Der Kampf um eine österreichische Identität
Die neue Regierung hat einen uralten Konflikt im Land in den Fokus gerückt.
Walter Hämmerle agiert in einem Provisorium. Demnächst bekommt der Journalist voraussichtlich einen neuen Chef oder eine Chefin. Im November 2017 hat er nach der Entlassung von Reinhard Göweil geschäftsführend die Leitung der „Wiener Zeitung“übernommen, nun rückt er wieder in die Stellvertretung zurück. Er hat in der Redaktion miterlebt, wie 2005 Andreas Unterberger von ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel als Chefredakteur eingesetzt wurde, 2014 dann Göweil von SPÖKanzler Werner Faymann. Nun also wird die ÖVP wieder einen Wunschkandidaten für die Zeitung, die zu 100 Prozent im Besitz der Republik Österreich ist, auswählen. Hämmerle kennt den Kampf um Österreich aus hautnaher Erfahrung. Diese Zerreißzonen in der Republik hat er sich auch vorgenommen und daraus einen Überblick über die Geschichte der Spaltung seit der Gründung 1918 und wie diese Spaltung das Land und seine Menschen geprägt hat, geschrieben. Es ist ein Kampf um Identität, stellt der Journalist fest, denn der „neue Kampf um Österreich“ist ein „Bürgerkrieg“zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Lagern. Wobei dieser Kampf um die Deutungshoheit vermehrt in den sozialen Medien und anderen digitalen Plattformen ausgefochten wird. In diesem Kampf um die Vorherrschaft findet dann laut Hämmerle ein sachlich-nüchterner Blick auf politische Vorgänge mitunter nicht mehr statt. Es wird nur gefragt, ob etwas der Sache im Lagerkampf dient. Ob das im Interesse der Allgemeinheit ist, wird dabei oft vergessen oder gar missachtet. Deshalb ist der „neue Kampf “auch etwas unscharf formuliert, denn Hämmerle sieht den Ursprung der fehlenden einheitlichen Identität bereits im Jahr 1918, der sich bis heute mit immer neuen Mitteln und Frontlinien ungebrochen weiterschreibt. Das Werk von Hämmerle ist eine Fleißarbeit und ein ordentlicher Ansatz, die österreichische Fixierung auf die Parteien im Land als einzige Quelle des politischen Lebens anlässlich des runden Republikjubiläums grundsätzlich einmal zu überdenken.