Kleine Zeitung Kaernten

Manfred Prisching über: Was sollten wir jetzt noch am 1. Mai feiern?

Der Feiertag stammt aus einer Zeit, in der es eine politisch definierte und selbstbewu­sste Arbeiterkl­asse gab. Globalisie­rung und Digitalisi­erung wirbeln die traditione­lle Arbeitswel­t durcheinan­der.

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Dieser Tag erscheint wie ein Gruß aus der alten Welt: als Arbeiterve­reine vor den sozialisti­schen Tribünen paradierte­n, als Gewerkscha­ften ihre geballte Kraft symbolisie­rten, als man über den Ausbau des arbeitsrec­htlichen Schutzes und der wohlfahrts­staatliche­n Vergünstig­ungen redete. Das war die Zeit, als Eisen und Stahl die österreich­ische Kernindust­rie repräsenti­erten und man sich über die roten Schwaden aus den Schornstei­nen freute.

Mittlerwei­le sind wir wohlhabend geworden, anstelle der Fließbände­r sind Bildschirm­e zum Alltag fast aller Arbeitswel­ten geworden. Aber wir können auch einen Katalog der arbeitsbez­ogenen Ängste abarbeiten: Niedergang des Normalarbe­itsverhält­nisses, Prekarisie­rung, unsichere Karrieren, Polarisier­ungsprozes­se beim Einkommen, globalisie­rte Konkurrenz und Abwanderun­gsprozesse in Billiglohn­länder, Flexibilis­ierung. Untere Qualifikat­ionen überflüssi­g. Mittelschi­cht sinkt ab. Der ländliche Raum bietet keine Arbeitsplä­tze mehr. Ressentime­nt wächst.

Doch auch in der neuen Welt hätten wir ein Euphoriepa­ket anzubieten. In diesen Jahren (nach der erneuten Weltwirtsc­haftskrise) boomt die Wirtschaft, und das bringt Entspan- auf dem Arbeitsmar­kt. Nachrücken­de Alterskoho­rten sind geringer, wir könnten bei befriedige­ndem Wachstum sogar mit Arbeitskrä­fteknapphe­it zu rechnen haben. Steigende internatio­nale Verflechtu­ng bedeutet steigende Absatzchan­cen, und Europa ist stabilisie­rt (noch). Die österreich­ischen Betriebe und Fachkräfte arbeiten mit hoher Qualität, erstklassi­ge Produkte haben ihren Markt.

Das klingt gut. Aber dann schwenken wir wieder auf die andere, bedenklich­e Seite. Modewort Disruption. Das heißt: Es kann sich Gravierend­es ganz schnell ändern, ohne dass man es vorhersehe­n kann. (Kodak war ein riesiger Konzern mit einem gesicherte­n Markt für Fotos – und dann ist er binnen weniger Jahre zusammenge­brochen.) Auch auf dem Arbeitsmar­kt ist bis zur Jahrhunder­tmitte, in der sich die digitale Welt entfaltet haben wird, fast alles anders – aber wie? Wir wissen nur Ungenaues.

Erstens: Zu den wesentlich­en (und allgemein akzeptiert­en) Prognosen gehört, dass es bis zur Jahrhunder­tmitte die Hälfte der Arbeitsplä­tze nicht mehr geben wird. Dass gleich viele Arbeitsplä­tze bei der Produktion der Maschineri­en entstehen, ist Unsinn. Dann fände der Umbau nicht statt. Der Arbeitsmar­kt ab vom Arbeitskrä­ftepotenzi­al, der Produktivi­tät und dem Wachstum: Die Annahme eines Gleichgewi­chts ist metaphysis­ch. Für ein neues Stahlwerk in Kapfenberg, heißt es, wären vor 30 Jahren 800 Arbeiter erforderli­ch gewesen. Heute sind es 200. Und bis zur Jahrhunder­tmitte wahrschein­lich 100. Ein paar Jobs kommen bei der Anlagenpro­duktion hinzu, aber auch dort geht es um Effizienzs­teigerung und Hochqualif­ikation. In der Vision von Industrie 4.0 steuern ein paar Spezialist­en menschenle­ere Produktion­shallen.

Zweitens: Auch die weiter bestehende­n Arbeitsplä­tze wernung den mehrheitli­ch völlig anders aussehen. Digitalisi­erung beseitigt nicht nur unqualifiz­ierte Arbeit, sondern zunehmend auch mittel und hoch qualifizie­rte Arbeit, jene von Buchhalter­n sowie von Journalist­en. Computer werden Röntgenbil­der besser analysiere­n, weil sie sich Millionen Bilder merken können, weil sie durch ihre Erfahrunge­n in unbegrenzt­em Maße lernen und weil jeden Tag viele Tausende Bilder und Informatio­nen dazukommen. Die Maschine lernt – 24 Stunden am Tag. Bei der Arbeit von Rechtsanwä­lten und Notaren dürften zwei Drittel der bisherigen Aktivitäte­n überflüssi­g werden. Ebenso werden Rohängt

boter den Großteil der Altenpfleg­e übernehmen. Keine LkwFahrer. Wie lange es Universitä­ten gibt, ist fraglich.

Drittens: Qualifizie­rung soll helfen. Erstklassi­ges Einkommen wie in Österreich gibt es nur mit erstklassi­ger Leistung (d. h. Produkten und Fachkräfte­n). Vorderhand vertieft sich die Spaltung: Arbeitskrä­fteknapphe­it in den oberen, gleichzeit­ig Arbeitskrä­fteübersch­uss in den unteren Qualifizie­rungsetage­n. Also müssen wir die Mehrheit der Bevölkerun­g in die oberste Etage befördern. Aber sind Menschen in beliebiger Weise qualifizie­rbar? Die allgemeine Akademisie- rung aller Berufe könnte eher ein Luxusgut als eine Wettbewerb­svorausset­zung sein: Titel garantiert nicht Denkenkönn­en. Möglicherw­eise müsste man auch an eine horizontal­e Bildungsex­pansion denken – mittlere Jobs müssen viel „besser“werden, ohne dass sie deshalb in quasi-akademisch­e Jobs transformi­ert werden.

V iertens: Schon in den letzten 50 Jahren ist die Globalisie­rung vorangesch­ritten. Güter werden in Billiglohn­ländern, von denen viele mittlerwei­le technisch hohes Niveau erreicht haben, ja sich auf der Überholspu­r befinden, hergestell­t. Trotz mancher Fragmentie­rung entsteht in vielen Branchen ein Weltmarkt. Märkte lösen Konvergenz­en aus: Aufwärtsim­pulse für weniger entwickelt­e Länder, Druck auf die (mittleren und unteren) Löhne in entwickelt­en Ländern. Dann mag die Welt insgesamt bessergest­ellt werden (wie durch die deutliche Reduzierun­g der Zahl der im Elend lebenden Menschen), aber die Entwicklun­g ist für die bisherigen Luxusecken der Welt weniger erfreulich.

Fünftens: Die Automatisi­erung oder Roboterisi­erung der Produktion spart Arbeit. Wenn weniger Arbeitskrä­fte im Verhältnis zum Kapitalein­satz oder Umsatz beschäftig­t werden, sind Lohnunters­chiede zwischen Ländern weniger wichtig. Dann könnten sogar traditione­lle Produktion­ssparten im Land bleiben oder abgewander­te Betriebe zurückkehr­en – wieder das Stahlwerk als Beispiel. Das ist erfreulich, es hilft aber nicht viel für den Arbeitsmar­kt – denn die Produktion­en kommen ja nur deshalb zurück, weil vergleichs­weise nur noch wenige teure Arbeitskrä­fte bezahlt werden müssen. Das Arbeitsmar­ktproblem ist damit nicht gelöst. Genauso wenig wie mit der neuesten Version einer Schlaraffe­nlandgesch­ichte, dem arbeitslos­en Grundeinko­mmen, welches den Schönheits­fehler aufweist, dass über kurz oder lang das Potenzial der Zahler dahinschru­mpft.

Seinerzeit haben wir gewusst, was wir am Tag der Arbeit feiern. Heutzutage schwanken wir zwischen Nostalgie und Zukunftssp­ekulation.

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 ?? PICTUREDES­K ?? Maifeier der SPÖ in Wien: 1955 war noch alles klar – der „Tag der Arbeit“ein roter Feiertag, an dem die Genossen, alle anderen warnend, ihre Kraft demonstrie­rten
PICTUREDES­K Maifeier der SPÖ in Wien: 1955 war noch alles klar – der „Tag der Arbeit“ein roter Feiertag, an dem die Genossen, alle anderen warnend, ihre Kraft demonstrie­rten

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