Mehr als nur ein gefährlicher Außenseiter.
Sportpsychologe Alois Kogler nimmt die Marotten von Rafael Nadal unter die Lupe, ortet beim Spanier aber keine Verhaltensstörung.
Rafael Nadal betritt grundsätzlich erst als Zweiter das Stadion. Beim Münzwurf hüpft er wie ein Gummiball, nach dem obligatorischen Foto mit dem Gegner sprintet er zurück an die Grundlinie. Da sind die Trinkflaschen bei seiner Bank längst exakt ausgerichtet und die Ballbuben angewiesen, auf der rechten sowie der linken Seite seiner Spielhälfte jeweils ein Handtuch zu deponieren. Vor jedem Service putzt der Spanier mit seinem Schuh die Grundlinie, zupft an Hose und T-Shirt, streicht sich links und rechts die imaginären Haare hinter das Stirnband und wischt sich über die Nase. Und beim Seitenwechsel achtet der Superstar tunlichst darauf, auf keine der Linien zu treten.
Dies sind nur ein paar jener Marotten, die Nadal während eines Matches an den Tag legt. Und sie werfen die Frage auf, ob der 31Jährige möglicherweise an einer Verhaltensstörung leidet. „Keineswegs“, sagt Sportpsychologe Alois Kog- ler, „vielmehr handelt es sich dabei um Rituale, die sich Nadal im Laufe der Jahre angeeignet hat. Diese Rituale dienen ihm als Trichter, um in den Fokus zu kommen.“
Dabei will der Grazer aber nicht ausschließen, dass etwa das Ritual des exakt getimten Zupfens beim Sandplatzkönig „möglicherweise bereits etwas Zwanghaftes hat“. Allerdings seien Rituale bei der hohen Intensität im Spitzensport eine Notwendigkeit. Dass sich Nadal gleich so viele angeeignet hat, wertet Kogler positiv: „Besser 20 als eines. Er besitzt für jede Situation ein Ritual, das für ihn einen hohen Wert des Sich-in-sichKehrens hat. Während des Zupfens überlegt er, wie er den nächsten Punkt spielen wird. Das Nachdenken darüber, ob er gewinnt oder verliert, fällt damit weg. Diese Rituale haben bestimmt einiges zu seinem großen Erfolg beigetragen.“
Weil Dominic Thiem hier in Paris während eines Punktes der Ball aus der Hosentasche fiel und der Punkt wiederholt werden musste, ließ er sich von diesem Zeitpunkt an nur noch einen Ball beim Service geben. Eine kleine Umstellung, die den Österreicher nicht aus der Erfolgsbahn warf. Würde hingegen bei Nadal eine seiner vielen Gewohnheiten plötzlich unterbrochen werden, „könnte dies beim Spanier definitiv ein Problem auslösen. Weil ihm seine funktionierenden Abläufe eben so wichtig sind.“
Ob Kogler glaubt, dass Nadal auch im Privaten ein Leben voller Rituale führt? „Menschen mit ausgeprägten Abläufen in bestimmten Bereichen tut es gut, wenn sie diese sonst nicht haben. Und Gewohnheiten auf dem Tennisplatz finden gewöhnlich nicht auf dem Esstisch statt.“