Klassenfahrt nach Brüssel: Regierung besucht Kommission.
ANTRITTSBESUCH. Der Beginn der Ratspräsidentschaft steht unmittelbar bevor, was das gesamte österreichische Regierungsteam zu einer Reise nach Brüssel bewog. In der Economy-Class, aber mit schwerem Gepäck.
Nein, sie fallen einander nicht ins Wort; es ist eine Art ergänzender Dialog, in den Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Bundeskanzler Sebastian Kurz am Ende des Tages geraten. Sie sprechen von denselben Themen, von der gleichen Marschrichtung. Aber von verschiedenen Seiten der Straße.
Österreich in Brüssel. Die gesamte Regierung ist gekommen, alle 16, vom Bundeskanzler bis zu den Staatssekretären. Alle in der Economy-Class, aber mit schwerem Gepäck – Themen wie Brexit, Schutz der Außengrenzen, Asylpolitik, mehrjähriger Finanzrahmen sind keine leichte Sache. Aus der Opposition schickt Ex-Kanzler Christian Kern grimmige Grüße nach: „Kritik an üppiger EU-Kommission üben und zeitgleich eine Luxus-EU-Ratspräsidentschaft in Österreich abhalten, inklusive unnötiger und teurer Klassenfahrt des Ministerrats nach Brüssel. Das ist unglaubwürdig, liebe Regierung“, twittert Kern. Vizekanzler Heinz-Christian Strache kontert: Kern habe selbst immer einen Privatjet benutzt. Und sagt den bemerkenswerten Satz: „Ich war früher selbst Opposition und habe viel kritisiert, aber wenn man kritisiert, muss es Hand und Fuß haben.“
Am 1. Juli übernimmt Österreich als Nachfolger von Bulgarien die Ratspräsidentschaft; der Besuch zum Antritt, das Erscheinen des kompletten Teams, wird als freundschaftli- che Geste wahrgenommen. Ein wichtiges Zeichen, nach Irritationen der jüngsten Zeit. Die FPÖ, Regierungspartei, hat sich zu Europa bekannt, tritt aber weiter sehr EU-kritisch auf. Der Parteichef selbst etwa, als er vergangene Woche laut über die Sinnhaftigkeit der Personenfreizügigkeit nachdachte, immerhin einen der Grundpfeiler der EU. Bundeskanzler Kurz wiederum trifft sich mit Putin und hält den Dialog zum Handelskrieger USA offen, allerdings weicht er später auf die Frage aus, ob er nun tatsächlich am Rande seines Besuchs bei Angela Merkel auch den USBotschafter Grenell treffen will. Er zeigt Härte bei den Budgetwünschen der Kommission und bringt passend zur Reise den Vorschlag ein, man könnte doch Kommissarposten einsparen.
Am Vormittag, in der Ständigen Vertretung, ist trotz dichten Gedränges Entspannung angesagt. Es gibt einen informellen Ministerrat, aber nur eine halbe Stunde, das Programm ist ja schon klar. Strache fühlt sich missinterpretiert, es müsse doch möglich sein, über die Dinge zu sprechen. Kurz bestätigt die Rolle Österreichs als Vermittler, als Brückenbauer.
Dann zieht der Tross weiter ins nahe Berlaymont, den Sitz der Kommission. Dort ist ein Vier-Augen-Gespräch zwischen Juncker und Kurz geplant. Und, wie sich später herausstellt, es gibt auch ein Sechs-Augen-Gespräch mit dem hinzugezoge- nen Vizekanzler. Er habe sich des pro-europäischen Kurses der Österreicher versichert, sagt Juncker später. Das Land habe keine Geheimnisse für ihn: „Ich mache oft Ferien in Tirol.“Konkret angesprochen auf die Aussagen Straches meint Juncker: „Ich habe den Eindruck, dass da manches überspitzt übersetzt wurde.“Zusatz: „In der eigenen Sprache.“
Die Regierer treffen sich mit den Kommissaren, danach gibt es ein gemeinsames Arbeitsessen. Österreich hat Gelegenheit, die Schwerpunkte genauer zu erörtern. Sicherheit und Kampf gegen illegale Migration, Außengrenzschutz – Sicherung des Wohlstands und der Wettbewerbsfähigkeit durch Digitalisierung – Stabilität in der Nachbarschaft – Heranführung des Westbalkans/Südosteuropas an die EU lauten die Schlagworte. Das alles unter dem Dach des Subsidiaritätsgedankens, was letztlich auch Juncker ganz gut findet: Die EU solle sich stärker um die großen Fragen kümmern und sich bei den kleinen zurücknehmen.
Auch das Finale des BrexitDramas fällt in die zweite Jahreshälfte, hier gebe es nicht viel Neues, berichtet Kanzleramtsminister Norbert Blümel über
Wenn man kritisiert, muss es Hand und Fuß haben. Heinz-Christian Strache, Vizekanzler
regelmäßige Kontakte mit Chefverhandler Michel Barnier. Bei den wirklich großen Brocken – Asyl und Finanzrahmen – scheinen die Positionen aber noch weit von einer Einigung entfernt zu sein. Niemand glaubt mehr, dass der Gipfel in zwei Wochen einen Durchbruch bei der Asylfrage bringen kann. Sebastian Kurz spricht schon vom nächsten Gipfel am 20. September, der von Österreich in Salzburg ausgerichtet wird. Einigkeit herrscht in den Mitgliedsländern darüber, dass dringend die Außengrenzen besser zu schützen sind und die Asylverfahren anders ablaufen sollen (mehr dazu Seiten 4/5).
Viel weiter auseinander liegen die Positionen für den Finanzrahmen; hier bleibt Österreich bei der bisherigen Beitragsgröße von 1,03 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, die Kommission möchte 1,14 und das Parlament gar 1,3 Prozent, um den Abschied der Briten zu kompensieren. Juncker: „Da gibt es unterschiedliche Wahrnehmungen, aber es ist kein Disputthema.“Kurz replizierte mit einer Floskel, die in diesem Zusammenhang weitreichende Folgen hat: „Am Ende von Verhandlungen stehen immer Kompromisse.“