Parteichef Christian Kern rückt die SPÖ weiter nach links. „Funktionärspartei“will man künftig nicht mehr sein.
Die SPÖ will sich neu erfinden und verortet sich links. Bei der Integration, die sich im Wahlkampf als rote Achillesferse entpuppt hat, pocht man hingegen auf klare Spielregeln.
Die SPÖ rückt nach links. Die Spitzengremien der Partei haben gestern ein neues Grundsatzprogramm verabschiedet. In dem 65-seitigen Papier, das der Kleinen Zeitung vorliegt, geht die SPÖ auf Distanz zum Dritten Weg. Auf die Frage, ob er sich mit der Zuschreibung anfreunden könne, dass es „links von Kern keinen Platz“geben soll, meinte SPÖChef Christian Kern im Gespräch mit Journalisten: „Ja, wenn Sie es so schreiben, habe ich nichts dagegen.“In der zweiten Juni-Hälfte stimmen 170.000 Mitglieder über den Entwurf ab, das letzte Wort fällt auf dem Parteitag Mitte Oktober.
Außerdem will sich die SPÖ von einer „Funktionärspartei“verabschieden. Politische Funktionen sollen auf zehn Jahre beschränkt werden, ein Verbleib in der Politik ist durchaus möglich, allerdings bedarf es einer Zweidrittelmehrheit. Betroffen davon wären etwa Sozialdemokraten wie Andreas Schieder oder Evelyn Regner, sollten sie bei der EU-Wahl im Mai 2019 kandidieren. Ebenso wird der Weg frei gemacht für eine Urwahl des Parteivorsitzenden, zehn Prozent der Mitglieder können verpflichtende Abstimmungen erzwingen, Koalitionsabkommen müssen in jedem Fall von der Basis abgesegnet werden.
„Das Herz der Sozialdemokratie schlägt nicht am Ballhausplatz, sondern an den Ziegelteichen am Wienerberg“, verweist der Parteichef auf das große Ganze. „Mein Ziel ist nicht die Nummer eins bei Umfragen, sondern dass die SPÖ in den nächsten Jahren zur progressiven Kraft im Land wird.“
Nun ist ein Grundsatzprogramm nicht mit einem Parteioder gar einem Wahlprogramm vergleichbar. Das Pathetische überwiegt, die Autoren sind sichtlich bemüht, die Seele der Partei zu streicheln. Auffällig ist allerdings, dass Kern Türen, die er im Plan A geöffnet hat, wieder zuschlägt. So werden etwa dem 12-Stunden-Tag (bei entsprechendem Ausgleich) oder Studienbeschränkungen klare Absagen erteilt. Auch fehlt das Bekenntnis zur Entrümpelung des Staates, nur beim Kapitel zu den Start-ups wird die Überbü-
rokratisierung des Staates angeprangert.
Über weite Strecke überwiegt die klassenkämpferische Rhetorik, vom „Abwehrkampf gegen die neoliberale Demontage des Sozialstaates“und der Überwindung des „entgrenzten kapitalistischen Systems“ist in dem Papier die Rede. „Die österreichische Sozialdemokratie versteht sich als Befreiungsbewegung.“
Konkret spricht sich die SPÖ für eine Arbeitszeitreduzierung aus, Kern bringt die Vier-TageWoche mit einem Bildungstag ins Spiel. Enthalten ist in dem Konvolut die Idee einer Maschinensteuer („ Roboter sollen den Sozialstaat finanzieren“) bei gleichzeitiger Senkung der Lohnnebenkosten. Von Studiengebühren oder Studienbeschränkungen, von einem Selbstbehalt will man ebenso wenig wissen wie von einer umfangreichen Pensionsreform. Die Forderung nach einem Arbeitslosen-Grundeinkommen hat man, so Kern, nach langen Debatten nicht ins Programm aufgenommen.
Nur in der Integrationspolitik – die große Achillesferse der Nationalratswahl – schlägt die SPÖ in dem Grundsatzprogramm neue Töne an. Zwar wird Österreich als „Einwanderungsgesellschaft“bezeichnet. Zuwanderer sollten aber unbedingt die deutsche Sprache erlernen. Gewarnt wird vor einer Politisierung der Religion und dem Überhandnehmen patriarchaler Strukturen. In jedem Fall sollten „Ängste beim Namen genannt“werden – was auch immer darunter zu verstehen ist. In der Integrationsfrage soll eine Arbeitsgruppe eingesetzt werden – bestehend aus Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser und der burgenländischen Zukunftshoffnung HansPeter Doskozil.
Das Herz der Sozialdemokratie schlägt nicht am Ballhausplatz, sondern an den Ziegelteichen am Wienerberg. Christian Kern