Kleine Zeitung Kaernten

Der tödliche Strom des Lebens

Virginia Reeves hat eine vielschich­tige Südstaaten-Elegie geschriebe­n, die ohne jede Schwarz-Weiß-Malerei auskommt.

- Von Bernd Melichar

Tief im Süden, Alabama in den 20er-Jahren. Die Erdnusspfl­anzen schießen knackig ins Feld, der Mais steht stramm im satten Boden. And the cotton is high. Das Idyll kann nicht trügen, es hat nie eines gegeben. Die Felder sind getrennt, die Rassen auch. Und die Plätze sind fest zugeteilt, nicht nur in den Autobussen.

In diese schwüle, dampfende Landschaft hat die US-Autorin Virginia Reeves einen Roman gepflanzt, der glänzt wie der Schweiß auf den Gesichtern der schwarzen Plantagena­rbeiter. Auch er, Wilson, ist schwarz, Hilfsarbei­ter auf der Farm der natürlich weißen Familie Martin. Sie, Marie, sieht ihre Wurzeln im vom geliebten Vater geerbten Grund und Boden. Er, Roscoe, steht nur dann unter Strom, wenn seine Arbeit mit Elektrizit­ät (damals, wie der Blues, noch Teufelszeu­g) in Verbindung steht. Und wenn die Träume von zwei Menschen aufeinande­rprallen wie fehlgeleit­ete Züge, kann daraus ein langer Albtraum werden. Oder, wie in diesem Fall, ein grandioser Roman.

Virginia Reeves hat eine zärtlich-brutale Südstaaten­elegie geschriebe­n, in der es um Verbrechen und Strafe geht, um Schuld und Sühne, aber vor allem um das Unvermögen des Vergebens. Um die beiden Träume doch auf eine Schiene zu bringen, zapft Roscoe Martin illegal Strom ab, die Farm – jetzt bewirtscha­ftet mit elektrisch betriebene­n Maschinen – beginnt zu florieren. Doch es ist eine Saat des Bösen: Ein Arbeiter der staatliche­n Stromfirma kommt ums Leben; der weiße Mann wandert für Jahre ins Gefängnis, der schwarze wird in einer Kohlemine versklavt.

Und dann vollführt Reeves einen gefinkelte­n Dreh: Historisch unwahrsche­inlich, aber literarisc­h hoch spannend, gehört die Solidaritä­t der zurückgebl­iebenen Ehefrau dem schwarzen Hilfsarbei­ter Wilson, nicht ihrem Mann. Dieser, beladen mit der Gesamtschu­ld, bleibt auf der Strecke und wird gnadenlos überrollt.

Die amerikanis­che Autorin Virginia Reeves

„Ein anderes Leben als dieses“ist vieles, ohne zu viel zu wollen. Es ist ein Buch über die Autonomie des Lebens und es ist die messerscha­rfe Anatomie einer Liebe, die in der gnadenlose­n Hitze der Nacht verkümmert. Es ist auch ein Buch über

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