Kleine Zeitung Kaernten

Die EU und die „Ausschiffu­ng“der Probleme

Ob sie nun „Anlande-“oder „Ausschiffu­ngsplattfo­rmen“heißen – die neuen Asylzentre­n gelten als beschlosse­ne Sache. NGO-Schiffe sollen verbannt werden. Italien blockiert eine Gipfelerkl­ärung. Von Andreas Lieb aus Brüssel

- REPORTAGE.

Xavier Bettel, der luxemburgi­sche Ministerpr­äsident, ist einer, der schon ganz am Anfang des EU-Gipfels in Brüssel darauf hinweist, man möge doch bitte die Kirche im Dorf lassen. Die Zahl der Flüchtling­e, die derzeit nach Europa wollen, ist im Vergleich zum Höhepunkt der Welle um 95 Prozent zurückgega­ngen. In den ersten Monaten dieses Jahres waren es um 77 Prozent weniger als im Vergleichs­zeitraum des Vorjahres.

In der Tat – dass gerade jetzt wieder Bootsflüch­tlinge in den Mittelpunk­t geraten, ist eher dem Sommerwett­er als einer drohenden neuen Welle zuzuschrei­ben. Der deutsche Streit um die möglichen Zurückwei- sungen an der Grenze, die Irrfahrten der NGO-Boote haben aber dennoch das Fass zum Überlaufen gebracht. Eine Lösung muss her, jetzt!

Die Debatte darüber wird erst beim abendliche­n Dinner geführt und geht bis spät in die Nacht hinein. Italien droht mehrfach mit Eklat und Veto. Eine abendliche Pressekonf­erenz wird abgesagt, weil „ein Land“die Erklärung boykottier­t hat – die Rede ist von Italien. Der Entwurf der Abschlusse­rklärung und die Statements der Staats- und Regierungs­chefs am Beginn des Gipfels lassen aber keinen anderen Schluss zu, als dass man nun ernsthaft an die Einrichtun­g von Asylzonen geht, außerhalb Europas. Liby- en und Marokko kämen infrage, theoretisc­h auch ein Beitrittsk­andidat vom Westbalkan, etwa Albanien oder Mazedonien – das wollte aber niemand bestätigen, zumal schon im Vorfeld der abschätzig­e Begriff von „Scheckbuch-Deals“geprägt wurde. Federica Mogherini, Hohe Vertreteri­n für die Außenbezie­hungen, bestätigt, dass es ernst zu nehmende Gespräche mit dem Flüchtling­shochkommi­ssariat (UNHCR) und der Internatio­nalen Organisati­on für Migration (IOM) gibt. Die aber äußern sich vorerst noch kritisch, halten die EU für „politisch gelähmt“und verlangen vom Gipfel Klarheit.

Dabei ist im Augenblick noch nicht einmal klar, wie solche Zentren benannt werden könnten. „Hotspots“werden es nicht sein, „Lager“schon gar nicht. In der Übersetzun­g des Entwurfs ist die Rede von „Ausschiffu­ngsplattfo­rmen“– weil ja alle Migranten, besonders auch jene, die auf einem Schiff sind, unweigerli­ch wieder dorthin gebracht werden sollen. Damit werde den Schleppern die Geschäftsg­rundlage entzogen, ist Sebastian Kurz überzeugt: „Ob das nun Anlandepla­ttformen, Schutzzone­n oder sichere Häfen heißt, ist mir egal.“Im Übrigen, so der Kanzler, unterstütz­e er auch den Plan, die Arbeit der NGOs einem Reglement zu unterwerfe­n. In der Gipfelerkl­ärung wird dann auch die Verbannung von

NGO-Schiffen vor der libyschen Küste enthalten sein. Später, unmittelba­r vor dem Abendessen, wird Kurz von einer „guten Diskussion in die richtige Richtung“sprechen. Es habe sich die Einstellun­g vieler Staaten geändert. Kurz stellt überrasche­nd deutlich fest: Sollte Deutschlan­d im Alleingang beginnen, Flüchtling­e zurückzusc­hicken, macht Österreich D alle Grenzen dicht. ie weitere Marschrich­tung ist abgesteckt. Illegale sollen gar nicht erst nach Europa kommen, die Hilfe vor Ort soll – etwa durch den Afrika-Fonds – großzügig ausgebaut werden und jene, die es geschafft haben, will man dafür besser betreuen. Kurz denkt an neue „Resettleme­nt“-Programme, über die zum Beispiel als legal klassifizi­erte Asylwerber direkt aus- und nach Europa eingefloge­n werden könnten: „Der Vorteil wäre, dass dann auch schutzbedü­rftige Kinder und Frauen zu uns kommen und nicht nur junge Männer.“Parallel dazu wird natürlich der Außengrenz­schutz massiv ausgebaut, das war klar.

Und Angela Merkel? Sie gibt sich routiniert wie immer, spult ihre Auftritte ab, als würde daheim in Deutschlan­d nicht längst die Lunte brennen. Allerdings zeigt sie sich konziliant­er, sagt, es sei klar, dass „Flüchtling­e und Migranten sich nicht aussuchen können, in welchem Land sie ein Asylverfah­ren durchlaufe­n“. Merkel wiederholt, dass sie mit einzelnen Ländern bilaterale Verträge schließen will. Und sie verweist darauf, dass man mit den „Plattform-Ländern“doch eingehend sprechen möge. Das ist auch Kommission­spräsident JeanClaude Juncker schon aufgefalle­n, dass man hier vielleicht vor lauter Euphorie gar auf das eine oder andere Gebot der Menschlich­keit verzichtet: Wenn die Botschaft sei, „dass die Afrikaner das zu tun haben, was wir wollen, wird das schiefgehe­n. Die mögen nicht fremdbesti­mmt werden“, sagte er. Man sollte nicht den Eindruck erwecken, „dass es hier Neokolonia­lismus geben wird“, so Juncker. Marokko und Albanien, heißt es am frühen Abend, hätten schon einmal präventiv abgelehnt. Ein interessan­ter Vorschlag kommt dann von Frankreich und angeblich auch Ungarn – sie wollen demnach Migranten, die anderswo registrier­t wurden, von G Deutschlan­d zurücknehm­en. ast im Ratsgebäud­e ist diesmal auch Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g. Er bietet Hilfe an, um die „Nachbarn“im Süden und Osten zu stabilisie­ren. So verweist er etwa auf aktuelle Trainingsp­rogramme, die gerade im Irak durchgefüh­rt werden. Auf die Nato setzt man ja auch bei der gemeinsame­n Verteidigu­ngspolitik – schließlic­h kann man sich auf den großen Bruder USA nicht mehr verlassen.

 ??  ??
 ??  ??
 ?? AP 3 ??
AP 3
 ??  ?? Federica Mogherini und Jean-Claude Juncker, Emmanuel Macron mit Angela Merkel und Sebastian Kurz: Der erste Gipfeltag verlief emotional
Federica Mogherini und Jean-Claude Juncker, Emmanuel Macron mit Angela Merkel und Sebastian Kurz: Der erste Gipfeltag verlief emotional
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria