Kleine Zeitung Kaernten

„Die Grenzen Europas liegen am Ural“

Stefan Karner ist Co-Vorsitzend­er der Österreich­isch-Russischen Historiker­kommission. Ein neues Buch beleuchtet die gemeinsame Geschichte der beiden Staaten.

- INTERVIEW. Von Karin Waldner-Petutschni­g Der Untergang György Dalos. Sowjetisch­e Verhältnis­se Karl Schlögel. Der österreich­ischen Sicht Verena Moritz. 1917. Residenz-Verlag, 288 S., 24 €. Vielschich­tig William Taubmann. Spannender Katja Gloger.

lag bei uns. Das ist ziemlich einzigarti­g. Wir diskutiert­en drei Jahre lang unsere eigenen Sichtweise­n, um dann einen gemeinsame­n Nenner zu suchen. Wir haben ihn auch gefunden, ohne die schwierige­n Themen auszuklamm­ern. Das gab es bislang nicht. Weder bei den ähnlichen Projekten Russland – Deutschlan­d noch bei Russland – Polen.

Wie lief die Kommunikat­ion in der Historiker­kommission? Können Sie Russisch?

Ja, ich spreche Russisch. Einen persönlich­en Bezug habe ich nicht. Außer, dass ich bei meinen Archivarbe­iten draufgekom­men bin, dass mein Großonkel, Schneiderm­eister Leopold Picej aus Kühnsdorf, im Jänner 1942 am Wolchow bei St. Petersburg in sowjetisch­e Kriegsgefa­ngenschaft kam und ein Jahr darauf in einem Kriegsgefa­ngenenlage­r verhungert­e. Ich bin dann selber an den Ort seiner Gefangenna­hme gefahren und werde bald in jenes Lager reisen, wo er an Auszehrung und Hunger verstarb und begraben liegt.

Wurden oder werden Sie noch von Privatpers­onen nach den Schicksale­n vermisster Angehörige­r befragt?

Und ob! Allein unsere Ankündigun­g, neues Material zu ehemaligen Stalingrad-Gefangenen gefunden zu haben, hat vor wenigen Wochen zu über 800 Anfragen geführt. Und darunter waren bereits mehr als die Hälfte Enkel der Vermissten.

Gibt es eine Geschichte im Zuge Ihrer Recherchen, die Sie hervorhebe­n möchten?

Einmal etwas nicht Kriegerisc­hes: Vor 500 Jahren, als Columbus Amerika entdeckte, bereiste der steirisch-krainische Diplomat Sigmund von Herberstei­n im Auftrag der Kaiser Maximilian und Karl V. Russland. Sein Bestseller „Moskovia“legte das fest, was wir in der Schule gelernt haben: Russland gehört nicht nur geographis­ch, sondern kulturell und politisch zu Europa und: Die Grenzen Europas sind am Ural und am Schwarzen Meer zu finden. Leider haben das einige, gerade in letzter Zeit, immer wieder vergessen, wenn sie die EU mit Europa gleichsetz­en.

Was ist für Sie als Historiker beim Blick auf die Gegenwart das auffallend­ste Merkmal der heutigen Beziehung der beiden Staaten zueinander?

Natürlich das hohe gegenseiti­ge Vertrauen, die Russen lieben Österreich, schätzen unsere Mittlerpos­ition. An die 500 österreich­ische Firmen werken auf dem russischen Markt, der Warenausta­usch und die Direktinve­stitionen steigen wieder, trotz der Sanktionen. Wien liegt östlicher als Prag und Laibach/Ljubljana liegt weit westlicher als Graz. Österreich war für den Osten stets wie „ein Türöffner in Richtung Westen“.

Am Ende Ihres Buches gibt es einen Hinweis auf die von Österreich mitgetrage­nen EU-Sanktionen gegen Russland, auch das Treffen von Bundeskanz­ler Kurz und Präsident Wladimir Putin im Februar 2018 ist noch erwähnt. Wagen Sie eine Prognose?

Ich erwarte mir von der Bundesregi­erung Kurz die Fortführun­g des bisherigen Weges des Dialogs. Dabei trägt Österreich als EU-Mitglied selbstrede­nd alle EU-Beschlüsse mit, auch die Sanktionen gegenüber Russland, bemüht sich aber, besonders im Ukraine-Konflikt um einen substanzie­llen Dialog. Der Besuch Putins in Wien vor wenigen Tagen und die Sitzung der Bundesregi­erung in Brüssel waren dazu deutliche Fingerzeig­e.

des Hauses Romanow unter Zar Nikolaus II. ist das Thema dieses historisch fundierten, flüssig erzählten Porträts des ermordeten Monarchen.

Der letzte Zar. C.H. Beck, 231 Seiten, 23,60 €.

schildert der prominente Historiker, wobei sowohl der Blick auf den Alltag als auch der auf die Geschichte Russlands fasziniert. Das sowj. Jahrhunder­t. C.H.Beck, 912 S., 39 €.

auf beide russischen Revolution­en widmet sich die Autorin anhand von Tagebücher­n, Briefen u. a. unveröffen­tlichten Quellen.

ist die Persönlich­keit des Staatsmann­es, interessan­t der Einblick in den sowjetisch­en Machtappar­at– eine aufwendig recherchie­rte Biographie.

Gorbatscho­w. C.H.Beck, 935 S., 39 €.

und gut zu lesender Querschnit­t durch die Geschichte von Deutschen und Russen von einer deutschen Journalist­in und

Ex- Moskau-Korrespond­entin.

Fremde Freunde. Berlin-Verlag, 560 S., 28 €.

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