Baut der Iran heimlich an der Atombombe?
ANALYSE. Genau das wirft Israels Premier, Benjamin Netanjahu, Teheran vor. Doch wie neu sind seine jüngsten Enthüllungen wirklich?
Es war eine dramatische Inszenierung mit vielen Requisiten, ganz so, wie Israels Premier Benjamin Netanjahu es liebt. Und wie so oft in der Vergangenheit richtete sich Netanjahus geballte Wortgewalt auch diesmal gegen den Iran. Zwölf Tage bevor US-Präsident Donald Trump darüber entscheiden muss, ob die USA das Wiener Atomabkommen aus dem Jahr 2015 mit dem Iran annullieren, enthüllte Netanjahu einen der wohl erfolgreichsten Einsätze in der Geschichte seines Auslandsgeheimdienstes Mossad. Dramatisch zog er einen schwarzen Vorhang von einem Aktenregal und einer Wand voller CDs und erklärte, der Mossad habe in den vergangenen Wochen eine halbe Tonne hochgeheimen Materials aus dem Atomarchiv des Irans in einem unscheinbaren Lagerhaus im Stadtteil Schorabad im Süden Teherans entwendet – insgesamt 55.000 Dokumente und 183 CDs mit mehr als 55.000 Dateien. Diese bewiesen eines: dass der Iran die Atomenergiebehörde IAEO und die gesamte Welt angelogen und insgeheim an einer Atombombe gebastelt habe.
Der Premier sagte, die Unterlagen zeigten, wie iranische Behörden gezielt die organisatorische Infrastruktur für den Bau einer Atombombe einrichteten, Atombombenentwürfe ausarbeiteten, mögliche Standorte für Atomwaffentests erkundeten und wie sie atomare Sprengköpfe für Raketen entwarfen. Er demonstrierte auch, dass der Leiter des iranischen Atomprojekts „Amad“heute in einer neuen Organisation mit anderem Namen arbeitet, wohl weiterhin in derselben Funktion. Doch das, was fehlte: ein klarer, neuer Beweis dafür, dass der Iran auch heute den Atomvertrag D verletzt. ie Informationen, die Netanjahu veröffentlichte, waren per se nicht neu“, sagt auch Dr. Emily Landau, Leiterin des Programms für Rüstungskontrolle am Institut für Nationale Sicherheitsstudien in Tel Aviv, zur Kleinen Zeitung.
Schon 2015 berichtete die IAEO über die militärische Dimension des iranischen Atomprogramms. Der Bericht verfolgte Irans Atomprogramm bis 2009. Das Material, das Netanjahu präsentierte, warf aber auch kein Licht auf die Zeit danach, sondern nur auf die Jahre davor. Mit anderen Worten: Alles, was Netanjahu präsentierte, dürfte westlichen Geheimdiensten und Staatschefs längst bekannt sein, wenn auch nicht in dem Detail, in dem Israels Geheimdienste angesichts ihres Fundes nun Bescheid D wissen. asselbe gilt für die Warnungen Netanjahus über Irans Raketenprogramm. Es braucht keine hochgeheimen Dokumente, um dessen Stoßrichtung zu verstehen. Einfache Logik genügt, um zu begreifen, dass Raketen mit 500 kg Nutzlast und einer Reichweite von über 1000 Kilometern militärisch sinnlos sind, wenn sie mit konventionellen Sprengköpfen bestückt sind. Das ist auch genau der Grund, weshalb trotz des Atomabkommens Sanktionen gegen Iran in Kraft bleiben, solange Teheran an seinem Raketenprogramm festhält.
Sein wichtigstes Ziel dürfte Netanjahu deshalb wohl verfehlt haben: Altbekannte geheimdienstliche Erkenntnisse werden die Anhänger des Abkommens in Europa wohl kaum überzeugen, Trump zuzustimmen, falls dieser in zwei Wochen N den Deal mit Teheran annulliert. ur eines machte Netanjahus Pressekonferenz auf dramatische Weise deutlich: dass Israels Geheimdienst weiterhin zu überraschenden Aktionen fähig ist und tiefen Einblick in die geheimsten Vorgänge des iranischen Regimes hat. Selbst wenn der Mossad nicht den unwiderlegbaren Beweis dafür lieferte, dass der Iran den Atomvertrag verletzt, so gelang seinen Agenten ein doppelter Coup: Sie enttarnten die Charme-Offensive des iranischen Regimes als Lügenkampagne. Und sie dürften viele Mullahs in der Islamischen Republik zutiefst verunsichert haben.