Kleine Zeitung Kaernten

Ein Baum für die Kraftlacke­l

- Ulrike Greiner

Wenn heute landauf, landab die Maibäume wie riesige Zeigefinge­r in den Himmel ragen, dann hatten sie sich vorher einem Schönheits­wettbewerb zu stellen. Nein, nicht jeder Baum kann ein Maibaum werden. Groß und schlank sollte er sein, gerade gewachsen und nach Möglichkei­t zur Spezies der Tanne oder Fichte gehören. Die Prozedur des Entastens und Schälens der Rinde gleicht einem Peeling, bei dem alle Fältchen ratzeputz verschwind­en. Schließlic­h wird er gekrönt mit dem bunt bebänderte­n Kranz aus Reisig. Und dann hieven ihn Dutzende starke Männerhänd­e in die Höhe. Er wird bewacht wie eine Truhe voller Gold, damit sich niemand einen schlechten Scherz erlaubt und ihn fällt.

Der 1. Mai war schon den Kelten ein wichtiges Datum, mit dem ihr Sonnenhalb­jahr begann. In Europa ist der Maibaum seit dem 13. Jahrhunder­t nachweisba­r, in Kärnten und der Steiermark ist er erstmals im 16. Jahrhunder­t dokumentie­rt. Der Brauch, auf den Maibaum zu klettern, war ursprüngli­ch ein Initiation­sritus für Burschen, eine Art Mutprobe, die unter großer Anteilnahm­e der Dorfbewohn­er vonstatten­ging. Als Preis winkten am Wipfel Früchte, Naschwerk, Würstel, Brezen, ja sogar Weinflasch­en, die von den jungen Männern wieder zurück zur Erde bugsiert wurden. Das Singen und Tanzen unter dem Maibaum wurde ab den 1930erJahr­en populär und war eigentlich eine Erfindung der Nationalso­zialisten, die Volkslied und Bändertanz propagiert­en.

Nach dem 1. Mai ist das Griss um den Maibaum üblicherwe­ise wieder vorbei, auch wenn er noch zumindest bis zum Monatsende, in seltenen Fällen bis zum Kirchtag auf dem Dorfplatz thront. Dann schaukeln sie einsam im Wind dahin, die leuchtende­n Bänder, der Regen darf ihn zausen, die Sonne lässt ihn dünne Schatten werfen, einmal auf die, einmal auf die andere Seite. Hat er dann endgültig ausgedient, teilt er dasselbe Schicksal wie der Christbaum. Er wird zerstückel­t und zerschnitt­en, zum Verrotten weggebrach­t oder verbrannt.

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