Der Kampf um das Binnen-I
Fast skurril erschien anfangs die jäh entflammte Debatte rund um das Binnen-I. Ein Irrtum. Mittlerweile handelt es sich um ein Politikum mit teils sonderbaren, teils beklemmenden Argumenten.
Den Stein des Anstoßes ins Rollen brachte vor rund zwei Wochen der FPÖVerteidigungsminister Mario Kunasek. Offenbar bemüht, auch seinen Reformeifer zu beweisen, griff er tief in die sprachliche Munitionskiste und ließ mit Getöse das Binnen-I absalutieren. „Feministische Sprachvorgaben“würden die „gewachsene Struktur unserer Muttersprache bis hin zur Unlesbarkeit und Unverständlichkeit zerstören“, teilte er mit.
Ein Phantomkampf, durchaus skurril. Denn der Minister schaffte ab, was es ohnehin so gut wie gar nicht gab. Aber für ein Tüpfelchen auf dem I war immerhin gesorgt. Kleine Pointe am Rande: In der von Kunasek angesprochenen Verordnung ist von einem Binnen-I explizit ohnehin keine Rede. Und die schriftliche Fusionierung von Soldaten und Soldatinnen zu SoldatInnen ist nirgendwo zu finden. Wohl auch deshalb, weil es in Österreich D nur rund 600 Soldatinnen gibt. ennoch: Das seltsame Manöver erstaunte und verblüffte. Zumal es recht rasch Folgewirkungen zeitigte. Immerhin gibt es dieses Binnen-I, Resultat einer schon ge-
raume Zeit zurückliegenden Forderung nach sprachlicher Gleichberechtigung und geschlechtergerechter Schreibweise, seit bald 40 Jahren. Und der zuvor in den Medien verwendete Begriff „Hörer/innen“oder „Leser/innen“hat noch einige N Altersringe mehr. icht ganz unschuldig an dem Dilemma ist der Duden samt seiner hochkarätigen Expertenrunde. 2001 galt das Binnen-I als Verstoß gegen die Rechtschreibung, weil es Großschreibungen nur am Anfang eines Hauptwortes geben könne. Einige Jahre später wurde dies relativiert. Die Schreibweise sei weder richtig noch falsch. Klarheit liest sich anders.
Eine der Folgen: weitere Varianten des Genderns. Etwa durch die Wortverleimung mit dem sogenannten Gendergap (alias Geschlechterlücke), die das Binnen-I („Schüler_innen“) ersetzt, oder, speziell im Internet, durch den Asterisk genannten G Stern („Schüler*Innen“). estern tagte der Rat für Deutsche Rechtschreibung in Wien, um über die Verwendung des Sternchens zu diskutieren, auch aus anderen Gründen. Der Stern solle auch den Transsexuellen zu gebührender Berücksichtigung verhelfen. Ergebnis: Vorläufig soll die Verwendung empfohlen werden, nach einer „Bewährungsprobe“von zwei Jahren könnten dann klarere Richtlinien Ü folgen. bersehen wird dabei, mit welcher Rasanz und argumentativer Willkür sich der Binnen-I-Streit auf das politische Feld verlagerte. In Deutschland ist es die AfD, die sich über den „Genderwahnsinn“empört, hierzulande macht die FPÖ mobil. Der Ring Freiheitlicher Studenten bezeichnet das Binnen-I als „ideologische Missgeburt“, die FPÖFrauensprecherin Carmen Schimanek ließ wissen, dass das Binnen-I „keiner einzigen Frau“hilft. Sie hoffe auf einen Gender-Verzicht „auch in anderen Bereichen“. Welche Bereiche J sie meinte, ließ sie offen. ohann Gudenus, geschäftsführender FPÖ-Klubobmann, gibt sich noch weitaus kämpferischer. Das BinnenI müsse „auch in Wien verschwinden“, fordert er und wartet mit sonderbaren Vergleichen auf. Das Binnen-I trage absolut nichts zur Sicherheit der Frauen bei, die sich „abends nicht mehr auf die Straßen trauen“. A So viel Logik ward selten. ber speziell Gudenus verdient eine nähere Betrachtung. In seiner Sturm-und-Drang-Zeit warnte er 2003 vor einer „drohenden Umvolkung“, er sehnte sich nach einer „völkischen Politik“und wartete einige Jahre später mit einer feinsinnigen Formulierung auf: „Umvolkung ist für uns pfui gack.“Man merkt: Dieser Mann ist sprachlich sattelfest und macht seine Forderungen nach einem Reinheitsgebot der deutschen Sprache mehr als verständlich.
Auch die merkwürdige Behauptung, das Gendern sei „sexistisch“, macht recht massiv die Runde. Hier tut wohl ein wenig Aufklärung not. Zwischen dem grammatikalischen männlichen und weiblichen Geschlecht und dem biologischen besteht denn doch ein nicht unerheblicher Unterschied. Drum prüfe, wer sich nicht ewig mit Wortgefuchtel schinden will.
F aktum ist: Wir leben nicht nur mit der Sprache – wir leben aus ihr und mit ihr. Sie formt uns, sie prägt unser Denken, sie sozialisiert. Wo also Begriffe wie Chancengleichheit oder Gleichberechtigung sich ausbreiten, erzeugen sie nicht nur Erwartungen, sondern legitime Ansprüche, die sonst nebulös geblieben wären. Und die Sprache bietet durch ihr immens rasches Wachstum eine Fülle von Alternativen. Im Falle des Binnen-I sind sie reichlich einfach. Wer die Schreibweise meiden will, kann sich, entsprechenden Respekt vorausgesetzt, eben nicht an die LeserInnen, sondern an die Leserinnen und Leser wenden.
„Man hat seine eigene Wäsche, man wäscht sie mitunter“, schrieb Brecht. Und ergänzte: „Man hat nicht seine eigenen Wörter und wäscht sie nie.“
Eine der Folgen: Gewäsch, das recht beklemmende Formen annehmen kann.