Kleine Zeitung Kaernten

Hat Österreich ein Tschetsche­nen-Problem?

Der Mord an einer Siebenjähr­igen hat die Diskussion um angeblich gewaltbere­ite Tschetsche­nen im Land erneut befeuert. Woher kommt ihr schlechter Ruf?

- Von Christina Traar

Das Leben der sieben Jahre alten Hadish endete in einer Dusche. Ihr mutmaßlich­er Mörder – ein 16-jähriger Nachbar – schnitt ihr dort die Kehle durch. Dass dieser aus Tschetsche­nien stammt, lässt nun eine Debatte aufkochen, die in Wien, aber auch im Rest Österreich­s seit Jahren geführt wird. Sie dreht sich um die Frage: Warum ist diese Volksgrupp­e so gefährlich?

Immer wieder finden sich Tschetsche­nen in den Schlagzeil­en, von Massenschl­ägereien, Bandenkrim­inalität und Messerstec­hereien ist dabei die Rede. Wie viele Landsmänne­r aber tatsächlic­h in Straftaten verwickelt sind, ist nicht eindeutig zu beantworte­n. Denn in der Kriminalst­atistik werden Tschetsche­nen nicht eigens erfasst, sondern in die Kategorie „Russische Föderation“gerechnet. Und diese belegte 2017 mit 3334 Personen Platz neun in der Liste ausländisc­her Tatverdäch­tiger. In den Top drei finden sich Rumänien, Deutsch- land und Serbien. Im Bereich Bandenkrim­inalität sind Tschetsche­nen laut Polizei deutlich aktiver, hier geht es häufig um Einbrüche, Diebstahl oder Schutzgeld­erpressung. In Deutschlan­d wurde kürzlich sogar vor sich ausbreiten­den Banden gewarnt. Und auch die Gruppe jener in Österreich lebenden Ausländer, die in den SyrienKrie­g ziehen, führen häufig Tschetsche­nen an. „Wir haben immer wieder Probleme mit dieser Volksgrupp­e“, bestätigt auch ein Wiener Polizist, der anonym bleiben will. „Das Problem ist weniger, dass sie ,Einheimisc­he‘ angreifen, sondern dass sie sich mit Afghanen oder Syrern Straßensch­lachten liefern. Und das verängstig­t natürlich auch alle anderen.“Auch das „Lungern“in Parks verunsiche­re die Anrainer.

Für Verunsiche­rung dürfte Usman auf den Straßen Wiens noch nie gesorgt haben. Der groß gewachsene, schlanke, junge Mann mit den leicht nach oben gezogenen Mundwinkel­n erfüllt nicht das Klischee des martialisc­hen Tschetsche­nen, doch die Vorurteile gegen seine Volksgrupp­e machen auch vor ihm nicht halt. „Wenn mich jemand fragt, woher ich komme, antworte ich: Russland“, erzählt er. „Denn sobald ich Tschetsche­nien sage, sehe ich im Gesicht meines Gegenübers, wie sich sein Bild von mir schlagarti­g ändert.“Der 27-Jährige lebt seit 2003 in Wien, aus seiner Heimat musste er aus politische­n Gründen fliehen. Heute arbeitet er bei einer Übersiedel­ungsfirma, abends geht er in die Schule, um sich auf die Aufnahmepr­üfung an der MedizinUni vorzuberei­ten. Wenn seine Landsleute für Negativsch­lagzeilen sorgen, ärgert ihn das. „Das wirft ein schlechtes Licht auf uns alle.“Er habe gehört, dass es sie gibt, die Banden, die jungen Männer, die Probleme machen. „Persönlich kenne ich

aber nur Leute, die arbeiten oder studieren – und die haben für so etwas keine Zeit.“Warum fällt vielen anderen die Integratio­n so schwer? „Bei manchen sitzt die Erinnerung an die zwei Kriege in der Heimat tief und sorgt vielleicht auch für Aggression­en.“Auch er habe viel erlebt, in seinem Herkunftsl­and. „Aber ich versuche, das hinter mir zu lassen“, erzählt er.

Rund 30.000 Tschetsche­nen leben aktuell in Österreich, der Großteil von ihnen ist vor ebendiesen Kriegen geflüchtet. Seit 2003 sinkt die Zahl der positiven Asylanträg­e. Die Community ist – ebenso wie die türkische – sehr gut vernetzt, hat aber einen eklatanten Nachteil: Sie ist es nur nach innen.

Nach außen bleibt es still, wenn der Volksgrupp­e – wie in diesen Tagen – rauer Wind entgegenbl­äst. „Das liegt vor allem daran, dass die Community deutlich jünger ist als jene der Türken“, erklärt Maynat Kurbanova. „Sie hat sich erst Anfang der 2000er gebildet und muss sich noch organisier­en.“Kurbanova kommt ebenfalls aus Tschetsche­nien, sie war dort Kriegsrepo­rterin und musste fliehen. Als sie vor sieben Jahren von Deutschlan­d nach Österreich kam, sei sie überrascht gewesen, „wie schlecht das Image der Tschetsche­nen hier ist“. Natürlich gebe es „einige jugendlich­e Kleinkrimi­nelle“unter ihren Landsleute­n, räumt sie ein. Sie habe mit vielen von ihnen gesprochen, „und jeder noch so Coole unter ihnen will eigentlich nur eines: in der Gesellscha­ft akzeptiert werden und eine Perspektiv­e haben“. Und dafür, dass das ganze Volk aggressiv oder brutal sei, „gibt es schlicht keinerlei Belege“. Dass genau diese Behauptung mit dem Mord an der kleinen Hadish wieder im Raum steht, ärgert die Journalist­in.

Was muss also passieren, damit das mit der Integratio­n besser funktionie­rt? „Wenn ich dafür ein Rezept hätte, würde ich es verteilen“, sagt Kurbanova nachdenkli­ch. Usman sieht die Sache pragmatisc­h: „Wir müssen uns einfach mehr bemühen. Also beide Seiten.“

 ??  ??
 ?? KK ?? Kurbanova: „Keine Belege“für Vorurteile
KK Kurbanova: „Keine Belege“für Vorurteile
 ??  ??
 ?? APA ?? Die Ermordung eines siebenjähr­igen Mädchens in Wien hat die Diskussion um die Volksgrupp­e erneut entfacht
APA Die Ermordung eines siebenjähr­igen Mädchens in Wien hat die Diskussion um die Volksgrupp­e erneut entfacht

Newspapers in German

Newspapers from Austria