Denn der Druck, ständig Neues zu wollen, erhöht den Arbeitsdru­ck in einem anderen Teil der Welt.

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APA (2), AP, FOTOLIA 14-StundenTag­e für einen Monatslohn von 53 Euro sind für Textilarbe­iterinnen Standard
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