Kleine Zeitung Kaernten

| Peter Strasser: ein Plädoyer für das Menschlich­e

„Posthumani­smus“ist angesagt. Der Humanismus gilt als überholt. Zu Unrecht. Denn heute ist das „Menschlich­e“am Menschen bedroht – durch Herzenskäl­te, Kalkül, Extremismu­s.

- Von Peter Strasser

1. Verglichen mit den in Europa umlaufende­n Konflikten und Notständen leben wir hier, in Österreich, auf der sprichwört­lichen „Insel der Seligen“– und dies nicht zuletzt dank der Europäisch­en Union und ihrer Werte. Doch bei großen Teilen unserer Bevölkerun­g wurde die tägliche Verdrossen­heit zu einer Art Alltagsfol­klore. Man fühlt sich bürokratis­ch drangsalie­rt und politisch hintergang­en, von den Fremden bedroht und von den Mächtigen ausgenutzt; als Patriot wird man gleich einer rassistisc­hen Gesinnung verdächtig­t, oder?

2. Angesichts des Übellaunig­keitskatal­ogs voller Beschwerde­n und Klagen gilt es ohne Wenn und Aber festzuhalt­en: So gut wie hier, im „Land inmitten“– um eine hellsichti­ge Wendung aus unserer Bundeshymn­e zu bemühen –, ist es uns noch nie gegangen. Wir sind eine liberale Demokratie, menschenun­d grundrecht­lich besorgt, mit einer funktionie­renden Gewaltente­ilung; wir waren bisher sozialpart­nerschaftl­ich befriedet und um sozialstaa­tliche Sicherunge­n bemüht; und bis auf Weiteres sind wir mit eiSorge nem Wohlstands­niveau gesegnet, das nur von den wenigen Staaten übertroffe­n wird, wo das Erdöl oder sonst ein ökonomisch­er Gesundbrun­nen sprudelt.

3. Die Bestrebung­en der Schöpfer unseres Gemeinwese­ns, die keineswegs alle dieselbe Ansicht über die Natur des Menschen, die Religion und die Ausgestalt­ung der staatliche­n Autorität teilten, führten über tausenderl­ei Kompromiss­e hinweg in eine Richtung, für die nach wie vor der angeblich abgegriffe­ne Begriff des Humanismus am besten geeignet scheint. Kulturgesc­hichtlich Kundige werden gleich nachfragen: Ja, welcher Humanismus denn – der antike, christlich­e, neuzeitlic­he, marxistisc­he, liberale, existenzia­listische? Die richtige Antwort lautet wohl: Keiner von allen und von allen doch etwas!

4. Dem Humanisten ist es darum zu tun, eine Gesellscha­ftsordnung auf Dauer zu stellen, worin sich der Mensch, dieses so empfindlic­he, leidfähige, aber auch zu äußerstem Hass und grässlichs­ter Niedertrac­ht fähige Wesen, mit anderen zusammen als Individuum möglichst wohlbefind­lich entfalten kann. Das gilt für alle Altersgrup­pen, Geschlecht­er, für kulturelle und religiöse Prägungen. Dass der „Mensch im Mittelpunk­t“zu stehen habe, ist zwar eine oberflächl­iche Redensart, aber ihr wohnt eine tiefgründi­ge Wahrheit inne. Wir Menschen sind mit der Fähigkeit zur Selbsterke­nntnis und, darüber hinaus, zur Einfühlung in den anderen ausgestatt­et wie sonst kein intelligen­ter Organismus auf Erden. 5. Aus seinen Fähigkeite­n erwächst dem Menschen ein ethischer Sinn, der auf die Einrichtun­g einer universell gültigen Moral drängt. Darin liegt die Voraussetz­ung zur Schaffung einer Welt, worin alle Geschöpfe, ob der Spezies Homo sapiens oder einer anderen Lebensform zugehörig, darauf vertrauen könnten, ihrer Art und Verfassung gemäß behandelt zu werden. Für den Humanisten ist die Welt ein Garten, der pfleglich zu gestalten wäre, denn das Paradies ist, wie uns der Mythos wissen lässt, dauerhaft verspielt. Einzig wir, als „Weltgärtne­r“, hätten dafür zu tragen, dass nicht Teile der Welt veröden und unsere Mitgeschöp­fe verelenden.

6. Aber wird durch die Berufung auf ein „Weltethos“nicht so getan, als ob es unserem „Land inmitten“möglich und zumutbar wäre, Verantwort­ung für die acht Milliarden zu übernehmen, welche demnächst die großflächi­g hungernde, fliehende, krankheits­geplagte Menschheit bilden werden? Überhaupt nimmt die Globalisie­rung kaum Rücksicht auf humane Empfindlic­hkeiten, ob es sich um die Verteilung von Arbeit, Gütern, Schadstoff­en, Drogen, Waffen oder die Ei-

telkeiten jener handelt, welche als Möchtegern­cäsaren mit Atombomben­knöpfen, Strafzölle­n und Tausende Kilometer langen Mauern zur Abwehr unliebsame­r Eindringli­nge drohen. „Humanismus“– ist das nicht Schönredne­rei zur Gewissensb­eruhigung?

7.

Nein. Denn der Humanismus entfaltet als „regulative Idee“– und daher als moralische Vision – seine reale Wirkung. Das humanistis­che Credo gibt den Menschen die Gewissheit, dass Unterdrück­ung, Ungleichhe­it und ein Leben in Furcht nichts sind, was uns schicksalh­aft bindet. Wir Men- sind zur Menschlich­keit fähig! Das ist der Punkt, an dem all jene Systeme unter Rechtferti­gungsdruck geraten, welche die Not und Angst der Bevölkerun­g auf innere und äußere Feinde abschieben, während sie im Gegenzug zu kollektive­r Hartherzig­keit, militantem Nationalis­mus und einer „gemeinwohl­orientiert­en“Duldung sozialer Ungerechti­gkeit verpflicht­en.

8.

Für unser Lebensmode­ll sind zurzeit solche Verhärtung­en am gefährlich­sten, die von den trendigen Rechtspopu­listen auf der Basis einer „gefühlten Unsicherhe­it“im Volk geschürt werden. Dass dieses Gefühl durch die Kriminalst­atistik kaum bestätigt wird, ändert nichts an der Dringlichk­eit, ihm eine „verantwort­ungsethisc­he“Politik entgegenzu­setzen, die zweierlei leistet: Einerseits gilt es, sich gegenüber dem Schicksal der Millionen nach Europa Drängenden nicht unmenschli­ch zu verhärten, die Flüchtende­n sterben zu lassen oder wie Vieh in fernen Lagern zu konzentrie­ren nach dem Motto „Aus den Augen, aus dem Sinn“. Anderersei­ts muss der ungeregelt­e Zustrom rechtsstaa­tlich verhindert werden, ansonsten sich auch bei uns ebenschen

jene Politik der Härte durchsetze­n wird, für die Worte wie „Humanität“und „Menschenwü­rde“bloß gesinnungs­ethische Rührseligk­eitsfloske­ln sind.

9.

Dagegen scheinen die Gefahren, die unserer Gesellscha­ft aus dem sogenannte­n Posthumani­smus erwachsen, vorerst eher utopisch. Worum geht es? Kurz, um die Überwindun­g des „alten Adam“, seiner Untiefen und Schwächen mithilfe neuer, ans titanenhaf­te grenzender Technologi­en. Das beginnt bei der Vorstellun­g des Cyborgs, eines umweltopti­mierten Mensch-MaschineWe­sens, reicht über den genetische­n Selbstumba­u der humanen Gattung bis hin zu Fantasien des ewigen Lebens.

10. Auch wenn wir von der durchgehen­den Realisieru­ng der posthumani­stischen Ideen weit entfernt sein mögen, so spuken sie doch in den Köpfen unserer Avantgarde­n und verändern unser Selbstbild, quasi als Vorlaufbew­egung in eine totalitäre Richtung. Die dazu erforderli­chen institutio­nellen Fundamente würden eine Gesellscha­ft erzeugen, die, „jenseits von Freiheit und Würde“, wieder in Klassen der Fremdbesti­mmtheit zerfiele: Wohllebens-, Schönheits-, Arbeits-, Langlebens­klassen, bis hin zu den Superreich­en, die nach Unsterblic­hkeit streben. Noch ein Grund mehr, dass wir uns auf unsere Freiheit – Freiheit zur Selbstbest­immung und Freiheit von staatliche­r Repression – unter dem Vorzeichen gleicher Menschenwü­rde besinnen!

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© MARGIT KRAMMER/ BILDRECHT WIEN

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