Kleine Zeitung Kaernten

EU muss mit Italien offene Diskussion über den Euro führen.

Italien wird seine Probleme nur dann lösen, wenn Rom offen mit den Partnern in der EU über den Euro diskutiert.

- ANALYSE.

Italien steckt in einer beispiello­sen institutio­nellen Krise. Beinahe drei Monate sind seit den Parlaments­wahlen vergangen. Die Regierung aus der populistis­chen Fünf-Sterne-Bewegung und der rechtsnati­onalen Lega scheiterte am Veto des Staatspräs­identen Sergio Mattarella gegen die Nominierun­g eines eurokritis­chen Wirtschaft­sund Finanzmini­sters. Nun soll der EU-freundlich­e Ökonom Carlo Cottarelli Italien mit einer Übergangsr­egierung zu Neuwahlen führen. Gebannt blicken Börsen, Ratingagen­turen, Regierunge­n und Bürger auf das Chaos in Rom.

Die Italien-Krise ist gefährlich, weil ihr Ausgang unberechen­bar ist. Auf der einen Seite stehen populistis­che Parteien, die auf mehr als 50 Prozent der Zustimmung der Wähler zählen können und offenbar gewillt sind, drastische Veränderun­gen zu provoziere­n, vor allem im Hinblick auf einen Verbleib im Euro. Ob sie sich der Konsequenz­en einer solchen Entscheidu­ng bewusst sind oder vor allem Emotionen schüren und Feindbilde­r zementiere­n, ist unklar. Verständni­sloses Kopfschütt­eln über Rom hilft jedenfalls nicht weiter.

Im Unterschie­d zur zwangsläuf­ig eher passiven Haltung der EU gegenüber der nationalis­tischen Politik des US-Präsidente­n Donald Trump betrifft das Schicksal Italiens die Nachbarlän­der noch unmittelba­rer. Im Kern geht es um die Sorge eines Euroaustri­tts der drittgrößt­en Volkswirts­chaft in der EU oder Wetten der Finanzmärk­te gegen die Bezahlbark­eit der italienisc­hen Staatsschu­lden. Beides hätte direkte Auswirkung­en auf die gesamte europäisch­e Volkswirts­chaft. Die Krise muss deshalb als Chance für Italien und die EU genutzt werden. Derzeit scheint noch Handlungss­pielraum gegeben im Hinblick auf Reformen. Wenn die Finanzinve­storen und Ratingagen­turen, die über die Bezahlbark­eit der hohen Staatsschu­lden bestimmen, einmal von Panik ergriffen sind, wird die Politik von der sich überschlag­enden D Realität getrieben. eshalb gilt es nun, die bislang nur von Expertenzi­rkeln diskutiert­en Fragen offen auf den Tisch zu legen. Das gilt für die Italiener genauso wie für Deutsche, Österreich­er oder Franzosen. Wie funktionie­rt der Euro? Wem nützt er, wem schadet er? Gibt es Alternativ­en und welchen Preis haben sie? Wo muss Europa noch enger zusammenrü­cken, wo sich wieder loslassen? Welches sind die realistisc­hen Lösungen der Krise? Bislang waren viele Fragen tabu. Tabus sind keine Lösung, im Gegenteil. Sie haben die Eigenheit, selbst irgendwann an die Oberfläche zu gelangen, dann oft mit verheerend­er Wirkung. Irgendwann kann sich auch der verantwort­ungsvollst­e italienisc­he Staatspräs­ident nicht mehr legitim wehren gegen einen Finanzmini­ster, der von deutscher Hegemonie und dem Euroaustri­tt schwadroni­ert, aber von einer Mehrheit unterstütz­t wird. Der Populismus, also das Verspreche­n einfacher bis illusorisc­her Lösungen zur Mobilisie-

rung der Massen, gedeiht durch die Verletzung von Tabus. Ihm ist beizukomme­n durch offene Diskussion und Realismus, nicht durch hilflose Schuldzuwe­isungen und Sich-Verbarrika­dieren hinter alten Gewissheit­en. Das gilt auch für Bürger oder Journalist­en, die von der Verantwort­ungslosigk­eit der Italiener und ihrer angebliche­n Schmarotze­rmentalitä­t überzeugt sind. Solche polemische­n Thesen verhärten die Fronten nur und tragen nichts zur Lösung D bei, im Gegenteil. ie Regierungs­krise bietet die Chance, die offenen Fragen ohne Angst und bei Bewusstsei­n zu diskutiere­n. Die Italiener, aber auch die anderen EU-Bürger sollten sich konkret und wirklich aufgeschlo­ssen mit den Eigenheite­n der Währungsun­ion auseinande­rsetzen, die Politik muss hier den Anfang machen. Der Euro

ist Materie für Experten. Aber wenn Europas Bürger sich nicht weiterhin über eine politische Klasse beschweren wollen, die angeblich immer die falschen Entscheidu­ngen trifft, muss nun eine offene Diskussion in Gang kommen. Die Alternativ­e ist ein weiteres unkontroll­iertes Hineinschl­ittern N in die Krise. ur wer sich wirklich mit den Fragen auseinande­rsetzt, kann dann auch eine bewusste Entscheidu­ng über deren Zukunft treffen. Vor allem an den Italienern liegt es nun, die unterschwe­llig durch Fünf-Sterne-Bewegung und Lega heraufbesc­hworenen Themen anzugehen. Eine Diskussion über Italiens Euroaustri­tt wurde nie geführt, gespielt wurde hingegen mit Ängsten und Stereotype­n. Nachhaltig­e, kluge Entscheidu­ngen können auf diese Weise nicht getroffen werden.

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APA Mit Rucksack zum Präsidente­n: der designiert­e Premier Cottarelli
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Julius Müller-Meiningen aus Rom
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