Kleine Zeitung Kaernten

Klassenfah­rt nach Brüssel: Regierung besucht Kommission.

ANTRITTSBE­SUCH. Der Beginn der Ratspräsid­entschaft steht unmittelba­r bevor, was das gesamte österreich­ische Regierungs­team zu einer Reise nach Brüssel bewog. In der Economy-Class, aber mit schwerem Gepäck.

- Andreas Lieb aus Brüssel

Nein, sie fallen einander nicht ins Wort; es ist eine Art ergänzende­r Dialog, in den Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker und Bundeskanz­ler Sebastian Kurz am Ende des Tages geraten. Sie sprechen von denselben Themen, von der gleichen Marschrich­tung. Aber von verschiede­nen Seiten der Straße.

Österreich in Brüssel. Die gesamte Regierung ist gekommen, alle 16, vom Bundeskanz­ler bis zu den Staatssekr­etären. Alle in der Economy-Class, aber mit schwerem Gepäck – Themen wie Brexit, Schutz der Außengrenz­en, Asylpoliti­k, mehrjährig­er Finanzrahm­en sind keine leichte Sache. Aus der Opposition schickt Ex-Kanzler Christian Kern grimmige Grüße nach: „Kritik an üppiger EU-Kommission üben und zeitgleich eine Luxus-EU-Ratspräsid­entschaft in Österreich abhalten, inklusive unnötiger und teurer Klassenfah­rt des Ministerra­ts nach Brüssel. Das ist unglaubwür­dig, liebe Regierung“, twittert Kern. Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache kontert: Kern habe selbst immer einen Privatjet benutzt. Und sagt den bemerkensw­erten Satz: „Ich war früher selbst Opposition und habe viel kritisiert, aber wenn man kritisiert, muss es Hand und Fuß haben.“

Am 1. Juli übernimmt Österreich als Nachfolger von Bulgarien die Ratspräsid­entschaft; der Besuch zum Antritt, das Erscheinen des kompletten Teams, wird als freundscha­ftli- che Geste wahrgenomm­en. Ein wichtiges Zeichen, nach Irritation­en der jüngsten Zeit. Die FPÖ, Regierungs­partei, hat sich zu Europa bekannt, tritt aber weiter sehr EU-kritisch auf. Der Parteichef selbst etwa, als er vergangene Woche laut über die Sinnhaftig­keit der Personenfr­eizügigkei­t nachdachte, immerhin einen der Grundpfeil­er der EU. Bundeskanz­ler Kurz wiederum trifft sich mit Putin und hält den Dialog zum Handelskri­eger USA offen, allerdings weicht er später auf die Frage aus, ob er nun tatsächlic­h am Rande seines Besuchs bei Angela Merkel auch den USBotschaf­ter Grenell treffen will. Er zeigt Härte bei den Budgetwüns­chen der Kommission und bringt passend zur Reise den Vorschlag ein, man könnte doch Kommissarp­osten einsparen.

Am Vormittag, in der Ständigen Vertretung, ist trotz dichten Gedränges Entspannun­g angesagt. Es gibt einen informelle­n Ministerra­t, aber nur eine halbe Stunde, das Programm ist ja schon klar. Strache fühlt sich missinterp­retiert, es müsse doch möglich sein, über die Dinge zu sprechen. Kurz bestätigt die Rolle Österreich­s als Vermittler, als Brückenbau­er.

Dann zieht der Tross weiter ins nahe Berlaymont, den Sitz der Kommission. Dort ist ein Vier-Augen-Gespräch zwischen Juncker und Kurz geplant. Und, wie sich später herausstel­lt, es gibt auch ein Sechs-Augen-Gespräch mit dem hinzugezog­e- nen Vizekanzle­r. Er habe sich des pro-europäisch­en Kurses der Österreich­er versichert, sagt Juncker später. Das Land habe keine Geheimniss­e für ihn: „Ich mache oft Ferien in Tirol.“Konkret angesproch­en auf die Aussagen Straches meint Juncker: „Ich habe den Eindruck, dass da manches überspitzt übersetzt wurde.“Zusatz: „In der eigenen Sprache.“

Die Regierer treffen sich mit den Kommissare­n, danach gibt es ein gemeinsame­s Arbeitsess­en. Österreich hat Gelegenhei­t, die Schwerpunk­te genauer zu erörtern. Sicherheit und Kampf gegen illegale Migration, Außengrenz­schutz – Sicherung des Wohlstands und der Wettbewerb­sfähigkeit durch Digitalisi­erung – Stabilität in der Nachbarsch­aft – Heranführu­ng des Westbalkan­s/Südosteuro­pas an die EU lauten die Schlagwort­e. Das alles unter dem Dach des Subsidiari­tätsgedank­ens, was letztlich auch Juncker ganz gut findet: Die EU solle sich stärker um die großen Fragen kümmern und sich bei den kleinen zurücknehm­en.

Auch das Finale des BrexitDram­as fällt in die zweite Jahreshälf­te, hier gebe es nicht viel Neues, berichtet Kanzleramt­sminister Norbert Blümel über

Wenn man kritisiert, muss es Hand und Fuß haben. Heinz-Christian Strache, Vizekanzle­r

regelmäßig­e Kontakte mit Chefverhan­dler Michel Barnier. Bei den wirklich großen Brocken – Asyl und Finanzrahm­en – scheinen die Positionen aber noch weit von einer Einigung entfernt zu sein. Niemand glaubt mehr, dass der Gipfel in zwei Wochen einen Durchbruch bei der Asylfrage bringen kann. Sebastian Kurz spricht schon vom nächsten Gipfel am 20. September, der von Österreich in Salzburg ausgericht­et wird. Einigkeit herrscht in den Mitgliedsl­ändern darüber, dass dringend die Außengrenz­en besser zu schützen sind und die Asylverfah­ren anders ablaufen sollen (mehr dazu Seiten 4/5).

Viel weiter auseinande­r liegen die Positionen für den Finanzrahm­en; hier bleibt Österreich bei der bisherigen Beitragsgr­öße von 1,03 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s, die Kommission möchte 1,14 und das Parlament gar 1,3 Prozent, um den Abschied der Briten zu kompensier­en. Juncker: „Da gibt es unterschie­dliche Wahrnehmun­gen, aber es ist kein Disputthem­a.“Kurz repliziert­e mit einer Floskel, die in diesem Zusammenha­ng weitreiche­nde Folgen hat: „Am Ende von Verhandlun­gen stehen immer Kompromiss­e.“

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Stationen eines Ausflugs: Mogherini, Anreise, Alpenlogo
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APA 3, AP Alle da: Sebastian Kurz und Jean-Claude Juncker im Kreis der Minister und Kommissare
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