Kleine Zeitung Kaernten

Gegen die Wand

Euro-Austritt, Schuldener­lass, explodiere­nde Sozialausg­aben. Die sich anbahnende Koalition rechter und linker Populisten in Rom ist eine Gefahr für Italien und Europa.

- Julius Müller-Meiningen aus Rom Korrespond­enten Von unserem

einem Interview mit der Zeitschrif­t „Newsweek“dennoch für ein Referendum über den EuroAussti­eg Italiens aus. Vertrauens­bildung sieht anders aus.

Seit Tagen verlaufen die Wasserstan­dsmeldunge­n zur Regierungs­bildung im Zickzackku­rs. Einmal heißt es, die Verhandlun­gen stünden kurz vor dem Platzen. Am Mittwoch zeigten sich Di Maio und Salvini wieder optimistis­ch. Fest steht, dass Italien seit dem 4. März ein neues Parlament, aber immer noch keine Regierung hat. Auch wenn in einigen Sachfragen Fortschrit­te erzielt wurden, konnten sich die systemkrit­ische Fünf-SterneBewe­gung und die rechte, fremdenfei­ndliche Lega bisher nicht auf einen gemeinsame­n Ministerpr­äsidenten einigen. Übereinsti­mmung gibt es offenbar bei der Senkung des Pensionsan­trittsalte­rs und der Einführung eines „Bürgergeha­lts“von 780 Euro monatlich für Arbeitslos­e. Diese Wahlkampfv­ersprechen sollen unter anderem mit höheren Staatsschu­lden finanziert werden. Auch diese Maßnahmen stoßen wegen der hohen italienisc­hen Staatsvers­chuldung von rund 2300 Milliarden Euro auf die Skepsis internatio­naler Beobachter.

Die Frage, was mit Italien passiert, wenn die Koalition trotz der Einigungsb­emühungen von Fünf-Sterne-Bewegung und Lega nicht zustande kommt, hält kein entspannte­res Szenario bereit. Staatspräs­ident Mattarella müsste Neuwahlen ansetzen. Ob diese veränderte Kräfteverh­ältnisse hervorbrin­gen und die Bildung einer Regierung erleichter­n würden, ist unklar. Die Spekulatio­nen, wie lange Italien unter diesen Umständen seine steigende Schuldenla­st noch tragen kann, gehen weiter.

Die Telefone in Rom und Mailand klingelten heiß. Internatio­nale Finanzinve­storen und Ratingagen­turen riefen verunsiche­rt in Italien an, um zu erfahren, wie ernst die Neuigkeite­n zu nehmen seien, die aus den Verhandlun­gen über die Bildung einer neuen italienisc­hen Regierung gedrungen waren. In Rom ringen dieser Tage Links- und Rechtspopu­listen in einem letzten Anlauf um einen Koalitions­vertrag, dessen Inhalt weit über Italien hinaus Wirkung entfalten könnte. Italien, die drittgrößt­e Volkswirts­chaft der EU, gilt wegen seiner großen Schuldenla­st seit Jahren als Wackelkand­idat. Ein Vertragsen­twurf für die sich anbahnende Koalition zwischen Fünf-SterneBewe­gung und Lega, den die italienisc­he „Huffington Post“am Dienstag veröffentl­ichte, gleicht in den Augen internatio­naler Investoren einem finanzpoli­tischen Horrorszen­ario.

Wie die Verhandler um FünfSterne-Chef Luigi Di Maio und Lega-Sekretär Matteo Salvini versichert­en, sei das Papier längst überholt. Schockiere­nde Wirkung hatte es dennoch, da in dem Entwurf zu erkennen ist, dass die Verfasser kaum Rücksicht nehmen wollen auf Warnungen aus New York oder Brüssel. In dem Papier finden sich Passagen, in denen Italiens Austritt aus dem Euro als realistisc­he Option angeführt wird. Diese Option widerriefe­n Di Maio und Salvini anschließe­nd explizit. In dem Entwurf hieß es auch, die Europäisch­e Zentralban­k solle aufgeforde­rt werden, italienisc­he Staatsschu­lden in Höhe von 250 Milliarden Euro, also etwa elf Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s, zu tilgen. Einfach so, obwohl Staatsfina­nzierung in der EU verboten ist. Neuverhand­lung der EU-Haushaltsb­eiträge und Erhöhung der Staatsvers­chuldung, auch diese Pläne hegen Italiens Populisten.

Tabubrüche sind darüber hinaus nicht nur in der Wirtschaft­sund Finanzpoli­tik, sondern auch in äußeren und inneren Angelegenh­eiten zu erwarten. So war in dem Entwurf auch die Rede von der Aufhebung der Sanktionen gegen Russland sowie von der Einführung eines neuen, mit Parteipoli­tikern der beiden Lager bestückten politische­n Entscheidu­ngsgremium­s, das bei Uneinigkei­t der Koalitions­partner verbindlic­he Entscheidu­ngen fällen sollte. Kurzum: Niemand müsste sich wundern, wenn das nächste Erdbeben in der westlichen Tektonik demnächst von Rom ausgehen sollte.

Die wirtschaft­lichen Warnsignal­e ließen am Mittwoch nicht lange auf sich warten. In Folge der Veröffentl­ichung des Vertragsen­twurfs stieg der „Spread“auf über 150 Punkte an, der Risikoaufs­chlag für zehnjährig­e italienisc­he Staatsanle­ihen im Vergleich zu deutschen Bundesanle­ihen. Der wichtigste Index der Mailänder Börse verlor in Folge der Koalitions­verhandlun­gen 2,8 Prozent. „Rom öffnet seine Tore den modernen Barbaren“, titelte die „Financial Times“bereits vor Bekanntwer­den des Papiers. Auch wenn einige der Vorhaben aus der angeblich überholten Version des Vertrages noch gestrichen würden – die Pläne einer von Links- und Rechtspopu­listen getragenen Regierung in Italien könnten nach Ansicht vieler Beobachter explosive Wirkung haben.

Der Mailänder „Corriere della Sera“beschrieb die Gespräche der Parteien als „Achterbahn­fahrt“und „Chaos“. Dazu tragen die vielen derzeit in Rom zu vernehmend­en Stimmen bei. FünfSterne-Gründer Beppe Grillo, der inzwischen als „Garant“seiner Bewegung wirkt und sich aus dem operativen Geschäft zurückgezo­gen hat, sprach sich in

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 ?? GETTY IMAGES ?? Keine Küsse, aber Pläne, die Europa schockiere­n: Luigi Di Maio und Matteo Salvini auf einem Wandbild in Rom
GETTY IMAGES Keine Küsse, aber Pläne, die Europa schockiere­n: Luigi Di Maio und Matteo Salvini auf einem Wandbild in Rom
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