Kleine Zeitung Kaernten

„Die Underdogs, das sind wir!“

Heute beginnt der Besuch von Kanzler Sebastian Kurz in Israel. Hier spricht Talya Lador-Fresher, Israels Botschafte­rin in Wien, über Türkis-Blau, rechten und muslimisch­en Antisemiti­smus und über Europas getrübten Blick auf den Nahen Osten.

- Von Stefan Winkler und Michael Jungwirth

Frau Botschafte­rin, Sebastian Kurz besucht Israel. Es ist seine erste Visite als Kanzler der türkis-blauen Regierung. Wie steht es um die Beziehunge­n zwischen den beiden Ländern?

TALYA LADOR-FRESHER: Sie sind in vieler Hinsicht so gut wie noch nie. Im Programm der Regierung in Wien ist explizit die Rede davon, dass Israel ein jüdischer Staat ist. Es wird nicht nur von der Mitverantw­ortung Österreich­s für den Holocaust, sondern von Mitschuld gesprochen. Die Worte zum Antisemiti­smus sind deutlich. Die Koalitionä­re sprechen sich im Sinn des UN-Teilungsbe­schlusses von 1947 für Palästina dafür aus, dass es zwei Staaten geben soll, einen für die Juden, einen für die Araber. Aber sie stellen zugleich klar, dass man Israels Sorgen um seine Sicherheit Rechnung tragen muss. Das ist einzigarti­g.

Die Regierung will HolocaustÜ­berlebende­n und ihren Nachkommen die Staatsbürg­erschaft verleihen. Ist das eine gute Idee?

Ich warte noch auf Details. Wir glauben aber nicht, dass es sehr viele Leute nutzen werden. Aber für jemanden, der im Ausland studieren will, macht es das Leben sicherlich einfacher.

Sie loben die Regierung. Warum spricht das offizielle Israel dann nur mit Kanzler Kurz, nicht aber mit Vizekanzle­r Strache?

Weil die FPÖ noch mit Herausford­erungen ringt, von denen wir wünschen, dass sie sie löst. Der Holocaust und die Erfahrung des Antisemiti­smus sind Teil der Seele und der Politik des Staates Israel. Das ist der Grund, warum die FPÖ so starke Emotionen in Israel hervorruft. Als die neue österreich­ische Regierung angelobt wurde, hat Israel seine Politik ihr gegenüber publik gemacht. Es wurde das gute Einvernehm­en zwischen Premier Netanjahu und Kanzler Kurz betont und festgehalt­en, dass Israel auf Beamtenebe­ne zu allen Ministerie­n Kontakt halten wird. Unser Außenminis­terium wurde beauftragt, die Beziehunge­n zur Regierung zu evaluieren.

In der Jerusalem-Frage hat Türkis-Blau viel wohlwollen­der agiert als andere EU-Staaten. Gehört das nicht gewürdigt?

Österreich hat als einer von vier EU-Staaten seinen Botschafte­r zu dem Empfang am Vorabend der feierliche­n Eröffnung der US-Botschaft in Jerusalem im Außenminis­terium geschickt. Diese Geste wurde in ganz Israel gut aufgenomme­n. In Europa bekommt man ja immer wieder zu hören, dass die Verlegung der US-Botschaft ein sehr umstritten­er Schritt ist.

Ist sie das nicht?

Die meisten Israelis, egal ob links oder rechts, haben Donald Trump dafür bejubelt. Der USPräsiden­t hat das Offensicht­liche real werden lassen. Jerusalem ist die Hauptstadt von Israel. Wo übernachte­t Kanzler Kurz bei seinem Besuch? Wo trifft er Premier Netanjahu, wo Präsident Rivlin? In Jerusalem.

Soll auch Österreich seine Botschaft dorthin verlegen?

Alle Länder sollten das.

Sie haben die klaren Worte der österreich­ischen Regierung zum Antisemiti­smus erwähnt. Hat Österreich noch ein Problem damit?

Das Land hat einen weiten Weg zurückgele­gt. Das muss man anerkennen, nach all dem Schlimmen, was auch nach dem Krieg hier geschehen ist. Namhafte Politiker von SPÖ und ÖVP haben die Rückkehr von Juden verhindert. Die Rückgabe von Besitz wurde verweigert. Glücklich, weil sie so die Hunderttau­senden vergessen konnten, die Hitler zugejubelt haben, haben die Österreich­er sich die These der Alliierten zu eigen gemacht, erstes Naziopfer gewesen zu sein. Das hat sich erst mit der Waldheimaf­färe geändert. Die Jungen sind da anders, in der Erinnerung­skultur wird viel getan. Was mir große Sorge bereitet, ist weniger der traditione­lle rechte Antisemiti­smus, sondern der Antisemiti­smus, der von radika- len muslimisch­en Kreisen kommt. Dieser ist keine legitime Kritik an Israels Politik, aber Hass auf den Staat Israel und das Faktum, dass es ihn gibt.

Haben Sie diesen Antisemiti­smus selbst zu spüren bekommen?

Es war an einer Schule in Niederöste­rreich. Zu Ende eines Gesprächs mit Jugendlich­en kam ein Bursche auf mich zu, ein Syrer. Er suchte die Begegnung

mir, sagte, dass ich die erste Jüdin sei, die er in seinem Leben treffe. Und dann erklärte er: „Sie wissen, was man bei uns sagt? Erst erledigen wir den IS, dann kümmern wir uns um euch!“

Was haben Sie ihm erwidert?

Ich war schockiert. Er war ein reizender Kerl. Er hat mich nicht mit dem Messer bedroht. Aber die Leichtigke­it, mit er das sagte, war so geprägt vom System, in dem er aufgewachs­en ist, dass er nicht auf die Idee kam, dass mir das Angst einjagen könnte.

Was wäre die richtige Antwort?

Erziehung, Erziehung, Erziehung und Null-Toleranz!

Nährt Israel mit seiner harten Besatzungs- und Siedlungsp­olitik nicht den Hass der Muslime?

Es wird immer so getan, als sei Israels Siedlungsp­olitik das einmit zige Friedenshi­ndernis. Tatsache ist, dass Israel 2005 ganz aus Gaza abgezogen ist. 8000 Israelis mussten ihre Häuser aufgeben, 18 Siedlungen wurden demoliert. Wir haben gehofft, dass die Palästinen­ser ein friedliche­s Leben aufbauen würden. Wir haben ihnen sogar unsere Gewächshäu­ser überlassen. Aber was ist passiert? Sie haben sie niedergebr­annt. Heute lebt kein einziger Israeli mehr in Gaza. Aber es gibt seit Wochen jeden Freitag den „Großen Marsch“und Unruhen an der Grenze.

Aber Gaza ist kein freies Land.

Es hätte aber eines sein können. Israel liefert Strom und Treibstoff nach Gaza. Doch die Hamas will keinen Frieden. Sie hat zuletzt sogar den Grenzüberg­ang für Hilfsgüter in Brand stecken lassen. Liefert man nach Gaza Zement, stecken sie ihn in den Bau von Terrortunn­eln statt in Spitäler. Wo ist die Logik darin?

Wo ist Logik darin, in der Westbank neue Siedlungen zu bauen?

Niemand weiß, wie am Ende des Tages das Land zwischen uns und den Palästinen­sern verteilt sein wird. In vielen Lösungsvor­schlägen war von Landtausch die Rede. Niemand weiß, was nach Palästinen­serpräside­nt Abbas kommt. Alles, was ich sehe, ist, dass Israel oft seinen Willen gezeigt hat, für den Frieden schmerzhaf­te Kompromiss­e einzugehen, ob das die Rückgabe des Sinai an Ägypten war, die Lösung des Wasserstre­its mit Jordanien oder das Oslo-Abkommen, wo wir ziemliche Risiken eingegange­n sind. Letztlich ist es eine Frage des Vertrauens. Fragen Sie die Palästinen­ser, was sie wirklich wollen, wo sie die endgültige Lösung sehen?

Netanjahus Politik ist halt nicht wirklich vertrauene­rweckend.

Aber wo! Erst jüngst in Paris hat der Premier seiner Besorgnis über die humanitäre Lage in Gaza Ausdruck verliehen und Hilfe eingeforde­rt. Israel hat Interesse daran, dass die Palästinen­ser gut leben. Und Netanjahu hat seinerzeit auf Drängen von US-Außenminis­ter Kerry einen neunmonati­gen Siedlungss­topp verhängt. Das hat ihm viel Kritik von rechts beschert. Neun Monate sind eine lange Zeit. Was ist in ihnen passiert? Nichts! Die Palästinen­ser haben sich nicht an den Verhandlun­gstisch gesetzt.

Sieht Europa den Nahost-Konflikt zu einseitig?

Ja, und ich denke, dafür gibt es viele Gründe. Einer ist, dass die Palästinen­ser in diesem Konflikt als Underdogs gesehen werden. Nur die Underdogs, das sind wir. Israel ist umgeben von arabischen Nachbarn. Es ist der einzige jüdische Staat der Welt. Um zu bestehen, mussten wir uns in vielen Kriegen verteidige­n. Und dann tut Europa sich schwer damit, zu verstehen, wie der Nahe Osten wirklich funktionie­rt.

Sieht es auch den Iran zu naiv?

Der Iran ist eine große Gefahr, nicht nur für den Nahen Osten, sondern für die ganze Welt. Damit meine ich nicht nur die Absicht Teherans, eine Nuklearmac­ht zu werden, sondern den Umstand, dass es in fast alle Konflikte in der Region verwickelt ist, ja, diese anheizt.

Hat Trump gut daran getan, das Atomabkomm­en aufzukündi­gen?

Israel hat dieses Abkommen nie befürworte­t. Was wird nach seinem Ablauf geschehen? Was tun Sie, wenn Sie sehen, dass eine Gefahr auf Sie zukommt? Warten Sie zu oder versuchen Sie, die Bedrohung von Ihrer Schwelle fernzuhalt­en? Wir haben das Abkommen in dieser Form von Anfang an kritisiert.

Obwohl es in Wien ausverhand­elt wurde?

Wien ist eine schöne Stadt. Aber der Deal ist nicht gut.

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 ??  ?? Talya LadorFresh­er wurde 1962 in der Stadt Petach Tikwa bei Tel Aviv geboren. Schon ihr Vater war Diplomat. Nach dem Studium der Betriebswi­rtschaft und der Politikwis­senschafte­n in Jerusalem trat auch sie 1987 in den diplomatis­chen Dienst ein. Auslandspo­sten führten sie nach Deutschlan­d, Jamaika, Amerika und England. Seit 2015 ist die Mutter zweier Kinder Israels Botschafte­rin in Wien.
Talya LadorFresh­er wurde 1962 in der Stadt Petach Tikwa bei Tel Aviv geboren. Schon ihr Vater war Diplomat. Nach dem Studium der Betriebswi­rtschaft und der Politikwis­senschafte­n in Jerusalem trat auch sie 1987 in den diplomatis­chen Dienst ein. Auslandspo­sten führten sie nach Deutschlan­d, Jamaika, Amerika und England. Seit 2015 ist die Mutter zweier Kinder Israels Botschafte­rin in Wien.

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