Kleine Zeitung Kaernten

„Plastik ist überall“

- Von Sonja Saurugger

INTERVIEW. Die EU will der Plastikflu­t mit einem Verbot beikommen: Noch weiß

die Medizin viel zu wenig über die Langzeitwi­rkung von Weichmache­rn & Co., die sich in unserem Körper sammeln. Umweltmedi­ziner Hans-Peter Hutter über sinkende Spermienza­hl und

geschädigt­e Kinderzähn­e.

Welche sind die problemati­schsten Stoffe, die aus Plastik in unseren Körper gelangen?

HANS-PETER HUTTER: Dazu zählen sicher Weichmache­r wie Phthalate und Bisphenole. Aber auch andere Stoffe wie bromierte Flammschut­zmittel, Hitzeund UV-Stabilisat­oren oder Duftstoffe dürfen nicht vernachläs­sigt werden. Es sind nicht nur die einzelnen Chemikalie­n, es ist die große Zahl der beigesetzt­en Stoffe, zu deren Langzeitwi­rkung wir großteils kaum etwas wissen.

Auf welchen Wegen gelangen diese Stoffe in unseren Körper?

Wesentlich ist sicher die orale Aufnahme etwa über Nahrungsmi­ttel oder bei krabbelnde­n Kleinkinde­rn zusätzlich über Hausstaub. Aber auch über die Atemwege und die Haut gelangen die Substanzen in unseren Organismus, zum Beispiel über Kleidung, die diese Stoffe enthält.

Die hormonelle Wirksamkei­t der Stoffe wird besonders kritisiert: Was weiß man über die Auswirkung­en?

Sind sie schuld, dass Männer weniger fruchtbar sind? Am Beginn der Forschung stan- den der negative Einfluss auf die Entwicklun­g des Embryos und auf die Fähigkeit zur Fortpflanz­ung im Fokus. So wurden zum Beispiel Fehlbildun­gen der Genitalien mit diesen Stoffen in Zusammenha­ng gebracht. Eine US-Studie hat auch gezeigt: Haben Schwangere häufig Kontakt mit Weichmache­rn, wirkt sich das negativ auf die Intelligen­z ihrer Kinder aus. Heute häufen sich auch Hinweise darauf, dass die Stoffe Auswirkung­en auf die Schilddrüs­e haben und im Zusammenha­ng mit Diabetes stehen. Es scheint auch, dass der Weichmache­r Bisphenol die Zähne von Kindern schädigt: Ihr Zahnschmel­z entwickelt

nicht richtig, die Zähne werden brüchig und anfällig für Karies.

Und wie ist das jetzt mit der Fruchtbark­eit?

Es stimmt, dass bei jungen Männern in industrial­isierten Ländern die Zahl der Spermien sinkt. Die männliche Fruchtbar- hängt aber von vielen Faktoren ab, etwa von Stress. Eine gewisse „Mitschuld“ist den hormonell wirksamen Stoffen aber sicher nicht abzusprech­en.

Können diese Stoffe auch krebserreg­end sein?

Sie stehen zumindest im dringenden Verdacht, die Anfälligsi­ch keit für Krebsarten wie Prostataun­d Brustkrebs zu erhöhen.

Die WHO hat hormonell wirksame Stoffe als globale Gesundheit­sbedrohung eingestuft – teilen Sie diese Meinung?

Ja. Neben dem Klimawande­l und der Luftversch­mutzung sind Umweltchem­ikalien sikeit cherlich eine globale Gefahr. Nicht nur, was die unmittelba­re Auswirkung auf uns Menschen betrifft. Es zeigen sich teils massive Beeinträch­tigungen im Ökosystem der Meere, denken Sie nur an das Mikroplast­ik. In Folge kommt es zu einer Störung der Nahrungske­tten. Und damit ist auch unsere Lebensgrun­dlage betroffen. Nur leider wird das allzu oft weggewisch­t.

Können wir den Schadstoff­en überhaupt noch entkommen?

Wir können unsere Aufnahme minimieren. Aber selbst bei eisernem „Plastikfas­ten“, also wenn man jede Berührung mit Plastik meidet, bleibt eine Restbelast­ung im Körper bestehen. Das konnten wir in Studien zeigen.

Welche Tipps für den Umgang mit Kunststoff im Alltag haben Sie?

Plastik ist überall. Das heißt aber auch: Wir haben viele Möglichkei­ten, es zu minimieren. Dabei gilt: Selbst Kleinigkei­ten zu vermeiden, bedeutet eine Reduktion der Belastung! Sie sollten auf Plastikstr­ohhalme und Plastiksac­kerln sowie auf Kosmetika mit Mikroplast­ik verzichten, Leitungswa­sser trinken, bei Kindern so weit wie möglich plastikfre­ie Spielsache­n anschaffen. Und nicht zuletzt: aktiv werden und Aktionen unterstütz­en.

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Selbst wer „Plastik fastet“, hat Rückstände gefährlich­er Chemikalie­n im Körper

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