Mit Melkroboter und Mut gegen die Ohnmacht
PORTRÄT. Mit dem EU-Beitritt bekam die heimische Bauernschaft übermächtige Konkurrenz. Wie man es trotzdem schafft – ein Besuch auf einem Hof in der Oststeiermark.
Knorriger Mischwald, sattgrüne Sommerwiesen, hochschwangere Obstbäume, aufgeräumte Gemüsegärten. Das einsame Asphaltband, das sich den Hügel hinaufwindet, ziert auf halber Höhe eine Bushaltestelle, an der die Linie 306 mit drei täglichen Verbindungen zwischen Puchegg, Kleinlungitz, Grafendorf und Hartberg geizt.
An diesem Fleck der Oststeiermark ist paradigmatisches Bauernhofidyll zu Hause. Und anstrengende, entbehrungsreiche Arbeit. 12-Stunden-Tage sind normal, permanente Abrufbereitschaft notwendig, eine Woche Urlaub pro Jahr heiß ersehnter, nicht immer realisierbarer Luxus. „Die Kühe brauchen ja eine Rund-umdie-Uhr-Betreuung“, sagt Maria Kopper.
Die Kühe. 60 Stück Fleckvieh sind das betriebswirt- schaftliche Kapital von Maria und Manfred Kopper, die den von seinen Großeltern und Eltern aufgebauten Bauernhof in Stambach bei Hartberg vor sechzehn Jahren übernommen haben. Leicht war es schon damals nicht, als Landwirte das Auslangen zu finden. Mittlerweile ist es noch härter geworden. Gerade für Milchbauern, die seit dem EU-Beitritt Österreichs die ganze Wucht des internationalen Wettbewerbs am eigenen Hof zu spüren bekommen. Die Marktöffnung hat für viele zu einem existenzbedrohenden bis vernichtenden Preisdruck geführt.
Was im Vorfeld des EUEintritts befürchtet, berechnet und bestätigt wurde, strahlt nachhaltig bis ins Heute aus. Die Übernahme der im Abkürzungen liebenden EU-Bürokratensprech GAP genannten „Gemeinsamen Agrarpolitik“würde die Erzeugerpreise landwirtschaftlicher Produkte um 23 Prozent drücken, warnte das Wirtschaftsforschungsinstitut 1994. Eine Nachbetrachtung des ersten EU-Jahres kam schließlich tatsächlich auf ein Minus von durchschnittlich 22 Prozent. Trotz einem Mix aus Übergangsphasen, Ausgleichszahlungen und großzügigen Förderungen, der wie ein Schutzschild über den Agrarsektor gespannt wurde, schmilzt dieser Sektor bis heute kontinuierlich S ab. o ist die Zahl der landund forstwirtschaftlichen Betriebe in Österreich seit 1995 von 238.000 auf 161.000 zurückgegangen. Egal ob Haupterwerb oder Nebenerwerb, egal ob Rinder-, Hühner- oder Schweinehalter: Jeden Tag geben hierzulande durchschnittlich sieben Bauern im Kampf gegen den freien Markt, die Globalisierung und den Preisverfall auf. Der landwirtschaftlich genutzte Republiksboden ist auf 2,6 Millionen Hektar, der Anteil der Landwirtschaft an der Bruttowertschöpfung auf 1,2 Prozent zusammengeschrumpft. Auch bei den Milcherzeugern hat ein Minus von 61 Prozent seit 1995 dafür gesorgt, dass es heute zwischen Boden- und Neusiedler See gerade noch 30.272 Betriebe gibt, 4545 davon in der Steiermark, 2000 in Kärnten. Tendenz: fallend – trotz gleichbleibendem Trinkmilchkonsum (76,6 Liter pro Jahr pro Österreicher) und sogar zunehmendem Käsehunger (23 Kilo pro Kopf ).
Die durchschnittliche Hofgröße hingegen stieg im selben Zeitraum branchenweit an. Bewirtschaftete ein Betrieb im Jahr des EU-Beitritts im Schnitt noch 31,5 Hektar Gesamtfläche, waren es 2010
bereits 42,4 Hektar und sind es heute 46 Hektar. Auch die Koppers folgten diesem Expansionstrend. Vor 25 Jahren hatte man 20 Kühe im Stall, gehalten mit einer Anbindeund Rohrmelkanlage. „Eine Größenordnung, die zum Aufhören zu groß war, aber fürs Weitermachen eine riesige Herausforderung bedeutete“, erinnert sich Maria Kopper. Die Koppers wählten – nicht nur familiär mit vier Kindern – die mutige „Wachsen statt Weichen“Variante und nahmen schließlich 2009 Österreichs ersten Kompoststall in Betrieb. Dort wechseln die Tiere selbstständig zwischen Fress-, Melk- und Liegebereichen. Letzterer gleicht einer großen Halle mit Aussicht ins Grüne, in die gehäckseltes Elefantengras, Säge- und Hobelspäne eingestreut werden. Zwei Mal täglich ackert Manfred Kopper die obers- ten Schichten der Bodenauflage um, wodurch sie sich mit dem Rindermist vermischt und mit Sauerstoff „belüftet“wird. Alles zusammen verrottet so zu einem geruchlosen und feinkrümeligen Kompost, der zwei Mal jährlich auf die Felder als Langzeitdünger D ausgebracht wird. ie Tiere belohnen diese artgerechte Haltung mit feiner Milch, die sie bei einem Melkroboter selbstständig „abliefern“. Am Eingang ins automatisierte Kammerl herrscht bisweilen ein Andrang wie vor einem Skilift in den Weihnachtsferien. Rund sieben Minuten dauert das Prozedere vom Euterreinigen bis zum Ende des Melkvorgangs. Alles voll automatisiert, permanent kontrolliert und lückenlos dokumentiert, um den strengen Auflagen als zertifizierter Biomilch-Betrieb zu entsprechen.
Die Koppers haben sich bewusst für diese nachhaltige Bewirtschaftung entschieden – auch um gegenüber der gigantösen Landwirtschaftsindustrie in anderen EU-Ländern wettbewerbsfähig zu bleiben und dem Preisdruck etwas auszuweichen. So wurde im Vergleich zur früheren konventionellen Produktion die Menge von 530.000 pro Jahr auf rund 400.000 Kilo gedrosselt. „Wir können das über den etwas höheren Biomilch-Preis kompensieren“, rechnet Maria Kopper vor. In nüchternen Zahlen: 50 statt 38 Cent pro Kilo bekommen die Koppers von der Berglandmilch-Molkerei. Alternativen? Eigentlich keine. „Wir können ja nicht alle direkt vermarkten.“Und die niederösterreichische NÖM, die am Hügel rechts Hauptabnehmer ist, oder die Kärntnermilch, die den Hügel links betreut, zahlen auch nicht mehr. „Wir sind ja nur das kleinste Rad und einem von oben herab gesteuerten System ausgeliefert“, beschreibt Maria Kopper das Gefühl der Ohnmacht, das sie manchmal befällt.
Zumindest was die vor wenigen Tagen von der EUKommission vorgelegten Pläne für Kürzungen des Agrarbudgets für die Förderperiode von 2021 bis 2027 angeht, hat sich staatenübergreifender Widerstand gebildet. Ob’s hilft? Von der kurzzeitigen Erholung des Milchpreises Ende vergangenen Jahres ist jedenfalls nicht mehr viel übrig. Dazu wirkt der Wegfall der preisstabilisierenden Milchquote vor drei Jahren noch nach. „Es hat sich nicht gut entwickelt“, räsoniert Maria Kopper. Und meint auch die Fördertradition. 58 Milliarden Euro pro Jahr und damit 40 Prozent des gesamten EU-Haushalts fließen derzeit in die Agrarbranche. „Dafür müssen wir uns beschimpfen lassen, parallel sind die Preise für unsere Produkte aber so niedrig, dass wir nicht davon leben können.“So sind die Bauerneinkommen seit 2011 nominell T um ein Drittel gesunken. atsächlich hat unsere diskontverseuchte Konsumgesellschaft die edlen Waren der Bauern zu einem Dumpingdingsbums degeneriert. „Wenn sich die Leute irgendetwas in den Magen hineinstopfen, nur um satt zu werden, ist das kein Problem, aber wenn ein Liter Milch 1,50 Euro kostet, wird gleich geschrien“, hadert Maria Kopper über den materiellen und ideellen Wertverlust. Lieber hätte sie faire Preise, als Subventionen in Anspruch nehmen zu müssen. Aber man habe als Bauer keine Zeit, um aufzustehen, sich zu organisieren und zu protestieren. „Vielleicht sind wir aber auch schon zu wenige.“
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