Schlussakkord im Schlepperdrama
Menschenschmuggler hatten Lkw mit 71 Toten im Burgenland zurückgelassen. Heute sollen in Kecskemét die Urteile fallen.
Am 27. August 2015 war es, als man in einer Pannenbucht auf der 4 (Ostautobahn) im Burgenland einen abgestellten Kühl-Lkw fand. Sein Laderaum: luftdicht verschlossen und mit einem Berg von Leichen gefüllt. Die Flüchtlinge waren bereits tags zuvor auf ungarischem Staatsgebiet erstickt, die dahintersteckende Schlepperbande nahm Reißaus. Das 71-fache Verbrechen an der Humanität sprengte die Grenzen dessen, was man sich vorstellen konnte und wollte. Doch es legte auch Europas Ohnmacht, mit Schlepperei und massenhafter Migration umgehen zu können, offen: Bilder von Menschenkarawanen, die ab 2015 nach Europa strömten, brannten sich ein. Allein die ÖBB stellten 674 Sonderzüge und 1335 Busse bereit, vor allem für die ersten Wellen wurden die Staats- grenzen de facto außer Funktion gesetzt.
Heute, knapp ein Jahr nach Beginn des Prozesses im südungarischen Kecskemét, soll um 13.00 Uhr das Urteil in diesem besonders ruchlosen Fall von Schleppertum fallen. In den letzten Tagen gab es die um Milde ersuchenden Schlussplädoyers der Verteidigung. Die vier Hauptangeklagten seien verantwortlich für die Tragödie, hatte Staatsanwalt Gabor Schmidt resümiert. Aussagen, sie hätten weder gewusst, wie viele Menschen in den am Ende herrenlosen Lkw gepfercht seien noch, dass Kinder darunter waren, würden schon Abhörprotokolle widerlegen. Angeklagt: 14 Personen – elf Bulgaren, zwei Afghanen und ein bulgarisch-libanesischer Staatsbürger. Sie sollen in ihren Rollen Schuld am Erstickungstod von 71 Flüchtlingen aus Syrien, Afghanistan, dem Iran und dem Irak tragen.
Schmidt hatte in seinem Schlussplädoyer für die vier Hauptangeklagten lebenslange Haft gefordert, für drei von ihnen ohne die Möglichkeit vorzeitiger Entlassung – was in Brüssel zu Diskussionen über die Menschenrechts-Konformität dieses Strafmaßes führte. Die Beschuldigten hatten in den Monaten davor versucht, in Pingpongmanier ihre Verantwortlichkeit an den jeweils anderen abzuspielen. In um Milde haschenden Schlussworten betonten sie, nichts von alledem gewollt zu haben: Der als Bandenchef geltende Afghane ließ wissen, er würde seine „unüberlegten Worte“, wonach der Chauffeur des TodesLkw die Flüchtlinge, so sie sterben, einfach in einem deutschen Wald abladen möge, nachträglich bedauern. Zudem betonte er, Familienangehörige womöglich nie wiederzusehen. Etwas, das vor allem für die Hinterbliebenen der Erstickten gilt.