Visionärer Aufbruch zu neuen Utopien
Das Museum Liaunig beeindruckt in seiner 10. Saison mit abstrakter Kunst, Silberschätzen und teuren Briefmarken.
Möchtest Du meine Briefmarkensammlung sehen?“, fragte Herbert Liaunig einmal die Künstlerin Martha Jungwirth und stieß dabei auf überraschendes Interesse. Beim gemeinsamen Studium sei man schließlich auf den Begriff „Weißer Fleck am Adlerschwanz“(ein Plattenfehler) gestoßen, der Jungwirth derart begeisterte, dass er einer der diesjährigen Sonderausstellungen im größten privaten Kunstmuseum des Landes den Namen gab. Ein besonderer Blickfang darin ist der „Zinnoberrote Merkur“, eine Zeitungsbriefmarke aus der K.-u.-k.-Monarchie, die den Götterboten Merkur zeigt und als „seltenste Briefmarke Europas“und „teuerste Österreichs“ausgeschildert ist. Indirekte Preisauskunft des 72-jährigen Hausherrn: „Ein gelber Merkur ist in der Schweiz vor einiger Zeit um 270.000 Franken versteigert worden“.
Doch im Museum Liaunig, das heuer sein zehnjähriges Be- feiert, kommen nicht nur Freunde der Philatelie auf ihre Rechnung. Neben der schon bekannten Glasperlen-Schau mit rund 300 afrikanischen Objekten und dem immer üppiger sprießenden Skulpturenpark präsentiert das Museum auch kostbare europäische Silberarbeiten, darunter allerlei Humpen, Messkelche und Prunkschüsseln. Manche von ihnen sind mehr als 500 Jahre alt und zwingen allein schon aufgrund ihrer reichen Reliefdarstellungen zu längerem Verweilen. Zeit sollte man bei seinem Ausflug ins Südkärntner Neuhaus in jedem Fall mitbringen, „am besten einen ganzen Tag“, empfiehlt der langjährige LiaunigBerater Peter Baum.
Dass einem dabei nicht langweilig wird, ist auch Günther Oberhollenzer zu verdanken, der die Hauptausstellung in der 150 Meter langen Oberlichthalle gestehen
staltete. Der einstige Chefkurator des verblichenen Essl-Museums hat zu diesem Zweck die rund 4000 Werke umfassende Sammlung des Hauses gesichtet und ein assoziatives Konvolut an Gemälden, Grafiken und Skulpturen hervorgezaubert, die großteils der gegenstandslosen Abstraktion verpflichtet sind. Dabei ging es ihm vor allem um überraschende Querbezüge zwischen den rund 100 Künstlerpositionen, unter ih-
nen auch internationale Größen wie Bernard Aubertin, Imi Knoebel, July Hayward oder Pierre Soulages. Geordnet nach gestalterischen Gesichtspunkten wie Geometrie, Schriftlichkeit oder Bildstruktur, lassen manche Exponate auch interessante Wahlverwandtschaften erkennen, etwa zwischen Suse Krawagna und Robert Motherwell, Franz Xaver Ölzant und Tony Cragg oder Hans Bischoffshausen und dem abwesenden Lucio Fontana. Eine Entdeckung (auch für den Kurator selbst) ist der 84-jährige Oberösterreicher Josef Bauer, gegen den ein Franz West oder Erwin Wurm ziemlich jung aussehen. Gegen Ende des Parcours trifft man auch auf monumentale Naturabstraktionen von Lokalmatadoren wie Peter Krawagna, Kiki Kogelnik oder Giselbert Hoke. Die eingangs erwähnte Martha Jungwirth ist mit einem Porträt von sich und ihrer Schwester vertreten.
Ein besonderer Augenschmaus erwartet den Besucher in der pantheonartigen Skulpturenhalle, die Cornelius Kolig
zu einer Dependance seines Gailtaler „Paradieses“umfunktionierte. Alarmgesicherte Kuhfladen korrespondieren hier mit futuristischen Apparaturen und Fitnessgeräten, die der große Ironiker in obskure Folterwerkzeuge verwandelte. Die aktuelle Sonderschau in der Dreieckshalle ist Peter Pongratz gewidmet, der mit seinem ungestümen Art-Brut-Pinsel auch den Hausherrn verewigt hat: als gut behüteten Wanderer zwischen psychedelischen Welten (siehe Bild).
Mit der neuen Ausstellungssaison wird auch die von Janez Gregoricˇ kuratierte „Sonusiade“(siehe Info) eröffnet. Auf Starsopranistin Angelika Kirchschlager folgen als weitere Gäste Karlheinz Miklin, Frank Hoffmann, das Minetti-Quartett oder das Goldberg-Trio. Für Briefmarkenfreunde wird zum Auftakt außerdem ein Sonderpostamt eingerichtet – ein „ganzer Tag im Museum“(inklusive Einkehr bei einem der örtlichen „Hadnwirtn“) muss also keine Utopie sein.