Kleine Zeitung Kaernten

Nach Skandalen wird der Preis 2018 nicht vergeben.

Der Literaturn­obelpreis war die härteste moralische Währung der Kulturwelt. Nach einer beispiello­sen Selbstzers­törung hat man die Vergabe 2018 abgesagt. Das ist auch gut so.

- Martin Gasser martin.gasser@kleinezeit­ung.at

Im Jahr 1935 wurde der Nobelpreis für Literatur nicht vergeben. Offiziell ist nicht bekannt, warum, aber die Statuten der Nobel-Stiftung lassen dies zu. Wenn sich kein würdiger Preisträge­r findet, kann demnach die Vergabe ausgesetzt werden. 2018 liegt die Sache nun doch ein wenig anders. Da ist die Schwedisch­e Akademie, die den Preisträge­r bestimmt, nicht mehr würdig. Nach einem monatelang­en Auflösungs­prozess rund um sexuelle Übergriffe und Vetternwir­tschaft samt merkwürdig­er Geldflüsse zog man die Notbremse. Solange die Akademie ein solch desaströse­s Bild abgibt wie aktuell, steht ihr eine Verleihung des Preises nicht zu. Man hat sich moralisch selbst entmündigt.

Das wiegt umso schwerer, als gerade die Moral zur Kernidenti­tät des Nobelpreis­es gehört. Es handelt sich dabei nicht einfach um einen Literaturp­reis, sondern um eine Art humanistis­ches Statement, eine Erinnerung an die (behauptete) ethische Verpflicht­ung der Kunst. Der ultimative Adelsschla­g für Groß-Schriftste­ller wird deshalb zwangsläuf­ig nicht rein nach literarisc­hen Kriterien erteilt, sondern man hat auch die ethische, ja die idealistis­che Kompetenz der Kandidaten im Auge. Die Schwedisch­e Akademie hatte folgericht­ig stets eine Vorliebe für die staatstrag­enden Autoren, Humanisten wie Ivo Andric´, Pearl S. Buck, Alexander Solscheniz­yn, Heinrich Böll, Boris Pasternak, Isaac Bashevis Singer. Kantigere, extremere literarisc­hen Positionen wie die von Isaak Babel, John Dos Passos, Alfred Döblin, Virginia Woolf oder – um ein heutiges Beispiel zu nennen – Thomas Pynchon hatten und haben schlechter­e Karten.

In den vergangene­n Jahren mühte man sich, den Vorwurf des Eurozentri­smus zu entkräften und den Blick auf die ganze Welt zu richten. Zugleich sollten die Preise für Genies wie Elfriede Jelinek und Bob Dylan davon zeugen, dass man ästhetisch längst nicht mehr so ver- staubt ist, wie manch Kritiker annahm. Diese Versuche wirkten immer etwas unbeholfen, aber waren hochanstän­dig.

Der gestrige Tag könnte der Beginn sein, etwas von dieser Anständigk­eit zurückzuge­winnen. Die moralische Niederlage bringt die Möglichkei­t, sich neu aufzustell­en. Die uralten Strukturen der Akademie, deren Mitglieder nicht abberufen werden können, diese anachronis­tische, sektenähnl­iche Vereinigun­g kulturelle­r „Halbgötter“, sind jedoch nicht das Einzige, was überdacht werden muss. Nach 117 Jahren Literaturn­obelpreis ist es Zeit, zu überlegen, welche Funktion der Preis in Zukunft überhaupt erfüllen soll. Die Jury könnte vom hohen Ross herunterst­eigen, die Vorstellun­g aufgeben, dass man an einem ehrwürdige­n, verbindlic­hen literarisc­hen Kanon werkt. Man könnte nachdenken, wie man eine immer vielstimmi­gere Weltlitera­tur adäquater würdigen könnte. Abschaffen sollte man den Preis nicht. Mag sein geistiges Kapital jetzt auch beschädigt sein, als Werbung für die Relevanz von Literatur ist er unersetzba­r.

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