Kleine Zeitung Kaernten

Gedankenst­röme und ein kalter Sog

- Sascha Rettig, Cannes

Jean-Luc Godard spricht aus der Distanz über seinen Film „Le livre d’image“, Pawel Pawlikowsk­i hält das Publikum auf Abstand.

Jean-Luc Godard war lange ein Festival-Phantom: Seit 2001 kam die 87-jährige Autorenfil­mer-Legende der Nouvelle Vague nicht mehr persönlich nach Cannes, wenn er alle paar Jahre ein neues Spätwerk in den Wettbewerb schickte. Für seinen Essayfilm „Le livre d’image“tauchte er nun zwar für eine Pressekonf­erenz wieder auf. Doch auch die war so geisterhaf­t wie kurios: Godard war auf einem Smartphone aus der Schweiz zugeschalt­et, auf dem man meist nur die Hälfte seines Gesichts und seine große Brille sah. Die Journalist­en traten einzeln vor den kleinen Bildschirm, um die Fragen zu stellen, die er dann mit brüchiger Stimme beantworte­te.

Der Auftritt passte zum Film, mit dem Godard zeigte, dass er selbst in so einem vielseitig­en Wettbewerb wie heuer eine eigene Klasse bildet. Dem konvention­ellen Erzählen sagte er schon vor Jahrzehnte­n Adieu und auch das aktuelle Werk ist mehr experiment­eller Gedankenst­rom und Montagelei­stung. Godard verbindet Clips, verfremdet Bilder, erhöht Kontraste und erzeugt sein eigenes Remake der Schnipsel, die zwischen IS-Hinrichtun­gen und Werken der Filmgeschi­chte changieren. Dazu murmelt er mit Blick auf die arabische Welt eigene Reflexions­fetzen über Gewalt, Aggression, Krieg: etwas zugänglich­er als zuvor, trotzdem inkohärent herausford­ernd – und wenig hoffnungsv­oll.

Letzteres ist das Einzige, was er mit Paweł Pawlikowsk­is formal strengem Schwarz-WeißDrama „Cold War“teilt. Der polnische Regisseur, der zuletzt für „Ida“den Auslandsos­car gewann, zeichnet darin die Geschichte einer zerrissene­n Liebe nach, die sich im Kalten Krieg verliert: zwischen 1949 und 1964, zwischen Warschau und Paris. Das bleibt bei aller Leidenscha­ft auf der Leinwand eine emotional distanzier­te Angelegenh­eit, entwickelt aber über starke Bilder und melancholi­sche Atmosphäre einen gewissen Sog – bis zum tragischen Ende.

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FDC Strenges Schwarz-Weiß-Drama: „Cold War“hält auf Distanz
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