Mathematische Kulturrevolution ist nötig
Mathe macht mich so wütend“, schreit der Sohn. Wie kann ein Fach solche Gefühle auslösen? Vater und Mutter sind sich uneinig: Was tun? Während der Vater findet, dass sich der Sohn endlich hinsetzen und sich anstrengen sollte, plädiert die Mutter für Nachhilfestunden. Die Verzweiflung und Hilflosigkeit angesichts einer Serie von negativen Noten – wer kennt das nicht?
In der Schule hat das Lehrpersonal für Mathematik mit den Vorgaben und Vorschriften und deren Überprüfung wie bei der landesweiten Matura zu kämpfen. Die Ergebnisse sind erschreckend, machen ratlos. Das oftmalige Wiederholen der Mathematikschularbeiten aufgrund von zu vielen „Nicht genügend“ist schon lange keine Ausnahme mehr. Die Situation schreit nach einer mathematischen Kulturrevolution. Denn schon seit Generationen ist dieses Fach der Hauptgrund von gescheiterten Schullaufbahnen und zerstört Lebenspläne. Die Eltern, die diese Katastrophe mit dem eigenen Kind erlebt haben, wissen, was das bedeuten kann: Kinder, die sich in ihren Zimmern vergraben. Ein Albtraum, der ein Ende haben muss. Wir wissen und die Schüler erfahren täglich, dass alles zu viel ist und zu schnell geht, um sich das, was „Kompetenz“ausmacht, zu erfassen. Alle Betroffenen sind überfordert. Jetzt verspricht der Bildungsminister wieder einmal „Nachbesserungen“. Ein Flickwerk. Es gäbe Beispiele, die Ansätze für einen grundlegenden Umbau liefern könnten. Um nur zwei zu nennen: In Deutschland hat schon seit 1970 die Göttinger IGS-Schule den Lernprozess ganz anders organisiert. Dort sitzen jeweils sechs Schüler, die „besten“und „schlechtesten“an einem Tisch, so lange an einer Aufgabe, bis sie alle verstanden haben.
D er japanische Mathematiklehrer Kumon hat angesichts des Elends seines Sohnes schon vor 60 Jahren eine Form des Lernens mit systematischem Aufbau gefunden. Ohne die Schaffung solcher Voraussetzungen für das Erlernen von „Grundkompetenzen“gibt es keine Lösung, die das Unglück im Mathematik-Unterricht beenden kann. „Nachbesserungen“sind zu wenig. Es bedarf einer mathematischen Kulturrevolution.
Christian Wabl war Leiter des Projekts des Wissenschaftsministeriums für „Forschendes Lernen“
Seit Generationen ist Mathematik der Hauptgrund von gescheiterten Schullaufbahnen und zerstört Lebenspläne.