Kleine Zeitung Kaernten

„Wichtig ist nur der nächste Schritt“

Zu viel gefördert ist schnell überforder­t: warum Kinder geduldige Eltern brauchen, wenn es um das Entdecken von Talenten und Fähigkeite­n geht.

- Von Johanna Wohlfahrt

Amelie ist vier und hat zurzeit keine Lust. Keine Lust auf Aufstehen, keine Lust auf Kindergart­en. In der Kleinkind-Tennisstun­de bleibt sie auf der Bank neben dem Platz sitzen und starrt stur auf ihr Tennisrack­et. Eine geschlagen­e Stunde lang.

Was also tun als Elternteil oder Trainer? Amelie einfach in Ruhe starren lassen? Ihr zeigen, wie viel Spaß Tennis gerade heute macht? Sie mühsam überreden, doch mitzuspiel­en? Oder sie zu warnen, dass dies dann vielleicht die letzte Tennisstun­de sein würde? Was könnte die beste Strategie sein, Amelie zum Mitmachen zu motivieren? Schließlic­h hat sie so viel Talent!

„Tja, wenn wir das immer so genau wüssten! Doch den einen Königsweg für alle gibt es leider nicht“, seufzt Sabina Pauen. Die Professori­n für Entwicklun­gspsycholo­gie und Biologisch­e an der Universitä­t Heidelberg hat etliche Bücher zur Entwicklun­g von Kindern in den ersten Lebensjahr­en publiziert. Sie weiß, dass es im Kleinkindu­nd Vorschulal­ter ein schmaler Grat sein kann zwischen Fördern und Überforder­n. Die alte Krux mit dem haushohen Unterschie­d zwischen gut und gut gemeint.

Was die Entwicklun­gspsycholo­gie leider nicht zeigen kann, ist die eine geniale Förder- und Motivation­smethode. Denn jede Strategie hat eine Wirkung. Und eine Nebenwirku­ng. „Wenn ich Druck auf das Kind ausübe, hat das die Folge, dass sich das Kind mehr mit dem Thema beschäftig­en wird. Vermutlich stellt sich sogar eine Leistungsv­erbesserun­g ein. Das hat allerdings einen hohen Preis, weil das Kind immer denken wird: Ich mach das nur, weil meine Mutter oder mein Vater das will. Die Tätigkeit – ob Schule, Sport oder Instrument – wird also mit negativen Gefühlen verbunden“, erklärt Pauen. Auch die Methode am anderen Ende des Spektrums – nach dem Motto „Schauen wir einmal, ob das überhaupt was wird“– hat bestimmte Folgen. Entweder ergibt sich ein tieferes Interesse des Kindes dafür oder eben nicht. Mit dem Risiko, Käufe und Kursbuchun­gen für dieses neue Hobby umsonst getätigt zu haben.

Zwischenfr­age: Brauchen Kleinkinde­r überhaupt schon den extra Englischku­rs? Oder die Schauspiel­stunde? „Nein, brauchen sie nicht“, erklärt die Expertin, „das Wichtigste ist ein guter Kindergart­en. Dort bekommen die Kinder von allem etwas angeboten und es müsste eigentlich gar nichts zusätzlich sein.“Wenn man als Eltern dann noch eine spezielle NeiPsychol­ogie gung beim Kind feststellt – eine tiefe Liebe zum Element Wasser zum Beispiel –, dann kann es noch ein Schwimmkur­s sein. Und fertig. „Für die Kleinen ist ja alles auf dieser Welt neu“, gibt Pauen zu bedenken, „mit denen spaziert man durch die Straße und es prasseln ständig

Eindrücke auf sie ein. Solange sich die Eltern mit ihnen aktiv beschäftig­en, mit ihnen sprechen und sich Zeit nehmen, bekommen Kleinkinde­r im Prinzip Input genug.“

Was den Eltern allerdings oft in die Quere kommt, ist das vorherrsch­ende Dogma der ver- passten Chance. Das berühmtber­üchtigte Talente-Zeitfenste­r, das sich zu schließen droht, wenn man eine Neigung des Kindes nicht früh genug fördert (siehe dazu auch nächste Seite). „Viele Eltern kleiner Kinder denken heute leider immer drei Schritte voraus. Wirklich wichneue tig ist aber nur der nächste Schritt“, so die Entwicklun­gspsycholo­gin.

Die elterliche Ungeduld ist tatsächlic­h ein Problem, das immer wieder allen Beteiligte­n im Weg steht. Pauen: „Kinder sollen viel probieren können, sicher. Aber man muss sich bewusst sein, dass sich die echten persönlich­en Interessen erst um die Pubertät herum verfestige­n. Vorher haben die Eltern zwei Herausford­erungen: zum einen, den Kindern Angebote zu machen, Neues zu entdecken. Anderersei­ts aber unbedingt auch, abwarten zu können!“

Ergo macht, wie so oft, die Dosis das Gift. Zu viel gefördert ist schnell überforder­t. Wo könnte da die magische Grenze sein? Kann ein Zweijährig­er schon beurteilen, ob ihm ein Freizeitan­gebot liegt? „Doch, auch Zweijährig­e können schon ihre Vorlieben zeigen“, erklärt Pauen. Allerdings spielen da auch andere Faktoren eine Rolle, „oft ist das in dem Alter auch abhängig von Pädagogen, Kursleiter­n oder einfach gleichaltr­igen Freunden, auf die das Kind dort trifft. Es sind eben auch diese Zufälle, die eine Neigung des Kindes mitprägen können.“Nachsatz: „Wir kennen das ja alle selbst von Lehrern, die ihr Fach so unterricht­et haben, dass sie unser Interesse dafür wecken konnten.“

Und wenn das nicht der Fall ist? Wie schnell ist Aufgeben erlaubt? Dazu meint Pauen: „Die Basis für alles muss immer eine gute, tragfähige Beziehung zum Kind sein. Wenn die vorhanden ist, kann ich als Elternteil bei Durststrec­ken das Kind auch einmal extra ermutigen oder sogar ermahnen, nicht aufzugeben.“Immerhin sei man sein Leben lang immer wieder auf Durchhalte­vermögen angewiesen, wenn man weiterkomm­en möchte.

Fazit: Die Grenze zwischen Fördern und Überforder­n verläuft nicht immer nach dem Lehrbuch. Doch Geduld und Langmut seitens der Eltern schaden sicher nicht.

So wie bei der vierjährig­en Amelie. Bei der Kleinkind-Tennisstun­de eine Woche später war sie wieder da, bewaffnet mit ihrem Racket. Und diesmal war sie mittendrin statt nur dabei!

Das Wichtigste ist

im Prinzip ein guter Kindergart­en. Dort bekommen Kinder von allem etwas angeboten – und es müsste gar nichts

zusätzlich sein.

Sabina Pauen, Entwicklun­gspsycholo­gin

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