Der Mann, der Erdo˘g an bezwingen will
Mit Muharrem˙Ince (54) zieht ein starker Gegner in den Wahlkampf.
Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdog˘an bekommt es bei der vorgezogenen Präsidentenwahl am 24. Juni mit einem weiteren starken Gegenkandidaten zu tun. Die größte Oppositionskraft, die sozialdemokratische Republikanische Volkspartei (CHP), nominierte ihren langjährigen Abgeordneten Muharrem ˙Ince einstimmig als Präsidentschaftsbewerber. Der 54-Jährige kündigte an, nach seiner Wahl nicht in den umstrittenen 1150-Zimmer-Prunkpalast Erdog˘ans einzuziehen. Er werde wieder den traditionellen Amtssitz türkischer Präsidenten im Regierungsviertel Çankaya nutzen. „Den Palast übergebe ich den schlauesten Kindern dieses Landes“, sagt er. „Ich mache ihn zur Bildungsstätte.“˙Ince schlug damit rhetorisch den Bogen zum Republik- und CHP-Gründer Mustafa Kemal Atatürk, der in Çankaya residierte und als dessen Ideenbewahrer sich die seit Jahren kraftlos wirkende CHP verortet. Auch der ehemalige Physiklehrer steht klar in der kemalistisch-säkularen Tradition der Partei, ist ein glühender Nationalist, tritt aber gleichzeitig für Demokratie, Gewaltenteilung und die außenpolitische Westbindung der Türkei ein.
˙Ince ist ein ebenso guter Redner wie Erdog˘an, genauso aggressiv im Ton und in der Lage, ein Publikum rhetorisch aufzuputschen. Der integre, von keinen Skandalen belastete Kandidat ist ein Hoffnungsträger für viele Türken, die sich das Ende des 15-jährigen Erdog˘anRegimes wünschen. Eine Blitzumfrage des AKP-nahen Meinungsforschungsinstituts Konsensus sah ˙Ince gestern bei 45 Prozent und Erdog˘an bei 55 Prozent der Wählerstimmen. Aber noch hat der Wahlkampf gar nicht begonnen.