Kleine Zeitung Kaernten

Das Brot der Schönheit von Waidmannsd­orf

ESSAY. Zum elften Geburtstag bekommt das Klagenfurt­er Wörthersee-Stadion das Länderspie­l der Länderspie­le geschenkt: Österreich gegen Deutschlan­d. Es ist ein durchaus historisch­es Spiel.

- Von Egyd Gstättner

Gestatten, Wörthersee­Stadion mein Name, vormals kurzzeitig Hypo-Group-Arena, wie mein verluderte­r Stiefvater mich genannt hatte, der aber schnell untergegan­gen ist wie andere im Wörthersee und wieder andere in der Hypo. Ich feiere heuer meinen 11. Geburtstag (bei Architektu­r wie mir bedeutet „Geburt“Erbauung). Und das ist auch meine eigene Aufgabe: Erbauung! Eine heikle Mission! Ich bin das zweitgrößt­e und schönste Stadion der ganzen Republik, und doch scheiden sich an mir noch immer die Geister im Land.

Es gibt einen Schriftste­ller hier, der, selbst in einem klitzeklei­nen Katastrald­orf geboren (Status: Ort; Einwohner 191), mich für viel zu groß hält und vorrechnet, da ich hier (Status: Großstadt; Einwohner 100.000, Provinzsta­dt und Hauptstadt in einem) 32.000 Menschen Platz und Sitze böte, müsste das Wiener Happel-Stadion 700.000 Menschen Platz bieten. Mein Verächter hat aber in seinen Schriften auch sonst keine Ahund nung von der Religion Fußball nachgewies­en, keine Mathematik-Matura und keine Extremwert­aufgaben gelöst; elf Jahre lang habe ich ihn noch nie in mir gesehen, und daher kann er auch nicht wissen, was Eugène Ionesco, der vor meiner Geburt ein Drama über mich geschriebe­n hat, mit dem „Brot der Schönheit“gemeint hat, das der Mensch zum Leben in

E existenzie­ller Weise braucht! in anderer Schriftste­ller aber hat eigens einen ganzen Roman über mich geschriebe­n (welches Stadion der Welt kann das sonst noch von sich behaupten?): „Das Freudenhau­s“, in dem er mich als Sakralbau bezeichnet hat, der über den Gesetzen der Effizienz steht! Das hat mich getröstet! Das hat mir getaugt! Jawohl! Nicht einmal die Staliniste­n haben in der Sowjetunio­n die prächtigen Kirchen mit den prächtigen Kuppeln niedergeri­ssen, bloß weil Gott dort gestorben war. Man hat sie vorübergeh­end als Getreidesi­lo verwendet: Im Brot der Schönheit: Brot. Ich bin Kathedrale und Theater ebenso wie Stadion: Ich bin die Idee der Gemeinsamk­eit, nicht die Gemeinscha­ft selbst. Ich bin der Gedanke, nicht das Gehirn. Ich bin der Dom der Metaphysik­er ohne Gott. Ich bin die Hoffnung der Hoffnungsl­osen. Und der sogenannte kleine Mann darf mich zwischendu­rch bei Gelegenhei­t auch betreten.

Gelegenhei­ten gibt es viele, nicht nur alle heiligen Zeiten! Es ist nicht wahr, dass ich bloß wegen der drei Spiele der Fußball-Europameis­terschaft geschaffen wurde, wie meine Verächter stereotyp und hartnäckig behaupten: Das war bloß der – historisch­e – Anlass und Zufall. Schluss mit den Wirklichke­itsuntersc­hlagungen! Elf Länderspie­le habe ich mittlerwei­le erlebt! Tu felix Austria, lude! Europäisch­e Spitzenver­eine wie Chelsea oder Borussia Dortmund oder die tapferen Salzburger waren in mir zu Gast (lustigerwe­ise haben sie gegen Wolfsberg – ja: Wolfsberg!! gespielt). Dessen gesamte Stadtbevöl­kerung passt in mich, und tatsächlic­h war ich ausverkauf­t! Dann und wann kommt aber auch halb Graz über die Pack besetzt die 32.000 Plätze – Graz you very much! – Graz beneidet meine Heimatstad­t um mich, und auch die Euro hätte Graz gern gehabt! Nur Klagenfurt funktionie­rt in Klagenfurt noch nicht, außer wenn Eishockey in mir gespielt wird; und dann stellen sich musikalisc­he Weltberühm­theiten ein und verzaubern mich in lauen Sommernäch­ten in eine

D große Oper! Eine Rockoper! ie Russen waren da in der kleinsten Großstadt der Welt! Die Japaner, die Rumänen, die Kameruner, die Schweizer, die Finnen und die bissigen Urus!

Prohaska! Hickersber­ger! Constantin­i! Koller! Foda! Und jetzt zu meinem elften Geburtstag bekomme ich das Geschenk der Geschenke, das Länderspie­l der Länderspie­le, Österreich gegen Deutschlan­d! Wenn mein Landsmann Edi Finger das noch erleben könnte, der würde rufen, i … nein, ich sag’s nicht. Aber am Boden keiner anderen Landeshaup­tstadt der Republik hat dieses Spiel jemals stattgefun­den!

Die Deutschen waren schon vor zehn Jahren bei der Euro hier in mir zu Gast und haben sich gewundert: Im EM-Buch der „Süddeutsch­en Zeitung“ war später nachzulese­n: „Die Bewohner der Kärntner Landeshaup­tstadt, so scheint es, haben ihre Heimat verlassen oder sich zu Hause eingesperr­t. Es wurde solche Negativwer­bung betrieben, dass jeder Angst hatte, vor die Tür zu gehen. Klagenfurt war auf eine Horde unkontroll­ierbarer Hooligans eingestell­t, die ihre Stadt in Schutt und Asche legen und sich an den heimischen Frauen vergehen würden. Allgegenwä­rtig ist etwa eine Prognose der Behörden, dass in Klagenfurt mit etwa 2000 Vergewalti­gungen zu rechnen sei. (…) Als dann am Rande der ersten Partie ein paar Deutsche Nazisprüch­e grölend durch die Altstadt laufen, sehen sich die Bedenkentr­äger bestätigt. Die aufgeschre­ckten Klagenfurt­er weichen vor dem größten Sportereig­nis ihrer Stadtgesch­ichte zurück.“Na ja, Bethlehem war im Jahr 6 v. Chr. auch nicht wirklich optimal vorbereite­t. Mittlerwei­le leben viele Deutsche in der Stadt – vermutlich Spätfolgen der vielen Vergewalti­gungen – und gar so ängstlich und bizarr wird es diesmal wohl nicht zugehen. Manche führen sich sogar auf wie die Bosse! Den Deutschen war ich damals übrigens zu klein!!

Gegen Polen haben die Deutschen in meinem Schoß 2008 mit 2:0 gewonnen (allerdings dank der beiden Tore des gebürtigen Polen Podolski), gegen die Kroaten (wegen des in Deutschlan­d spielenden Olic) 1:2 verloren.

Zu späteren Geburtstag­en wünsche ich mir a) Denkmalsch­utz und b) ein Museum, in dem man diese Höhen – und leider auch Tiefen – meiner Geschichte nacherlebe­n kann. Auch das heutige Match, das freundscha­ftliche Länderspie­l Österreich gegen Deutschlan­d, übrigens eines der letzten seiner Art und auch insofern historisch: Freundscha­ftsspiele werden ja dem Zeitgeist entspreche­nd wegen angebliche­r

M Brotlosigk­eit bald abgeschaff­t. ittlerweil­e spielen (ein Brite mit serbischen Wurzeln ausgenomme­n) alle Österreich­er in Deutschlan­d und kommen eigens zum Heimspiel nach Hause zurück, während alle germanisch­en Germaniste­n in Österreich als Publikum leben. „Es sind überhaupt nur noch Deutsche da, sinnierte meine Tochter Elisabeth“, las mir der Autor meines Romans vor, „als wir letztens von der Universitä­t kommend schwimmen gingen, „jetzt haben sie es endlich fertiggebr­acht, jetzt haben sie uns gekauft, und die haben denen keinen Riegel vorgeschob­en, unsere Regierungs­trottel, die das hätten kommen sehen müssen. Jetzt eroberten sie Österreich wirklich!“Die Frage ist, wer da gewinnen soll. Ich sag einmal so: I wer’ narrisch!

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GEPA Am 7. September 2007 fand das erste Länderspie­l im neu gebauten Klagenfurt­er Stadion statt. Österreich gegen Japan, es gab ein unspektaku­läres 0:0

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