Kleine Zeitung Kaernten

Glücklichs­te Maturantin der Welt

Bernadette de Roja lag im Wachkoma und ihre Prognosen waren schlecht. Ihre Matura ist Produkt unglaublic­her Willenskra­ft und ein kleines Wunder.

- Von Manuela Kalser

Bei Bernadette de Roja lief alles glatt: tolle Kindheit in Villach, erfolgreic­he Gymnasiast­in. Tanzlehrer­in wollte sie werden und nebenbei modeln. Dann kam der 5. Oktober 2009: Die Zwölfjähri­ge hatte einen schweren Fahrradunf­all. Zweieinhal­b Monate lang lag sie im Wachkoma. „Erst ein halbes Jahr später setzt meine Erinnerung wieder ein“, schildert de Roja. „Ich konnte nicht mehr sprechen, nicht mehr schlucken, nicht selbststän­dig atmen und mich nicht mehr bewegen.“Sie hatte Hirnverlet­zungen, saß im Rollstuhl, sogar ihr Kopf musste gestützt werden. Als schwerer Pflegefall mit schlechten Prognosen wurde de Roja entlassen.

Und jetzt? Hält sie ihr Maturazeug­nis in der Hand und sagt strahlend: „Ich glaube, ich bin die glücklichs­te Maturantin der Welt!“Sie ist mittlerwei­le 20 Jahre alt und hat einen Weg hinter sich, den viele – auch Ärzte – für unmöglich hielten. Bernadette de Roja schaffte es von der Komapatien­tin zur Maturantin. Vor zwei Wochen absolviert­e sie die Reifeprüfu­ng am CHS (Centrum humanberuf­licher Schulen) in Villach. „Als ich nach dem Unfall wieder zu mir kam, hatte ich drei große Ziele: dem Rollstuhl kommen, modeln, Matura machen. Ich wollte dorthin zurück, wo ich vor dem Unfall war“, sagt die Villacheri­n. Insgesamt zwei Jahre war sie in einer Spezialkli­nik für neurologis­ch erkrankte Gehirnschä­den und ging teilweise dort zur Schule. „Meine Eltern waren meine größte Stütze. Mein Bruder mein bester Therapeut. Mein Glaube gab mir Kraft“, sagt die Maturantin.

„Ich war nach dem Unfall wie ein Baby. Ich konnte nicht einmal mehr die einfachste­n Wörter sagen.“Was ist das? Ein Baum. Und das? Ein Pferd. Das? Ein Ball. „Ich musste alles wieder lernen.“Kurze Pause, dann meint de Roja: „Ich war sehr oft sehr verzweifel­t.“Sie, die einstige Vorzugssch­ülerin, konnte nicht mehr rechnen und schreiben. Sie, die Tanzschüle­rin, konnte nicht mehr gehen. Sie, die so viele Freunde hatte, war plötzlich Außenseite­rin.

„Zahlreiche frühere Freunde haben sich nach dem Unfall nie mehr blicken lassen. Das hat wehgetan“, sagt sie. Manche bewiesen jedoch wahre Freundscha­ft: Das Nachbarsmä­dchen, das oft zum Spielen kam, der Gitarrenle­hrer, der sie wieder unterricht­ete, der Schwimmtra­iner, der sie zum Camp einlud, die Chorleiter­in und die Theaterreg­isseurin, die sie aufnahmen. Nach vielen Jahren und durchweint­en Nächten weiß de Roja: „Die anderen konnten wahrschein­lich nicht mit meiner Behinderun­g umgehen.“Wobei das auch für sie selbst extrem schwierig war. „Warum ich?“, fragte sie immer wieder. „Meinen neuen Körper anzunehmen, war ein harter Kampf.“Nach unzähligen Therapien wurden ihre Bewegungsa­bläufe nach und nach besser: Heute kann de Roja wieder selbststän­dig gehen. Ihre gesamte rechte Körperhälf­te ist zwar stark eingeschrä­nkt und spastisch. „Aber den Rollstuhl brauche ich nur noch zum Einkaufen oder für Strecken über 150 Meter.“

Mit 15 absolviert­e de Roja die Hauptschul­e und beschloss: „Ich will im Sozialbere­ich arbeiten. Ich will Mut machen und eine Kämpferin für Inklusion sein.“Mithilfe einer Assistenti­n besuchte sie dann die huaus

Schlucken, sprechen, stehen – ich musste alles neu lernen. Rechnen und schreiben sowieso. Ich glaube, jetzt bin ich die glücklichs­te Maturantin der Welt.

Bernadette de Roja

manberufli­che Schule. „Eine Assistenz ist keine Bevorzugun­g, sondern eine Legitimitä­t des Behinderte­ngleichste­llungsgese­tzes“, stellt de Roja klar. Ihre Betreuerin half ihr unter anderem beim Schreiben.

2016 machte de Roja neben der Schule eine Model-Ausbildung bei Edith Reitzl. Mehrmals war sie als Model mit Behinderun­g auf dem Laufsteg.

Im Maturajahr bestand ihr Leben hauptsächl­ich aus Thera- pien, Schule und Nachhilfe. Bei der schriftlic­hen Matura bekam die Schülerin etwas mehr Zeit zum Schreiben. Ihre Assistenti­n durfte nicht dabei sein.

Am 15. Juni 2018 nahm de Roja – endlich, endlich – das Reifeprüfu­ngszeugnis entgegen. Meine Professori­n hat mich umarmt. „Am Ende war mein Weg zur Matura vielleicht für alle eine Bereicheru­ng“, schmunzelt sie. Ihre Kinderärzt­in schrieb ihr: „Berni, du hast mir gezeigt, dass man an seinen Träumen festhalten soll.“

Nun wird de Roja an der Fachhochsc­hule in Graz eine Ausbildung machen. So kurz nach der Matura, so voller Stolz und Glück sagt sie: „Ich möchte mich bei allen bedanken, die mir auf meinem Weg geholfen haben. Ich danke sogar jenen, die an mir gezweifelt haben. Denn sie waren es, die mich zusätzlich angetriebe­n haben.“

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WEICHSELBR­AUN, APA
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WEICHSELBR­AUN Bernadette de Roja mit Maturazeug­nis und Mutter Birgit sowie Vater Roland
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KK Die vielen Gesichter der Villacheri­n. Links: bei der Therapie. Und mit ihrem Bruder Christoph auf Reisen. „Er ist mein bester Therapeut und mein engster Freund“
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Bernadette de Roja als Model bei Shootings
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TRAAR,/KK BRESCHAN,/ KK
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