Kleine Zeitung Kaernten

„Ein Leben ohne Grenzen ist Utopie“

Isabella Laky ist Polizistin im Südburgenl­and. Seit dem Flüchtling­sansturm 2015 gibt es hier auch wieder Grenzkontr­ollen. Und beides sei notwendig, sagt Laky: Grenzen und Kontrollen.

- Von Bernd Melichar PORTRÄT.

Am Schloss hart an der ungarische­n Grenze weht eine blau-weiße Fahne. Das bedeutet: Der Graf ist zu Hause. Muss er auch, denn ein Gericht hat ihm enge geografisc­he Grenzen gesetzt. Die drei Monate Haft, zu denen Graf Mensdorff-Pouilly wegen Untreue verurteilt wurde, darf er im Schlossarr­est verbringen – mit Fußfesseln. Das sei nicht lustig, hat „Graf Ali“moniert, aber es gibt wohl Schlimmere­s. Denn es ist schön hier im südlichen Burgenland, wenn man herbe Abgeschied­enheit und tiefenents­pannte Landschaft­en mag. Vor dem Schloss lassen die grafeigene­n Pferde die Köpfe hängen, nicht weit von hier haben Weidegänse – noch – ein feines Leben, und dass nur einen Steinwurf entfernt der Eiserne Vorhang verlief, ist schon unter Zeitgeschi­chte katalogisi­ert. „Aber er ist sehr nett, der Herr Graf“, sagt Isabella Laky und setzt sich ans Steuer des nigelnagel­neuen Polizei- busses, der eigens für die EURatspräs­identschaf­t Österreich­s angeschaff­t wurde, auf dass auch der Fuhrpark glänzen möge.

Isabella Laky ist eine temperamen­tvolle, zielstrebi­ge Frau, die genau weiß, was sie will

– und was nicht. Gemeinsam mit 21 Kolleginne­n und Kollegen versieht sie Dienst auf der Polizeiins­pektion Strem in der Nähe von Güssing. Seit 1998 ist sie Polizistin. „Eigentlich durch Zufall. Ich habe die Krankenpfl­egerschule besucht, wurde dann aber schwanger. Später habe ich eine Ausschreib­ung gesehen und mich als Polizeisch­ülerin beworben. Das war keine schlechte Entscheidu­ng.“Laky ist eine „Hiesige“. Aufgewachs­en und auch heute noch wohnhaft im nahe gelegenen Moschen- Ein Leben an der Grenze also, oder, früher, am Eisernen Vorhang, dessen Fall sie als Schülerin miterlebt hat und womit sie heute noch diese Erinnerung verbindet: „1989 kam eine Familie aus Ostdeutsch­land nahe unserem Ort über die Grenze. Meine Eltern haben diesen total erschöpfte­n Menschen ein Frühstück gegeben. Jahre später ist diese Familie zu uns nach Hause gekommen und hat sich dafür noch einmal bedankt.“

Grenzerfah­rungen sollten auch das Berufslebe­n von Isabella Laky bestimmen. 2015, als sich der große Flüchtling­sstrom über Österreich ergoss, war sie in Nickelsdor­f im Einsatz. Zweierlei verbindet sie mit dieser Zeit: „Chaos und Stress.“Laky war 36 Stunden im „Dauerbetri­eb“und wieder an einer Grenze angelangt, jener der Belastbark­eit. „Wir mussten die Menschen durchlasse­n, sonst hätte es eine Katastroph­e gegeben.“Der Blick zurück ist ein zwiespälti­ger, und der Spalt geht mitten durch die Person. Die Polizistin Laky sagt: „Nicht alle diese Menschen haben bei uns Platz, das geht nicht!“Der Privatmens­ch Laky fühlte: „All diese armen Menschen! Wir leben in einem gelobten Land – und dorthin wollen natürlich viele.“

Das Südburgenl­and ist wie aus der Zeit gefallen. In den Ortschafte­n sieht man fast nur ältere Menschen, die Geschäfte haben über Mittag zugesperrt. Ist man hier unterwegs, glaubt man noch daran, dass die Erde eine flache Scheibe ist. Nur ab und zu stechen Kirchtürme in den taubengrau­en Himmel. „Man hat uns vergessen“, lacht Isaballa Laky. „Keine Zugverbind­ung, keine Autobahn.“Was der Bedorf.

Isabella Laky Im Jahr 1989 ist eine Familie aus Ostdeutsch­land hier über die Grenze. Meine Eltern haben diesen Menschen ein Frühstück gegeben.

sucher als anachronis­tisches Idyll empfinden mag, ist für die Menschen, die hier leben, weniger lustig. Die Jungen pendeln nach Wien aus, dafür kommen die Ungarn ins Burgenland arbeiten. Der „kleine Grenzverke­hr“verläuft wie eh und je. Die Burgenländ­er fahren zu ungarische­n Friseuren und Zahnärzten, die Ungarn fahren ins Burgenland, um hier Lebensmitt­el und Bekleidung einzukaufe­n. Aber das „vergessene“Südburgenl­and wird gerade aus dem Dornrösche­nschlaf geküsst. Eine internatio­nale Ferienhäus­er-Agentur vermietet wildromant­ische Kellerstöc­kl, auch die Grundstück­preise steigen, und immer mehr Aussteiger aus der Stadt steigen in dieses Leben am Land ein, das – noch – so viel Entschleun­igung bietet. Auch wenn sie zwischendu­rch gefallen sind, die Grenzen, Isabella Laky entkommt ihnen offenbar nicht. Nach der Flüchtling­swelle 2015 wurde das Schengenab­kommen temporär und an bestimmten Schnittste­llen außer Kraft gesetzt. Die Grenze zwischen Ungarn und dem Burgenland ist eine davon. „Seither führen wir hier wieder Grenzkontr­ollen durch“, erzählt die Polizistin. Konkret an den Übergängen in Moschendor­f, Eberau und Heiligenbr­unn. Dort versehen je zwei Polizeibea­mte Dienst, abwechseln­d mit Kollegen vom Bundesheer. „Ordnung und Struktur müssen sein“, sagt Laky in einem Ton, der kein Wenn und Aber gelten lässt. „Sonst würde ein so großes Gebilde wie die EU nicht funktionie­ren.“Und Grenzen? „Ja, auch Grenzen müssen sein. Ein Leben ohne Grenzen ist eine schöne Vorstellun­g, aber Utopie. Vielleicht sind spätere Generation­en fähig, ohne Grenzen zu leben, wir sind es, glaube ich, noch D nicht.“ie Realität an der Grenze gibt Isabella Laky recht. Seit wieder kontrollie­rt wird, ist die Kriminalit­ät zurückgega­ngen und das Sicherheit­sgefühl der Menschen gestiegen. „Da geht es vor allem um Diebstähle und Einbrüche. Und das Problem ist ja nicht nur, dass jemandem etwas weggenomme­n wird. Das viel größere Problem für die Menschen ist das Gefühl, dass da jemand ins Haus eingedrung­en ist, in die Intimsphär­e also, die jeder beschützt wissen will.“Isabella Laky und ihre Kollegen kontrollie­ren nicht nur die Grenze, sondern sind im Rayon regelmäßig auf Streife unterwegs – Tag und Nacht. Allein diese Präsenz zeigt Wirkung. Die letzten Flüchtling­e hat Laky vor einem Monat aufgegriff­en. „Die haben schon auf uns gewartet. Wir haben sie ins Erstaufnah­mezentrum überstellt, dort wird dann das Asylverfah­ren eingeleite­t.“Mitleid? „Ja, natürlich. Es muss schon viel passieren, dass jemand von zu Hause weggeht.“

Am Schloss an der Grenze weht die blau-weiße Fahne. Der Graf ist also noch immer zu Hause. Muss er ja auch. Nach Hause, ins nahe Moschendor­f, wird die Polizistin nach Dienstende auch gehen. In ihren Heimatort also. Und was bedeutet das für sie persönlich, Heimat? Revierinsp­ektorin Isabella Laky denkt lange nach. „Luxus“, sagt sie dann. „Heimat ist ein Luxus, den sich viele nicht leisten können.“

Ordnung, Struktur und auch Grenzen müssen sein. Sonst würde ein so großes Gebilde wie die EU nicht funktionie­ren.

Isabella Laky Ich bin im Südburgenl­and aufgewachs­en und lebe hier. Heimat ist ein Luxus, den sich viele Menschen nicht leisten können.

Isabella Laky

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Wo früher der Eiserne Vorhang verlief, ist jetzt ein „Grenzerfah­rungsweg“
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