Für diesen einen Moment
Augenblicke
Sonntag, 10. Juni 2018, die Uhr zeigt wenige Minuten nach 15 Uhr. Das heilige Oval von Roland Garros, der an den einstigen französischen Tennisspieler erinnernde Court Philippe Chatrier, ist bis auf den letzten Rang gefüllt. Mehrere Kameras, die das Spektakel in die weite Welt hinaustragen, sind auf Dominic Thiem gerichtet. Er steht an der Grundlinie, päppelt den Ball einmal normal und einmal mit der Schlägerkante auf. Das macht er immer so. Ein Ritual, aber kein Aberglaube. Den hätte er früher noch gelebt, doch als er für sich erkannte, dass es keinen Wert hat, stellte er es ab.
Noch einmal päppelt Thiem den Ball auf und blickt auf die andere Seite des Netzes. Dort steht er, der große Rafael Nadal. Der König von Paris. Der Unantastbare. Thiems Puls rast jetzt, „es ist nur ein ganz normales Tennismatch“, beruhigt er sich, atmet tief durch, wirft den Ball in den Pariser Himmel und schlägt auf.
Aber ist es nicht mehr als nur ein Match wie jedes andere? Seit seiner frühesten Kindheit hat der Sportheld aus dem wenig strahlenden Lichtenwörth sein Leben dem Tennissport gewidmet. Mit zehn Jahren, als er bei seinem Erfolgstrainer Günter Bresnik vorstellig wurde, trainierte der Bub schon eifrig, während seine Schulkameraden im Park herumtollten oder Playstation spielten. Mit 17 Jahren schwitzte er täglich auf dem Platz und in der Fitnesskammer, während seine Freunde in der Diskothek bis tief in die Nacht mit Mädchen tanzten. Mit 22 Jahren hetzte er von Turnier zu Turnier, während manche seiner Kumpels schon aufgeregt den ersten Vaterfreuden entgegenblickten.
Thiem hat auf all das verzichtet. Für diesen einen Moment, auf den er jahrelang hingeschuftet hat: Einmal im Endspiel des größten Sandplatzturniers der Welt zu stehen. Ein Moment, von dem er schon geträumt hat, als er zum ersten Mal einen Tennisschläger in Händen hielt.
Der Aufschlag pfeift über die Netzkante und Thiem weiß: „Jetzt bin ich endlich angekommen.“