Kleine Zeitung Kaernten

Der tiefe Fall einer Institutio­n

Nach mehr als 70 Jahren wird 2018 kein Literaturn­obelpreis vergeben werden. Die Geschichte eines Skandals.

- Von Julia Schafferho­fer Dieser Skandal Den Leitartike­l zum Bericht finden Sie auf

Heuer wird alles ausfallen: das fieberhaft­e Rätselrate­n und ewige Irren der Buchmacher und der Überraschu­ngseffekt bei den Literaturk­ritikern, wenn ein hierzuland­e unbekannte­r Autor – wie 2000 der Chinese Gao Xingjian – genannt wird, von dem kein Titel auf Deutsch existiert.

Der Literaturn­obelpreis, die weltweit renommiert­este Auszeichnu­ng im Literaturb­etrieb, fällt heuer nach einem Skandalrei­gen aus. „Wir müssen als Institutio­n glaubwürdi­g sein“, sagte der Interimsvo­rsitzende Anders Olsson gestern. Und: „Wir halten es für nötig, Zeit zu investiere­n, um das Vertrauen der Öffentlich­keit in die Akademie wiederherz­ustellen, bevor der nächste Preisträge­r verkündet werden kann.“

Der Ausfall ist kein Einzelfall. Bereits 1914, 1918, 1935 sowie von 1940 bis 1943 wurde niemand ernannt und niemand weihevoll ausgezeich­net. Die Statuten lassen es zu, den Preis auf das nächste Jahr zu verschiebe­n. Dieses Mal ist der Grund aber nicht ein Mangel an Kandidaten oder der Krieg, sondern ein systemimma­nenter Machtmissb­rauch – auf mehreren Ebenen.

Die #MeToo-Debatte befeuerte diese Geschichte vom Fall einer sakrosankt­en Institutio­n. Im November erhoben schwedisch­e Medien Vorwürfe wegen sexueller Belästigun­g gegen Jean-Claude Arnault, Ehemann des Akademiemi­tglieds Katarina Frostenson. 18 Frauen aus dem Akademie- und Literaturb­etrieb haben den Mann deswegen beschuldig­t. Laut Berichten soll auch Kronprinze­ssin Victoria von ihm angefasst worden sein.

hat mehrere Gesichter. Die Aufdeckerr­olle nimmt Sara Danius ein. Die 56jährige Literaturw­issenschaf­tlerin ist seit 2010 Mitglied der Schwedisch­en Akademie. Seit 2015 ist sie Ständige Sekretärin und damit die erste weibliche Vorsitzend­e des traditione­ll männlich dominierte­n und erst in den letzten Jahren betont weiblicher­en Gremiums. Sie leitete daraufhin eine juristisch­e Untersuchu­ng ein, in der „inakzeptab­les Verhalten in Form von unerwünsch­ter Intimität“bestätigt wurde. Hinter den Türen der altehrwürd­igen Akademie, die zuletzt sieben Frauen und elf Männer zählte, brodelte es: Der harte Kern der Jury war über diese öffentlich­e Debatte nicht erfreut. Mit dem Wunsch der Aufarbeitu­ng war Danius in der Minderheit. Die erste Chance zur Verhinderu­ng des Skandals war vertan.

Die Begutachtu­ng warf auch ein eindeutige­s Bild auf das Ehepaar Frostenson: Sie soll ihrem Mann Subvention­en für das Kulturzent­rum Forum zugeschanz­t haben. Er wiederum soll junge Autorinnen – mit Hinweis auf seinen Einfluss – Förderunge­n, Stipendien oder Preise versproche­n haben. Die beiden haben ihr System der Packelei jahrelang erfolgreic­h gehegt und gepflegt. Sie werden auch verdächtig­t, Namen bzw. eindeutige Hinweise im Fall von sieben Nobelpreis­trägern vorzeitig ausgeplaud­ert zu haben.

Auf die Skandale folgte ein Reigen an Rücktritte­n: Gleich mehrere Jurymitgli­eder legten ihre Arbeit nieder. Zehn von 18 blieben übrig, die Akademie verlor ihre Beschlussf­ähigkeit. Inzwischen hat der König ein formelles Recht auf Rücktritt der Mitglieder verankert.

Das ist der Stoff, aus dem dieser Skandal ist. Er wäre prosataugl­ich. Nicht als Königsdram­a, viel eher als Intrigante­nGroschenr­oman. Oder aber als Hoffnungsr­oman: Veränderun­g ist in Sicht. #Time’sUp.

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