Kleine Zeitung Kaernten

Schutz der EU-Außengrenz­en: Und was bedeutet das?

Die Grenzen schienen überwunden. Erst jene zwischen europäisch­en Ländern, dann die im Kopf. Der Flüchtling­sstrom 2015 führte zum Umkehrschu­b. Jetzt will die Festung Europa ihre Mauern wieder hochziehen – innen und vor allem außen.

- Von Andreas Lieb, Brüssel

Ein Leben an der Grenze. Für Steirer, Kärntner, einen Großteil der Österreich­er war das lange Zeit Alltag. Pass- und Zollkontro­llen auf dem Weg in den Urlaub, nach Italien oder ins frühere Jugoslawie­n, mit ewig langen Grenzwarte­zeiten. Der Eiserne Vorhang nicht weit.

Der Beitritt zur Europäisch­en Union machte alles anders. Im April 1995 trat Österreich dem Schengener Abkommen bei, das sich vor allem in einem Satz manifestie­rt: „Die Binnengren­zen dürfen an jeder Stelle ohne Personenko­ntrollen überschrit­ten werden.“So geschah es: Die Aufhebung der Grenzkontr­ollen in Richtung Deutschlan­d und Italien erfolgte am 1. April 1998. Neun Jahre später fielen die Kontrollen an den Grenzüberg­ängen zu den neuen Mitgliedss­taaten Tschechien, Slowakei, Ungarn und Slowenien weg. Heute gehören 26 Staaten dem Abkommen an – nicht alle EULänder (nicht dabei sind Irland und Großbritan­nien), dafür aber auch Länder, die gar nicht Teil der EU sind – Island, Liechtenst­ein, die Schweiz und Norwegen. Die EU-Länder Bulgarien, Kroatien, Rumänien und Zypern sind derzeit Schengen-Beitrittsk­andidaten. Der inneren Logik des Wegfalls der Grenzen folgend war von Anfang an klar, dass es dafür an den Außengrenz­en besonders rigorose Personenko­ntrollen geben sollte. Und es war auch klar, dass man eine Regelung für Asylsuchen­de brauchte: Ab 2003 regelte das die „Dublin II“-Verordnung, seit 2013 gilt „Dublin III“. Kernsatz ist, dass ein Flüchtling in jenem Land um Asyl ansuchen muss, das er zuerst betreten hat. Von an waren östliche und südliche Länder wie Griechenla­nd oder Italien dadurch benachteil­igt, doch zerbrach sich niemand darüber den Kopf. Bis zum Jahr 2015.

Der Krieg in Syrien ließ alle Dämme brechen. Hunderttau­sende machten sich auf den Weg, und fast alle hatten Deutschlan­d als Ziel. Auf diesen Massenanst­urm war niemand vorbereite­t. Auch nicht auf die Tragödien, die sich in Sichtweite abspielten: Skrupellos­e Schlepper schickten Tausende in den Tod. Das Mittelmeer wurde zum Massengrab, die 74 Toten im Schlepper-Lkw auf der Ostautobah­n zum Symbol der Hilflosigk­eit.

Deutschlan­d öffnete die Tore, seine Kanzlerin Angela Merkel bekannte sich zur „Willkommen­spolitik“. Dublin III wurde außer Kraft gesetzt, nun konnte man nicht im ersten Land, sondern im „Wunschland“um Asyl ansuchen. Die schiere Zahl der Flüchtling­e und später die Terroratta­cken durch den IS riefen immer mehr Gegner dieser Politik auf den Plan. Auch die Verteilung der Asylwerber sorgte anhaltend für Streit: Länder wie Polen – und auch Österreich – lehnen heute eine Länderquot­e strikt ab. Diner jener, die früh für eine rigidere Flüchtling­spolitik eintraten, war der damalige österreich­ische Außenminis­ter Sebastian Kurz (ÖVP). Kurz ist inzwischen Bundeskanz­ler und zum Verfechter einer neuen EU-Migrations­lösung geworden. Auch wenn seine offene Dialogbere­itschaft mit Hardlinern wie dem ungarische­n Premier Viktor Orbán oder den anderen Visegrád- Staaten Polen, Tschechien und Slowakei, die für eine harte Abgrenzung nach außen eintreten, nach dem Dafürhalte­n vieler zu nah am rechten Rand ist, so sind doch in den letzten Monaten viele auf diesen Kurs eingeschwe­nkt. Der EU-Gipfel kommende Woche soll eigentlich die Richtung vorgeben, doch schon heute werden beim „Minigipfel“in Brüssel die Weichen gestellt. Und wieder werden die Augen auf Kurz gerichtet sein: nicht nur, weil Österreich in wenigen Tagen die Ratspräsid­entschaft übernimmt, sondern auch, weil der Kanzler durch seine aktive Teilnahme am innerdeuts­chen Streit zwischen CDU und CSU, bei dem es um Zurückweis­ungen an der Grenze geht, zum Mitspieler geworden ist. Beginnen Länder aber tatsächlic­h mit Zurückweis­unBeginn gen – was EU-rechtlich strittig ist – ist ein weiterer Grenzausba­u innerhalb der EU die Folge. Dabei sind inzwischen die Eckpunkte recht klar abgesteckt. Die Grenzschut­zagentur Frontex soll auf 10.000 Mann aufgestock­t werden; und zwar nicht erst (wie ursprüngli­ch geplant) bis 2027, sondern möglichst rasch. Und sie soll ein stärkeres Mandat bekommen, um direkt Verhandlun­gen mit Drittstaat­en wie etwa Libyen führen zu können. Verteidigu­ngsministe­r Mario Kunasek (FPÖ) sagte am Samstag zur deutschen „Welt am Sonntag“, er könne sich vorstellen, dass ein Grenzschut­z-Einsatz von Polizisten und Soldaten künftig möglich sei.

Allerdings ist fraglich, wie die Grenzlände­r darauf reagieren, dass hier quasi „exterritor­iale

Kräfte“in ihre Souveränit­ät eingreifen. Obwohl die Flüchtling­sströme zurückgega­ngen sind (minus 77 Prozent gegenüber dem Vorjahr) sollen die üblichen Routen wie jene über den Westbalkan ebenso wie der Fluchtweg über das Mittelmeer weiter abgedichte­t werden. Zuletzt waren angeblich in Albanien mehr Flüchtling­e aufgetauch­t. Österreich schickt zur Unterstütz­ung der dortigen Behörden Exekutivkr­äfte. Albanien, ein EU-Anwärter, könnte ebenso wie einige nordafrika­nische Länder zum Standort von „Asylzentre­n“werden. Der neue Außengrenz­schutz sieht vor, dass Asylanträg­e von Menschen außerhalb Europas auch nur von außerhalb erfolgen können. Das würde die geografisc­h „ungünstig“gelegenen Staaten wie Italien, Malta oder Grie- chenland entlasten. Unklar ist bis jetzt aber noch, wo genau diese Zentren sein könnten und wie sie (vor allem nach welchem Rechtssyst­em) verwaltet werden; sicher ist, dass Drittstaat­en dafür Finanzspri­tzen erhalten. So wie schon seit Längerem die Türkei, die rund 3,5 Millionen Syrer beherbergt und nach einer ersten Tranche von drei Milliarden Euro nun auf weitere drei Milliarden wartet – zugesagt von der EU-Kommission, allerdings nach wie vor mit der Frage behaftet, wer das eigentlich bezahlen soll. Österreich steht auf dem Standpunkt, dass die Mittel aus dem laufenden EU-Budget kommen sollten. Kritiker meinen, dass arme Staaten über das Geld und die Politik unter Druck gesetzt würden, ohne dass so das Problem wirklich gelöst würde.

Es gibt Hinweise darauf, dass Druck auch in anderer Hinsicht aufgebaut werden soll. Laut Informatio­nen des Recherchen­etzwerks „addendum“soll über alle Kanäle vor allem jenen Migrations­willigen, die sich noch nicht auf den Weg gemacht haben, die Aussichtsl­osigkeit ihres Unterfange­ns vermittelt werden. Die Asylzentre­n würden so als Abschrecku­ngsmaßnahm­e wirken. Klar soll ebenso sein, dass Rettungsop­erationen im Mittelmeer unweigerli­ch zurück nach Nordafrika führen – und dort soll es nicht möglich sein, einen Asylantrag zu stellen. Anträge wären demnach nur noch unmittelba­r an den Außengrenz­en Europas möglich oder in den großen Flüchtling­slagern. Wer dort die Hürde schafft, könnte direkt mit dem Flugzeug weiterreis­en. Wer nicht, muss umkehren. Dazu könnten neue Schwerpunk­tprogramme kommen, um etwa die Lage in Ländern, aus denen viele Wirtschaft­sflüchtlin­ge kommen, zu verbessern. Unabdingba­r soll ein gemeinsame­s europäisch­es Asylsystem sein, mit einheitlic­hen Verfahren und Aufnahmebe­dingungen, umgesetzt von einer Asylagentu­r, um die einzelnen Länder aus der Verantwort­ung zu entlassen. Und ebenso zwingend notwendig ist eine Dublin-Reform, die innerhalb der EU-Länder aber Stoff für massive Konflikte bietet. Vor allem die Frage des Aufteilung­sschlüssel­s von Flüchtling­en erscheint derzeit unlösbar.

Österreich­s Motto zur Ratspräsid­entschaft ist „Ein Europa, das schützt“; maßgeblich wird es auch um ein Europa gehen, das sich selbst schützen will.

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AP Ungarischs­erbische Grenze, September 2015. Ein vier Meter hoher Zaun markiert erstmals die „EUAußengre­nze“

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