Die neue Neos-Chefin Meinl-Reisinger fordert verpflichtende Deutschkurse.
INTERVIEW. Beate Meinl-Reisinger wurde gestern zur Neos-Chefin gewählt. Die Strolz-Nachfolgerin fordert im Interview, Kinder, die schlecht Deutsch sprechen, sollten in den überlangen Sommerferien zu Sprachkursen verpflichtet werden.
Wie groß sind die Fußstapfen, die Matthias Strolz hinterlässt?
BEATE MEINL-REISINGER: Die Frage wird mir oft gestellt, das verstehe ich auch. Ich werde eigene Fußspuren hinterlassen.
Seit wann wissen Sie, dass Sie Strolz nachfolgen könnten? Ich hatte das Privileg, vielleicht die Bürde, dass er mir das ein paar Tage zuvor gesagt hat. Wir machen einmal im Jahr einen gemeinsamen Spaziergang, wir hatten den 2. Mai ausgemacht.
Einmal um das Kanzleramt?
Im Lainzer Tiergarten. Letztes Mal waren wir in Schönbrunn. Diesmal hatte er ein paar Tage vorher in einem Interview angedeutet, dass er nicht ewig Parteichef bleiben will. Ich habe mir da schon gedacht, dass mich da was erwartet. Ich war trotzdem vom Zeitpunkt überrascht.
Ist es der falsche Zeitpunkt?
Im ersten Moment habe ich ihn gebeten, es später zu machen. Wir waren mitten in den Verhandlungen in Salzburg. Es ist dennoch ein guter Zeitpunkt. Es gibt derzeit keine Wahlen, es ist viel abgeschlossen.
Wohin soll die Reise gehen?
Es geht immer um die Frage der Relevanz in der Politik. Relevant ist man, wenn man notwendig ist für Mehrheiten.
Ich meine das inhaltlich.
Wir stehen für liberale Werte, also Rechtsstaat, Demokratie, Grundrechte, Europa. Wir haben bei der Gründung in unseren schlimmsten Vorstellungen nie damit gerechnet, dass 2018 die Rechtspopulisten drauf und dran sind, das gemeinsame Europa zu zerschießen. Es ist eine Schicksalsfrage für uns und die nächste Generation.
Sie verstehen sich als die urbane, liberale, vernünftige ÖVP? Ich finde es bemerkenswert, dass wir sechs Jahre nach unserer Gründung immer noch negativ von anderen Parteien wegdefiniert werden.
Man kann es auch positiv definieren. Wir haben heute eine Regierung, die zumindest Reformen verspricht. Bis jetzt haben wir viele Überschriften, eine pompöseste Inszenierung, perfektes Message-Control. Wir werden sie an den Taten messen.
Der Aufschrei der Gewerkschaften zeigt, dass die Koalition was verändern will. Wenn es darauf hinausläuft, dass man die roten Funktionäre durch schwarz-blaue ersetzt und mit den Generalsekretären eine neue Verwaltungsebene einzieht, ist es zu wenig. Die moderne Arbeitswelt braucht Flexibilität, aber das neue Arbeitszeitgesetz ist ein Vollholler, wo sich keiner auskennt.
Der Ansatz passt?
Sie kennen unsere Kritik an den Sozialpartnern, aber es gibt in Österreich die Tradition, dass man die andere Seite an den Verhandlungstisch bittet. Ihre Ansage überrascht mich. Man muss nicht alles übernehmen, was die Gewerkschaft vorschlägt. Man sollte in einen Dialog treten. Zur Flexibilisierung generell: Die Welt verändert sich und man müsste blind sein, wenn man das nicht sieht.
Zurück zu Ihrem Befund, dass die Rechtspopulisten Europa zerschießen wollen. Was ist in der Vergangenheit schiefgelaufen, dass es so weit gekommen ist? Was haben die bisherigen Regierungen verbockt? Die Welt ist volatiler, unsicherer geworden, auch dank der Globalisierung und Digitalisierung. Die Populisten spielen auf der Klaviatur der Ängste der Menschen und kommen mit einfachen Lösungen. Was ich mir wünsche, ist eine Politik, die sagt, es gibt keine einfachen Lösungen.
Was ist Ihre komplexe Lösung? Wir müssen die Flüchtlingsfrage europäisch lösen. Wenn wir Schengen bewahren wollen, brauchen wir einen Außengrenzschutz mit 30.000 Mann. Wir zahlen Milliarden in die Türkei. Wir werden viel Geld für Afrika in die Hand nehmen müssen, die Chinesen machen es bereits. Stattdessen mischt sich Kurz in die deutsche Innenpolitik ein. Eine Ratspräsidentschaft sollte sich neutral verhalten und Brücken bauen.
Kurz sagt, er baue Brücken zu den Visegrád-Ländern. Kurz zerschlägt Porzellan. Schlimmer noch: Er hat keine Vision von Europa, er betreibt eine seelenlose Politik. Ich weiß nicht, was er will.
Er will ein britisches Europa, wo Brüssel zurechtgestutzt wird. soll er das sagen – statt sich zum Schein das Mäntelchen „Ich bin eh europäisch“überzuwerfen. Kurz beschwört die Subsidiarität, ich begrüße das. Nur Kurz meint es anders, er will wieder Souveränität zurückholen. Das ist die Wunderwaffe der Nationalisten.
Wohin sollte die Reise in Sachen Europa gehen?
Die EU ist getrieben von den nationalen Egoismen der Staats- und Regierungschefs. Wir müssen bei den Gipfeln vom Einstimmigkeitsprinzip wegkommen. Ich wünsche mir einen neuen Vertrag, im Idealfall eine neue EU-Verfassung.
Bis hin zu einer Europa-Armee?
Ja, absolut. Ich halte das in Zeiten, wo wir es mit einem wankelmütigen transatlantischen Partner zu tun haben, für eine Frage eines selbstbewussten Europas.
Sie sagen, Sie sind für differenzierte Lösungen. Hat man vor lauter differenzierter Lösung nicht etwa die sprachlichen Defizite an Schulen übersehen? Ich komme aus der Wiener Kommunalpolitik. Die Lehrer in den Brennpunktschulen sind völlig alleingelassen. Die Kinder verlassen den Kindergarten und können nicht genug Deutsch. Das ist nicht nur ein Problem der Islam-Kindergärten. Wir brauchen mehr Mittel. Andererseits kommen wir mit rein freiwilligen Angeboten auch nicht weiter.
Wie meinen Sie das?
Kinder, die schlecht Deutsch sprechen, müssen während der langen Ferien in verpflichtende Deutschkurse gehen. Rein freiDann willige Angebote reichen nicht aus. Das sehen wir jetzt schon beim Nachmittagsunterricht. Die Kinder, die es brauchen, sind weg, weil sie auf ihre Geschwister schauen müssen.
Verpflichtend am Nachmittag?
Wir kommen mit der Freiwilligkeit nicht weiter. Die Kinder können nichts dafür, wenn ihre Eltern nicht mittun. Wenn ich lese, dass 1,50 Euro zu viel ist für ein Buch, stellt es mir alle Haare auf. Die größten Probleme gibt es oft mit Kindern, die hier geboren sind. Das hat nichts mit der Flüchtlingsfrage zu tun. Das sind die Versäumnisse der letzten Jahre, auch unter ÖVP-Beteiligung. So zu tun, als wäre es das rote Wien, ist lächerlich.
Wären Ganztagsschulen nicht die Lösung?
Ich bin ein Riesen-Fan von ganztägigen Schulen, auch als berufstätige Mutter. Ich lese immer, die ÖVP will die Wahlfreiheit behalten, aber in den Sommerferien hat eine berufstätige Mutter am Land keine Wahl. Manche glauben immer noch, wir können das Rad zurückdrehen und es wird alles wunderbar, wenn die Frauen wieder zu Hause bleiben.
Sie sind jetzt Parteichefin, werden erst im Herbst Klubobfrau. Was ist, wenn im Herbst in Wien gewählt wird? Schauen wir, wenn wir so weit sind. Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, mein absoluter Traumjob wäre Wiener Bürgermeisterin. Dass der Traum nicht sehr realistisch ist, ist mir bewusst.
Sie sind die einzige Frau unter den Parteichefs. Was sagen Sie dazu? Ich freue mich, dass es wieder eine Frau gibt. Ich finde es kein gutes Bild, dass dort nur Männer sitzen. Politik lebt auch von Bildern. Politik wird kein besserer Ort, wenn dort nur kinderlose Männer herumlaufen.