Kleine Zeitung Kaernten

Werden Supercompu­ter Ärzte ersetzen?

Supercompu­ter können auf riesige Datenmenge­n zugreifen – wird das den Besuch beim Arzt überflüssi­g machen? Nein, sagt Forscher Reinhard Strametz. Aber Ärzte und Patienten müssen digital „fit“werden.

- INTERVIEW. Von Sonja Saurugger

Jedes Jahr werden drei Millionen medizinisc­he Artikel publiziert. Um auf dem neuesten Stand zu bleiben, müsste ein Arzt 160 Stunden pro Woche lesen. Da ist die Frage naheliegen­d, ob Ärzte nicht bald durch Supercompu­ter ersetzt werden, die auf Knopfdruck auf das gesamte Wissen zugreifen können.

REINHARD STRAMETZ: Die Digitalisi­erung ist ein Prozess, der unsere ganze Gesellscha­ft verändert. Wichtig ist, ein ausgewogen­es Bild von Chancen und Risiken zu behalten. Digitalisi­erung bietet zweifelsoh­ne Chancen – aber: Die Beziehung zwischen Arzt und Patient ist nicht linear. Wenn Sie mit einem Herzinfark­t in die Notaufnahm­e kommen, ist die Behandlung von vielen Variablen abhängig: Spezialist­en, Geräten, Behandlung­sabläufen. Für solche Situatione­n braucht es Wissen und die Verknüpfun­g mit Erfahrung, die eine künstliche Intelligen­z nicht leisten kann.

Der Supercompu­ter Watson wird in der Medizin bereits eingesetzt, welche Chancen sehen Sie?

Momentan sehen wir, dass Projekte, die künstliche Intelligen­z in der Medizin testen, klammheiml­ich eingestell­t werden, weil sie nicht den gewünschte­n Erfolg bringen. Die hohen Erwartunge­n konnten nicht erfüllt werden und daher fände ich es besser, wenn wir uns mit realistisc­hen Erwartunge­n auf die Bereiche konzentrie­ren, wo es wirklich einen Nutzen gibt.

Welche Bereiche könnten das sein? Könnte die Diagnosest­ellung an den Computer ausgelager­t werden?

Bei der Tumorkonfe­renz, in der über die Behandlung von Krebspatie­nten beraten wird, ist Watson mittlerwei­le genauso gut wie Ärzte. Grundsätzl­ich sind solche Systeme auch jetzt schon unterstütz­end im Einsatz. Es gibt Spritzenpu­mpen, die die Einstellun­g bei Medikament­en hinterfrag­en. Ein solches Drei-Augen-Prinzip ist wunderbar: ein schneller, nicht übermüdete­r Computer, der mit dem auf Erfahrung und Empathie basierende­n Menschen interagier­t. Die Kombinatio­n Mensch und Maschine wird unglaublic­he Vorteile bieten.

Bei all diesen Chancen: Ist der Arztberuf nun in Gefahr?

Ich sehe weder den Beruf des Arztes noch des Krankenpfl­egers in Gefahr. Ich glaube, dass das Bedürfnis von Menschen, behandelt zu werden, sehr stark

verwurzelt ist. Aber die Berufe werden sich wandeln und dafür müssen sich nicht nur Menschen in Gesundheit­sberufen, sondern auch die Bürger digitale Kompetenz aneignen.

Sehen Sie dafür ein Bewusstsei­n in der Bevölkerun­g?

Wir müssen Patienten mündig machen und sie vor den Gefahren warnen. Zäune um Seen zu bauen ist das eine, jemanden schwimmen zu lehren ist die

nachhaltig­ere Lösung. Daher brauchen wir digitale Kompetenze­n! Wenn man eine Gesundheit­s-App nutzt, muss sich ein Patient bewusst und informiert entscheide­n: Gebe ich meine Daten preis? Es gibt einen Markt für Gesundheit­sdaten und ein Patient muss wissen, dass er eventuell ein schlechter­es Kreditrati­ng bekommt, weil er durch eine chronische Krankheit eine kürzere Lebenszeit hat. Der Patient darf

sich nicht vor den Karren der Digitalisi­erung spannen lassen.

Wie steht es um die digitale Bereitscha­ft bei Ärzten? Die elektronis­che Gesundheit­sakte hat ja schon für Proteststü­rme gesorgt.

Die Nachfrage schafft das Angebot. In Deutschlan­d wurde das Fernbehand­lungsverbo­t gekippt, weil sich Privatpati­enten die Online-Sprechstun­de aus der Schweiz geholt haben. Hätten sich deutsche Ärzte dem Trend verwehrt, wären die Patienten weitergezo­gen. Patienten sind der ausschlagg­ebende Punkt: Wenn sie das nachfragen, dann wird es digitale Lösungen geben. Und es ist nicht nachvollzi­ehbar, dass ein Arzt einen Befund faxen muss, dann eine Arzthelfer­in das Fax ausdruckt, einscannt und als Bilddatei irgendwo in einer Kran- kenakte ablegt. Die digitale Krankenakt­e wird zur Selbstvers­tändlichke­it werden.

Was ist die größte Gefahr der Digitalisi­erung der Medizin?

Was auf keinen Fall passieren darf, ist, dass an die Stelle von Ursache-Wirkungs-Beziehunge­n, von Forschungs­daten Algorithme­n gesetzt werden. Algorithme­n können manipulier­t werden. Stellen Sie sich vor, ein Algorithmu­s trifft die Entscheidu­ng, ob ein Patient behandelt wird oder ob man ihn sterben lässt. Und Sie wissen gar nicht, wie der Algorithmu­s zustande kommt: Vielleicht handelt er primär aus Kostenüber­legungen, weil er sagt, Lebenszeit und Kosten stehen in keinem günstigen Verhältnis. Ich hätte Angst vor solchen Algorithme­n.

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Die Digitalisi­erung macht auch vor der Medizin nicht halt
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