„Hier ist es sicher, das weiß ich zu schätzen“
REPORTAGE. Die Frage nach den „Fluchtursachen“stellt sich auch in Afrika. Ein Besuch der Nachbarländer Burundi und Ruanda macht deutlich, wann und warum Menschen fliehen und welche Rolle Politik dabei spielt.
Wer auf den staubigen Roterde-Straßen durch Burundi und Ruanda fährt, dem offenbaren sich auf den ersten Blick kaum Unterschiede zwischen den beiden ostafrikanischen Ländern. Die zahlreichen Hügel präsentieren sich in saftigem Grün, auf den Feldern tanzen Tee- und Reispflanzen im Wind und unzählige Bananenbäume säumen die Wege. Und doch könnten die Länder, die zusammen knapp mehr als halb so groß wie Österreich sind, unterschiedlicher nicht sein. Während Burundi das fünftärmste Land der Welt ist, aus dem bereits rund eine halbe Million Menschen geflohen sind, gilt Ruanda als Vorzeigeland Afrikas. Wie sehr die Führung eines Landes über dessen Gedeih und Verderb entscheidet, lässt sich kaum besser illustrieren als mit diesen beiden Nachbarländern.
Erst vor wenigen Wochen fand in Burundi ein Referendum statt, das Langzeit-Präsident Pierre Nkurunziza erweiterte Machtbefugnisse und die Herrschaft bis 2034 sicherte. wurden eingeschüchtert, verhaftet oder getötet. „Der Präsident kümmert sich nicht um die Leute, er kümmert sich um seine Leute“, erzählt ein Burunder in Gitega, während er sich nervös umsieht. „Die Wände hier haben Ohren.“Weil ein stabiler Partner in der Regierung fehlt, halten sich auch internationale Hilfsgelder in Grenzen. Dabei ist die Arbeit der NGOs bitter nötig. Drei Viertel der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze, jedes zweite Kind leidet an den Folgen chronischer Unterernährung.
Diese Folgen offenbaren sich bei einem Besuch des Waisenhauses in Gitega. Mit finanzieller Unterstützung von Caritas Österreich werden hier Waisen und stark unterernährte Kinder versorgt. Es sind die 320 Kinder von Godelive Miburo, einer stämmigen Ordensschwester, deren Lächeln oft traurig wirkt. Godelive, die das Heim vor 19 Jahren eröffnet hat, zeigt auf ein scheinbar vierjähriges Kind. „Dieser Bub ist zwölf Jahre alt und wiegt vier Kilo. Er kann gehen oder sprechen, er kann nicht einmal alleine essen.“Bei der Antwort auf die Frage, ob die Regierung ihr Haus unterstützt, bebt Godelives Stimme. „Sie schicken die Kinder zu uns, Geld für die Versorgung bekommen wir aber nicht.“Allein die Ernährung der Kinder kostet 4000 Euro im Monat. „Das ist die Tragödie unseres Landes“, sagt sie. „Einige wenige werden reicher, während die Armen ärmer werden.“
Zur instabilen politischen Lage kommen weitere Probleme hinzu. Der kleine Staat ist – wie Nachbar Ruanda – dicht besiedelt, die Fertilitätsrate liegt bei sechs Kindern pro Frau. Der Boden wird zu gleichen Teilen vererbt, was die Felder kleiner und den Anbau schwieriger macht. Die Folge: Eltern können ihre Kinder, die als Statussymbol gelten, nicht ernähren.
Ein Problem, mit dem Jeannette Hakizimana täglich kämpft. Die 36-Jährige lebt in Songa bei Gitega. Hier teilt sie sich eine weniger als 20 Quadratmeter große, dunkle Lehmhütte mit ihrem Mann und sieGegner ben Kindern. „Das Leben ist nicht einfach“, erzählt sie. Sie muss Miete zahlen für das Haus, das nach Erde und verbranntem Holz riecht. Ihr eigenes musste sie verkaufen. „Ich brauchte einen Kaiserschnitt und musste das Krankenhaus bezahlen.“Ihr Mann verdient weniger als fünf Euro im Monat, es bleibt kaum Geld fürs Essen. „Frühstück gibt es nie, Mittagessen selten. Am Abend muss etwas auf den Tisch – auch, wenn es wenig ist.“Drei ihrer Kinder sind Pflegekinder, die sie aus dem Waisenhaus aufgenommen hat. Ein Mal pro Woche bringen Mitarbeiter Mais und Bohnen. Warum hat sie zusätzliche Kinder aufgenommen? „Aus Nächstenliebe. Was man hat, das soll man teilen. Auch wenn es wenig zu teilen gibt.“Hunger und das politische Klima veranlassen viele Burunder dazu, über die Grenze nach Ruanda zu flüchten. Das Land, das erst vor 24 Jahren von einem Genozid erschüttert wurde, bei dem 800.000 Menschen getötet wurden, setzt heute auf Versöhnicht