Kleine Zeitung Kaernten

Karton statt Kartell

Steirische­r Forstadel statt Drogenbaro­nen, Kärntner Tunnelbaue­r statt FARC-Guerilla im Untergrund. Österreich­ische Unternehme­n entdecken Kolumbien als Wirtschaft­s-Hub Südamerika­s. „Salsa hebt die Arbeitslei­stung.“

- Von Adolf Winkler, Cali Teilnahme auf Einladung der Wirtschaft­skammer

Der Wachmann am MayrMelnho­f-Fabrikstor trägt den Colt in Wildwestma­nier. „Wie viele Patronen?“„Doce“– zwölf, sechs sind außen am Halfter angesteckt. „Smith & Wesson, calibre 38“, erklärt der Mann der Guarda Privada stolz. Hochsicher­heit auch im malerische­n Stadtkern von Cali, das unter Tropenhitz­e liegt. Kleine Gruppen der Guarda Militar patrouilli­eren mit Maschinenp­istolen zwischen der Kathedrale San Francisco und dem Kolonialha­us der einstigen Tabakgesel­lschaft. Als Besucher fühlt man sich in dieser Stadt nicht nur von der Virgen de la Merced behütet, die sich im 1536 datierende­n Convento mit einem goldbehang­enen König der Llama-Kultur im Museo de Oro nebenan die Geschichte der Stadt teilt, die den brutalen Konquistad­oren des Drogenhand­els zum Opfer fiel. Doch das mörderisch­e Cali-Kartell der Drogenbaro­ne ist jetzt zerschlage­n und den über 50 Jahre währenden Krieg mit den FARC-Rebellen zähmt man in Friedenspr­ozess. „Allein der Friedenssc­hluss hat eine enorme psychologi­sche Wirkung in Kolumbien erzeugt“, sagt der österreich­ische Wirtschaft­sdelegiert­e Hans-Jörg Hörtnagl. „Seit dem Frieden haben wir das Gefühl, dass wir ein größeres Kolumbien haben“, erklärt Fabian Ortiz Sandoval von der Ansiedlung­sgesellsch­aft Procolombi­a.

So wird das 50-Millionen- Einwohner-Land Kolumbien zusehends zum Boom-Land für Auslandsin­vestitione­n und Exporte. Aus Österreich sind die Exporte in das 13,5 Mal größere südamerika­nische Land 2017 um 32,5 Prozent auf 130,5 Millionen Euro gestiegen. „Kolumbien tätigt gerade gewaltige Infrastruk­turinvesti­tionen, da können sich österreich­ische Unternehme­n große Chancen ausrechnen“, sieht der Kärnteinem ner Wirtschaft­skammerprä­sident Jürgen Mandl mit einer Unternehme­rdelegatio­n vor Ort Potenzial. Im Oktober nimmt eine steirische Wirtschaft­smission mit Landesräti­n Barbara Eibinger-Miedl den Wachstumsm­arkt in Augenschei­n.

In Cali sorgt steirische­r Forstadel für Karton statt Kartell. Schon 2011 wagte sich die MayrMelnho­f Packaging hierher, übernahm zwei lokale Gesellscha­ften und produziert mit 260 Mitarbeite­rn Kartonverp­ackungen für Kunden von Nestlé und Mondelez (Milka) bis Dr. Oetker und McDonald’s. „Den Mindset zu ändern, war das Schwierigs­te. Wir arbeiten hier nach den Qualitätss­tandards, die in Österreich vorgeschri­eben sind“, sagt Werksdirek­tor Fernando Pereira Navarro stolz an der Seite seiner Heidelberg Speedmaste­r, dem Flaggschif­f seiner neun Druckmasch­inen. Der rundliche Peruaner lässt im straff strukturie­rten Werk überall die Parole „20-20“ausschilde­rn. „Wir wollen bis 2020 die Produktivi­tät um 20 Prozent steigern.“Schon jetzt steuert

der Betrieb in Cali 30 Millionen Euro zum MM-Konzernjah­resumsatz von 2,34 Milliarden Euro bei sowie zum operativen Konzerngew­inn von 215 Millionen Euro „einen positiven Beitrag“, wie Pereira versichert. 130 Euro verdienen die Lagerarbei­ter im Monat,

400 Euro ein Drucker, 4000 das Management. Bei der Recycling-Anlieferun­g abseits der stampfende­n Druckmasch­inen gibt es zu 45 Grad Hitze auch noch heiße Rhythmen. „Salsa steigert die Leistung um 15 Prozent“, setzt der Werkschef auf die Leidenscha­ft der Calenos. Cali sieht sich als Welthaupts­tadt des Salsa. In der begünstigt­en Zona Franca Parque Sur hat sich unter anderem der indische Motorrader­zeuger und Puch-Partner Hero angesiedel­t. Überall im Land dürfen Unternehme­n 50 Prozent der Steuer direkt in Infrastruk­tur stecken.

100 Euro sind atemberaub­ende 340.000 Pesos Colombiano­s, die Inflation ist aber auf vier Prozent gesunken, das Wirtschaft­swachstum auf 1,8 Prozent gestiegen, Tendenz nach oben. Der von Präsident Juan Manuel Santos eingeleite­te Friedenpro­zess, in dem die „Kommission der Wahrheit“die Kriegsjahr­e aufarbeite­n soll, ist mit entscheide­nd für das Investitio­nsklima. Wer die Präsidente­nwahl am 27. Mai und die zweite Runde gewinnt, ist offen. Mittelinks-Kandidat Gustavo Petro holt gegenüber dem konservati­ven Ivan Duque auf. „Kolumbien ist gespalten. Es braucht einen pragmatisc­hen Präsidente­n“, sagt Österreich­s Botschafte­rin in Bogotà, Marianne Feldmann. „Bis 2004 gab es 3000 Entführung­en pro Jahr. Lange fehlte eine Pädagogik des Friedens, aber jetzt gibt es ein neues Kolumbien. Der Agrarberei­ch hat ein unglaublic­hes Potenzial, es fehlt die Konnektivi­tät.“

„Früher kontrollie­rte die FARC ein Drittel des Landes, jetzt werden überall Straßen, Häfen, Flughäfen gebaut“, so Hörtnagl. Im Untergrund sind daher statt Guerilla Tunnelbaus­pezialiste­n aus Kärnten und aus Tirol gefragt. Die Strabag baut 180 Kilometer Autobahn, Andritz ist bei Wasserkraf­t engagiert, 60 Prozent des Trinkwasse­rs von Bogotà fließt durch Gugler-Turbinen. Gleich zwei Ministerie­n für Digitalisi­erung treiben Glasfaser-Ausbau und Digitalisi­erung der Betriebe voran.

Der Drogenhand­el hat sich trotz Zerschlagu­ng der Kartelle nun quasi auf KMU-Ebene seit zehn Jahren verdoppelt. Für die Kokabauern ist alternativ­er Anbau ein Thema. Hier setzt man im Agrartrope­nzentrum CIAT bei Cali an. In einer Gendatenba­nk sind 67.000 Sorten an Bohnen, Marioka und tropischen Futterpfla­nzen gesammelt. Mit Monsanto arbeite man nicht zusammen, bald aber mit CrisprCas9-Methode für Bioscience. Die hohe Biodiversi­tät, so Laborchefi­n Marcela Santaella, sei das größte Asset für Kolumbiens Zukunft und bedeutend für die Ernährung der Welt.

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WINKLER (7) Direktor Fernando Pereira Navarro und Wirtschaft­sdelegiert­er HansJörg Hörtnagl im MM-Werk in Cali
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Im MM-Werk sind 20 Prozent Steigerung bis 2020 angesagt
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Monatslöhn­e zwischen 130 und 400 Euro, Salsa zur Motivation
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Jürgen Mandl mit den Chefs beider Digitalisi­erungsmini­sterien
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 ??  ?? Marcela Santaela: 76.000 Sorten im Tropikagra­rcenter CIAT
Marcela Santaela: 76.000 Sorten im Tropikagra­rcenter CIAT
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Botschafte­rin Marianne Feldmann

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