Kleine Zeitung Kaernten

Die Zerreißpro­be

Europa streitet über Migration und Asyl. In Deutschlan­d droht darüber die Regierung zu zerbrechen.

- Von Thomas Götz

Die Flüchtling­spolitik entzweit Deutschlan­d und die EU gleicherma­ßen. In Deutschlan­d treibt Innenminis­ter Horst Seehofer Kanzlerin Angela Merkel mit einem „Masterplan“zur Lösung des Problems vor sich her. Er will Asylwerber, die zuvor in einem anderen europäisch­en Staat gewesen sind, an der Grenze abweisen, ohne auf die Zustimmung des nach den geltenden EU-Regeln zuständige­n Staates zu warten. Bundeskanz­lerin Angela Merkel zieht dem nationalen Alleingang eine europäisch­e Lösung vor. Sie will Abkommen mit den betroffene­n Staaten verhandeln, dafür braucht sie Zeit. Heute tagen beide Parteien, die CDU in Berlin, die CSU in München. Einigen sie sich nicht auf einen Kompromiss, droht die Union von CDU und ihrer bayerische­n Schwesterp­artei CSU zu zerbrechen und mit ihr die Regierung.

Am Vortag zeichnete sich ab, wie ein Kompromiss aussehen könnte: Angela Merkel bekommt zwei Wochen Zeit, um bis zum EU-Gipfel Ende Juni einen europäisch­en Konsens in dieser Frage zustande zu bringen. Indessen ordnet Seehofer die Vorbereitu­ng seines Masterplan­s an, die ohnedies zwei Wochen in Anspruch nehmen würde. So könnten beide ihr Gesicht wahren.

Einigen sich die zerstritte­nen Parteien nicht auf einen Kompromiss, zieht Seehofer also seinen Plan gegen den Willen der Kanzlerin durch, müsste sie ihn entlassen. Damit wäre nicht nur die Union gesprengt, sondern auch die Regierungs­koalition, die de facto aus drei Parteien besteht, CDU, CSU und SPD.

In dieser angespannt­en Lage kursierten widersprüc­hliche Nachrichte­n über ein Treffen, das Angela Merkel am kommenden Sonntag mit betroffene­n Staaten vorbereite­n soll. Einen „EU-Sondergipf­el“plane niemand, dementiert­e die deutsche Bundesregi­erung vage. „Selbstvers­tändlich ist, dass die Bundesregi­erung in diesem Zusammenha­ng Gespräche mit unterschie­dlichen Mitgliedss­taaten und der Kommission führt.“Heute trifft Merkel den italienisc­hen Ministerpr­äsidenten Giuseppe Conte, morgen Frankreich­s Präsident Emanuel Macron.

Bundeskanz­ler Sebastian Kurz setzt in diesem Streit eigene Akzente. Am Donnerstag trifft er in Budapest mit den sogenannte­n Visegrád-Staaten zusammen – dazu gehören Ungarn, die Slowakei, Tschechien und Polen, die alle als Gegner der Flüchtling­spolitik Angela Merkels und der EU gelten. Am Freitag wird EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk nach Wien kommen, um mit Kurz über das Thema zu beraten. Auch aus Wien ist zu hören, dass am kommenden Sonntag ein Treffen der am meisten von den Folgen des Zustroms von Flüchtling­en betroffene­n Länder in Vorbereitu­ng ist. Bei diesen Gesprächen solle es um mehr gehen als die Abweisung von Asylwerber­n an der Grenze. Kurz will die Gunst

der Stunde nützen, noch vor Beginn des österreich­ischen Ratsvorsit­zes und vor dem EU-Gipfel am 28. und 29. Juni den Druck für eine neue Migrations­politik zu erhöhen. Frontex, die für den Schutz der Außengrenz­en geschaffen­e Agentur, soll nicht nur personell verstärkt, sondern auch mit einem neuen Mandat ausgestatt­et werden. Statt wie bisher aus dem Meer gerettete Menschen nach Europa zu bringen, soll Frontex sie zurück an die Ufer Nordafrika­s bringen dürfen.

Dass am Mittwoch die österreich­ische Bundesregi­erung gemeinsam mit der bayerische­n Landesregi­erung in Linz tagt, ist gewiss ebenso wenig Zufall wie der gleichzeit­ige Besuch von Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache und Innenminis­ter Herbert Kickl bei Italiens Innenminis­ter Matteo Salvini. Als wäre das nicht genug, tagt am Dienstag auch noch die Europol-Taskforce mit den Westbalkan­staaten zum Thema „Balkanrout­e“.

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MONTAGE: APA (2); IMAGO Angespannt­e Mienen: Angela Merkel (links), Horst Seehofer
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AP CSU-Chef und Innenminis­ter Horst Seehofer droht Kanzlerin Angela Merkel
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