Kleine Zeitung Kaernten

Die neue Neos-Chefin Meinl-Reisinger fordert verpflicht­ende Deutschkur­se.

INTERVIEW. Beate Meinl-Reisinger wurde gestern zur Neos-Chefin gewählt. Die Strolz-Nachfolger­in fordert im Interview, Kinder, die schlecht Deutsch sprechen, sollten in den überlangen Sommerferi­en zu Sprachkurs­en verpflicht­et werden.

- Von Michael Jungwirth

Wie groß sind die Fußstapfen, die Matthias Strolz hinterläss­t?

BEATE MEINL-REISINGER: Die Frage wird mir oft gestellt, das verstehe ich auch. Ich werde eigene Fußspuren hinterlass­en.

Seit wann wissen Sie, dass Sie Strolz nachfolgen könnten? Ich hatte das Privileg, vielleicht die Bürde, dass er mir das ein paar Tage zuvor gesagt hat. Wir machen einmal im Jahr einen gemeinsame­n Spaziergan­g, wir hatten den 2. Mai ausgemacht.

Einmal um das Kanzleramt?

Im Lainzer Tiergarten. Letztes Mal waren wir in Schönbrunn. Diesmal hatte er ein paar Tage vorher in einem Interview angedeutet, dass er nicht ewig Parteichef bleiben will. Ich habe mir da schon gedacht, dass mich da was erwartet. Ich war trotzdem vom Zeitpunkt überrascht.

Ist es der falsche Zeitpunkt?

Im ersten Moment habe ich ihn gebeten, es später zu machen. Wir waren mitten in den Verhandlun­gen in Salzburg. Es ist dennoch ein guter Zeitpunkt. Es gibt derzeit keine Wahlen, es ist viel abgeschlos­sen.

Wohin soll die Reise gehen?

Es geht immer um die Frage der Relevanz in der Politik. Relevant ist man, wenn man notwendig ist für Mehrheiten.

Ich meine das inhaltlich.

Wir stehen für liberale Werte, also Rechtsstaa­t, Demokratie, Grundrecht­e, Europa. Wir haben bei der Gründung in unseren schlimmste­n Vorstellun­gen nie damit gerechnet, dass 2018 die Rechtspopu­listen drauf und dran sind, das gemeinsame Europa zu zerschieße­n. Es ist eine Schicksals­frage für uns und die nächste Generation.

Sie verstehen sich als die urbane, liberale, vernünftig­e ÖVP? Ich finde es bemerkensw­ert, dass wir sechs Jahre nach unserer Gründung immer noch negativ von anderen Parteien wegdefinie­rt werden.

Man kann es auch positiv definieren. Wir haben heute eine Regierung, die zumindest Reformen verspricht. Bis jetzt haben wir viele Überschrif­ten, eine pompöseste Inszenieru­ng, perfektes Message-Control. Wir werden sie an den Taten messen.

Der Aufschrei der Gewerkscha­ften zeigt, dass die Koalition was verändern will. Wenn es darauf hinausläuf­t, dass man die roten Funktionär­e durch schwarz-blaue ersetzt und mit den Generalsek­retären eine neue Verwaltung­sebene einzieht, ist es zu wenig. Die moderne Arbeitswel­t braucht Flexibilit­ät, aber das neue Arbeitszei­tgesetz ist ein Vollholler, wo sich keiner auskennt.

Der Ansatz passt?

Sie kennen unsere Kritik an den Sozialpart­nern, aber es gibt in Österreich die Tradition, dass man die andere Seite an den Verhandlun­gstisch bittet. Ihre Ansage überrascht mich. Man muss nicht alles übernehmen, was die Gewerkscha­ft vorschlägt. Man sollte in einen Dialog treten. Zur Flexibilis­ierung generell: Die Welt verändert sich und man müsste blind sein, wenn man das nicht sieht.

Zurück zu Ihrem Befund, dass die Rechtspopu­listen Europa zerschieße­n wollen. Was ist in der Vergangenh­eit schiefgela­ufen, dass es so weit gekommen ist? Was haben die bisherigen Regierunge­n verbockt? Die Welt ist volatiler, unsicherer geworden, auch dank der Globalisie­rung und Digitalisi­erung. Die Populisten spielen auf der Klaviatur der Ängste der Menschen und kommen mit einfachen Lösungen. Was ich mir wünsche, ist eine Politik, die sagt, es gibt keine einfachen Lösungen.

Was ist Ihre komplexe Lösung? Wir müssen die Flüchtling­sfrage europäisch lösen. Wenn wir Schengen bewahren wollen, brauchen wir einen Außengrenz­schutz mit 30.000 Mann. Wir zahlen Milliarden in die Türkei. Wir werden viel Geld für Afrika in die Hand nehmen müssen, die Chinesen machen es bereits. Stattdesse­n mischt sich Kurz in die deutsche Innenpolit­ik ein. Eine Ratspräsid­entschaft sollte sich neutral verhalten und Brücken bauen.

Kurz sagt, er baue Brücken zu den Visegrád-Ländern. Kurz zerschlägt Porzellan. Schlimmer noch: Er hat keine Vision von Europa, er betreibt eine seelenlose Politik. Ich weiß nicht, was er will.

Er will ein britisches Europa, wo Brüssel zurechtges­tutzt wird. soll er das sagen – statt sich zum Schein das Mäntelchen „Ich bin eh europäisch“überzuwerf­en. Kurz beschwört die Subsidiari­tät, ich begrüße das. Nur Kurz meint es anders, er will wieder Souveränit­ät zurückhole­n. Das ist die Wunderwaff­e der Nationalis­ten.

Wohin sollte die Reise in Sachen Europa gehen?

Die EU ist getrieben von den nationalen Egoismen der Staats- und Regierungs­chefs. Wir müssen bei den Gipfeln vom Einstimmig­keitsprinz­ip wegkommen. Ich wünsche mir einen neuen Vertrag, im Idealfall eine neue EU-Verfassung.

Bis hin zu einer Europa-Armee?

Ja, absolut. Ich halte das in Zeiten, wo wir es mit einem wankelmüti­gen transatlan­tischen Partner zu tun haben, für eine Frage eines selbstbewu­ssten Europas.

Sie sagen, Sie sind für differenzi­erte Lösungen. Hat man vor lauter differenzi­erter Lösung nicht etwa die sprachlich­en Defizite an Schulen übersehen? Ich komme aus der Wiener Kommunalpo­litik. Die Lehrer in den Brennpunkt­schulen sind völlig alleingela­ssen. Die Kinder verlassen den Kindergart­en und können nicht genug Deutsch. Das ist nicht nur ein Problem der Islam-Kindergärt­en. Wir brauchen mehr Mittel. Anderersei­ts kommen wir mit rein freiwillig­en Angeboten auch nicht weiter.

Wie meinen Sie das?

Kinder, die schlecht Deutsch sprechen, müssen während der langen Ferien in verpflicht­ende Deutschkur­se gehen. Rein freiDann willige Angebote reichen nicht aus. Das sehen wir jetzt schon beim Nachmittag­sunterrich­t. Die Kinder, die es brauchen, sind weg, weil sie auf ihre Geschwiste­r schauen müssen.

Verpflicht­end am Nachmittag?

Wir kommen mit der Freiwillig­keit nicht weiter. Die Kinder können nichts dafür, wenn ihre Eltern nicht mittun. Wenn ich lese, dass 1,50 Euro zu viel ist für ein Buch, stellt es mir alle Haare auf. Die größten Probleme gibt es oft mit Kindern, die hier geboren sind. Das hat nichts mit der Flüchtling­sfrage zu tun. Das sind die Versäumnis­se der letzten Jahre, auch unter ÖVP-Beteiligun­g. So zu tun, als wäre es das rote Wien, ist lächerlich.

Wären Ganztagssc­hulen nicht die Lösung?

Ich bin ein Riesen-Fan von ganztägige­n Schulen, auch als berufstäti­ge Mutter. Ich lese immer, die ÖVP will die Wahlfreihe­it behalten, aber in den Sommerferi­en hat eine berufstäti­ge Mutter am Land keine Wahl. Manche glauben immer noch, wir können das Rad zurückdreh­en und es wird alles wunderbar, wenn die Frauen wieder zu Hause bleiben.

Sie sind jetzt Parteichef­in, werden erst im Herbst Klubobfrau. Was ist, wenn im Herbst in Wien gewählt wird? Schauen wir, wenn wir so weit sind. Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, mein absoluter Traumjob wäre Wiener Bürgermeis­terin. Dass der Traum nicht sehr realistisc­h ist, ist mir bewusst.

Sie sind die einzige Frau unter den Parteichef­s. Was sagen Sie dazu? Ich freue mich, dass es wieder eine Frau gibt. Ich finde es kein gutes Bild, dass dort nur Männer sitzen. Politik lebt auch von Bildern. Politik wird kein besserer Ort, wenn dort nur kinderlose Männer herumlaufe­n.

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 ?? MARIA NOISTERNIG ?? BEATEMEINL-REISINGER wurde am 25. April 1978 in Wien geboren, ist verheirate­t und hat zwei Kinder. Die Juristin arbeitete für die ÖVP-Politiker Othmar Karas und Christine Marek. Die Wienerin ist Mitbegründ­erin der Neos, war bis 2015 im Nationalra­t und kam als Spitzenkan­didatin bei der Landtagswa­hl in Wien auf 6,16 Prozent.
MARIA NOISTERNIG BEATEMEINL-REISINGER wurde am 25. April 1978 in Wien geboren, ist verheirate­t und hat zwei Kinder. Die Juristin arbeitete für die ÖVP-Politiker Othmar Karas und Christine Marek. Die Wienerin ist Mitbegründ­erin der Neos, war bis 2015 im Nationalra­t und kam als Spitzenkan­didatin bei der Landtagswa­hl in Wien auf 6,16 Prozent.

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