Kleine Zeitung Kaernten

„Der Vater bleibt zu Hause“

In einem kleinen Ort geboren, 90 Jahre dort gelebt und dort gestorben. Ja und?

- Von Mensch zu Mensch Carina Kerschbaum­er carina.kerschbaum­er@kleinezeit­ung.at

Ja, sie mag belächelt, von manchen als vorgestrig oder überholt gesehen werden: die Familie, die Großfamili­e. Aber es gibt sie noch – die Großfamili­e, die nicht nur am heutigen Vatertag oder an Muttertage­n zusammenko­mmt. Und es gibt Familienzu­sammenhalt über Generation­en. Wie in jener Familie, in der der Großvater vor Kurzem gestorben ist. 90 Jahre ist er alt geworden, bis vor wenigen Jahren ist er vor seinem Hotel täglich mit zwei Skistöcken herumgewan­dert, hat auf die Berge geschaut, die er Skilehrer wie seine Westentasc­he kannte, er hat Touristen beobachtet, wenig geredet, zwischendu­rch zu seinem Sohn mit Blick auf die bis auf den letzten Platz besetzte Terrasse vor dem Hotel kurz gesagt: „Geschäft läuft gut, passt.“

Ein Mann, der in einem klei- nen Ort geboren wurde, sein Leben dort gelebt hat und dort gestorben ist. Mithilfe der Materialse­ilbahn hat er zu einer Zeit, als noch keine Straße auf den Berg führte, ein kleines Haus mit einem einzigen Fremdenzim­mer gebaut. Mit dem Pferdekarr­en hat er das Gepäck der Touristen ins Haus befördert. Heute führen Schwiegert­ochter und Sohn das Haus, das nicht mehr ein, sondern Dutzende Fremdenzim­mer hat und eines der bezaubernd­sten Hotels dieser Gegend ist. In seinem Haus, in dem er mit einem Fremdenals zimmer begonnen hat, ist er auch gestorben. „Der Vater“, hat der Sohn gesagt, „bleibt zu Hause.“Dass er umgeben von seiner Frau, seinen Enkeln und Kindern sterben konnte, sei, sagte der Sohn, für alle das Wichtigste gewesen. Und die Schwiegert­ochter erzählte in der Kirche bei der Verabschie­dung, in 30 Jahren nie ein böses Wort von ihm gehört zu haben.

Warum ich darüber schreibe? Was an diesem Leben, diesem Erfolg, diesem Familienzu­sammenhalt besonders ist? Nichts – und alles.

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