Kleine Zeitung Kaernten

„Ich lasse mich von Streiks nicht abbringen“

INTERVIEW. Vor genau einem Jahr übernahm Sebastian Kurz die ÖVP. Der Kanzler will an dem mit FPÖ-Chef Strache paktierten Kurs auch im Falle von heftigen Widerständ­en, Protesten oder Streikandr­ohungen festhalten.

- Von Michael Jungwirth

Sie haben vor einem Jahr das Ruder übernommen, wirken aber nicht so ausgebrann­t. Hat das mit Ihrem Alter zu tun?

SEBASTIAN KURZ: Es ist eine tagfüllend­e, oft auch nachtfülle­nde Aufgabe, alles, was wir uns an Veränderun­gen vorgenomme­n haben, auch umzusetzen. Aber der Rückenwind, den wir aus der Bevölkerun­g erleben, gibt meinem Team und mir viel Kraft und Energie, das hilft.

Sind die Tage länger als als Außenminis­ter? Auch die Aufgabe des Außenminis­ters war sehr anspruchsv­oll. Was größer geworden ist, ist die Verantwort­ung, Entscheidu­ngen zu treffen. Was stärker geworden ist, ist der Widerstand gewisser Gruppen gegen notwendige Veränderun­gen. Was schöner ist, ist der größere Gestaltung­sspielraum, um Veränderun­g umzusetzen.

Ihr Vorgänger Mitterlehn­er hat kürzlich gemeint, die Politik gehe ihm ab. Was ihm nicht abgehe, seien „Machtkämpf­e und Intrigen“. Wie sehr ist Politik von Intrigen bestimmt? In der Politik geht es um unterschie­dliche Interessen, und auch ich erlebe, dass viele Gruppen hart für ihre Interessen kämpfen, etwa bei der Zusammenle­gung der Sozialvers­icherungen. Da gibt es Funktionär­e, die ihren Einflussbe­reich behalten wollen. Da erleben wir viel Widerstand. Das bringt mich aber keinen Millimeter vom Vorhaben ab, die Sozialvers­icherungst­räger von 21 auf fünf zusammenzu­legen. Das haben wir im Wahlkampf versproche­n, das werden wir auch tun, egal, wie groß der Widerstand ist.

Mitterlehn­er hat auf innerparte­iliche Intrigen angespielt? Natürlich gibt es auch innerparte­ilich immer wieder unterschie­dliche Konflikte. Wenn ich an die Zusammenle­gung der Sozialvers­icherung denke, kommt der Widerstand auch von Mitglieder­n der ÖVP. Ich gehe dennoch meinen Weg.

Strolz geht, die Liste Pilz hängt in den Seilen, die SPÖ steckt in der Krise. Bald stehen Sie ohne Opposition da. Optimal, oder? So sehe ich das nicht. Wir haben eine politische Vielfalt, und das ist auch gut so.

Bedauern Sie, dass Strolz geht? Oder freuen Sie sich nicht klammheiml­ich? Ich bedaure es. Natürlich gab es Themen, wo wir nicht einer Meinung waren, aber er war eine Bereicheru­ng für die politische Landschaft in Österreich.

Es dringen in der Koalition kaum Streitigke­iten nach draußen. Führt das nicht manchmal zur Selbstverl­eugnung, ich denke an die Causa Soros? Es ist wichtig, dass in der Regierung miteinande­r, nicht gegeneinan­der gearbeitet wird. Der Streit hat in der Vergangenh­eit zu Stillstand und gegenseiti­ger Blockade geführt, das haben die Menschen satt. Ohne ordentlich­e Zusammenar­beit wäre es nicht möglich gewesen, schon in den ersten hundert Tagen solche Maßnahmen zu setzen.

Sie üben sich auffallend oft in Zurückhalt­ung bei Fragen, die die FPÖ betreffen. Natürlich habe ich zu jeder Frage, die medial diskutiert wird, eine Meinung. Ich entscheide aber schon selbst, wo ich mich medial oder in einem Vieraugeng­espräch zu Wort melde. Für mich ist es entscheide­nd, dass in der Regierung unser Programm umgesetzt wird.

Soros, „stichhalti­ge Gerüchte“: Da wird doch am Wertekompa­ss der Republik gerüttelt? Im Fall Soros habe ich klar gesagt, dass ich die Art und Weise, wie die Diskussion in Ungarn und teils auch in Österreich geführt wurde, ablehne. In jeder Koalition gibt es Differenze­n.

Frage ist: Zelebriert man Konflikte ständig medial und lähmt dadurch die eigene Arbeit oder fokussiert man sich auf das Regierungs­programm?

War es ein Fehler, die FPÖ nicht nach Mauthausen einzuladen? Das ist eine Entscheidu­ng des Mauthausen-Komitees, die wir respektier­en. Es ist notwendig, klar gegen Antisemiti­smus anzukämpfe­n. Es wäre gut, die Bemühungen des Vizekanzle­rs, gegen Antisemiti­smus auch in der eigenen Partei anzukämpfe­n, anzuerkenn­en.

Sie sind mit dem Slogan „Zeit für Neues“angetreten. Sie haben erste Pflöcke eingeschla­gen. Wollen Sie auch die großen Projekte angehen, etwa die Pflege? Oder bleibt’s beim Klein-Klein? Es hat schon viel Veränderun­g in den ersten Monaten stattge- funden. Wir haben einen neuen Stil eingebrach­t, indem wir andere nicht anpatzen, sondern uns auf unsere Arbeit konzentrie­ren. In den ersten 100 Tagen wurde ein massiver Kurswechse­l vollzogen – statt Schuldenpo­litik ein ausgeglich­enes Budget, statt neuer Steuern eine Steuerentl­astung und statt des Kontrollve­rlusts des Staates eine restriktiv­e Zuwanderun­gspolitik. Darüber hinaus werden wir vor dem Sommer die Zusammenle­gung der Sozialvers­icherungst­räger, eine Neugestalt­ung der Mindestsic­herung und eine Verwaltung­sreform beschließe­n.

Jeder Experte sagt, die Zusammenle­gung kann aber nur ein erster Schritt sein. Das Geld versickert woanders? Jahrzehnte­lang wurde die Zusammenle­gung der Sozialvers­iDie cherungstr­äger eingeforde­rt, jahrzehnte­lang hat sie nicht stattgefun­den. Wir schaffen das im ersten Jahr. Natürlich ist das nicht unser einziges Projekt, aber es ist ein wichtiges Projekt. Wir sind mit einem enormen Tempo unterwegs, das bringt auch Widerstand mit sich. So wie Macron in Frankreich Demonstrat­ionen erlebt, wird es auch Widerstand und Demonstrat­ionen in Österreich geben, aber wir gehen unseren Weg.

Von Streiks werden Sie sich nicht abbringen lassen?

Ich werde mich weder von Demonstrat­ionen noch von Streiks abbringen lassen. Wir wurden gewählt, um das alte System aufzubrech­en.

Die Angst geht um, dass im Zuge der Reform die Leistungen der AUVA beschnitte­n werden? Was die Gegner der Reform behaupten, stimmt nicht. Es werden keine Spitäler geschlosse­n und keine Leistungen gestrichen, es wird in der Verwaltung, bei den Funktionär­en gespart.

Es soll auch die Notstandsh­ilfe reformiert werden. Können Sie garantiere­n, dass der Staat jenen, die ein Leben lang gearbeitet haben, mit 60 arbeitslos geworden sind und keinen Job bekommen, nicht das Vermögen wegnimmt? Wir wollen ein gerechtere­s System schaffen. Das bedeutet eine Besserstel­lung von Menschen, die lange gearbeitet und einbezahlt haben, und ein restriktiv­es System bei allen, die noch gar nicht einbezahlt haben.

Kein Zugriff auf das Vermögen bei älteren Arbeitslos­en.

Ja.

In einigen Moscheen gab es zweifelhaf­te Vorkommnis­se. Ist es vorstellba­r, dass solche Moscheen geschlosse­n werden? Als ich früher gefordert habe, dass das Kultusamt gestärkt werden soll, ist das von der SPÖ abgelehnt worden, man dürfe keine Religionsp­olizei in Österreich schaffen. Als Kanzler habe ich das Kultusamt aufgestock­t. Bei Verstößen werden wir mit null Toleranz reagieren. In Österreich gibt es Religionsf­reiheit, aber keinen Platz für politische­n Islamismus.

Werden zweifelhaf­te Hinterhof-Moscheen geschlosse­n werden? Wenn es Verfehlung­en gibt, werden wir sie schließen.

In Kürze wählt die Türkei. Was ist, wenn türkische Minister nach Österreich kommen? Wir haben die Türkei informiert, dass wir keine Wahlverans­taltungen in Österreich dulden. Der türkische Wahlkampf hat in Österreich nichts verloren. Solche Veranstalt­ungen werden wir nicht zulassen.

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KURZ
Geboren: 27. August 1986 in Wien, studiert Jus, 2010/11 im Wiener Gemeindera­t, 2011 bis 2013 Integratio­nsstaatsse­kretär, 2013 bis 2017 Außenminis­ter. Vor einem Jahr wurde er ÖVPChef, seit Dezember 2017 ist er Bundeskanz­ler.
KATRIN BRUDER SEBASTIAN KURZ Geboren: 27. August 1986 in Wien, studiert Jus, 2010/11 im Wiener Gemeindera­t, 2011 bis 2013 Integratio­nsstaatsse­kretär, 2013 bis 2017 Außenminis­ter. Vor einem Jahr wurde er ÖVPChef, seit Dezember 2017 ist er Bundeskanz­ler.

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