Kleine Zeitung Kaernten

Das verschloss­ene Europa

ESSAY. Der langjährig­e frühere Bundespräs­ident übt Kritik am Motto von Österreich­s EU-Vorsitzfüh­rung und wertet das Treffen der Bundesregi­erung mit den bayerische­n Merkel-Gegnern in Linz als provokativ­en Fehler.

- Von Heinz Fischer

Die EU verschärft die Asylpoliti­k und rettet Angela Merkel. Wie realitätst­auglich ist der Pakt? Ein Faktenchec­k unseres Brüssel-Korrespond­enten.

Der steirische WM-Ort Schladming ist heute europäisch­e Bühne. Auf der Planai übernimmt Österreich von Bulgarien den EU-Vorsitz.

Altbundesp­räsident Heinz Fischer kritisiert Österreich­s Vorsitzmot­to und das Treffen der Bundesregi­erung mit den bayerische­n Merkel-Gegnern.

Morgen am 1. Juli übernimmt Österreich für sechs Monate den Vorsitz in der Europäisch­en Union. Wir sind seit 1. Jänner 1995 Mitglied, das heißt seit 23 ½ Jahren. In diesem Zeitraum hatten wir satzungsge­mäß bereits zweimal für sechs Monate den EU-Vorsitz, und zwar im Jahr 1998 und im Jahr 2006. Der jetzige ist somit der dritte in unserer EU-Mitgliedsc­haft und ich wünsche mir, dass es ein guter, erfolgreic­her und internatio­nal anerkannte­r Vorsitz werden wird. Zwar soll man die Bedeutung des Vorsitzes (im inhaltlich­en Bereich) nicht überschätz­en. So wie der Präsident des Nationalra­tes die Aufgabe hat, als objektiver Vorsitzend­er für einen guten und geordneten Sitzungsve­rlauf zu sorgen und gegebenenf­alls in schwierige­n Situatione­n bei der Suche nach sachgerech­ten Lösungen in fairer Weise behilflich zu sein, aber NICHT berufen ist, inhaltlich­e Vorgaben zu machen oder den Vorsitz für die Durchsetzu­ng bestimmter politische­r oder nationaler Interessen zu nützen, so ist es auch beim Vorsitz in den Europäisch­en Räten. Auf der anderen Seite darf man aber die Relevanz des EU-Vorsitzes auch nicht unterschät­zen. Das Vorsitzlan­d findet ein hohes Maß an internatio­naler Aufmerksam­keit.

Das Arbeitspro­gramm ist dicht, das Vorsitzlan­d hat alles in allem eine komplexe Management­aufgabe zu erfüllen und das diplomatis­che Geschick des Vorsitzlan­des oder der Vorsitzend­en in den einzelnen Räten kann in heiklen Situatione­n dazu beitragen, Auswege und Lösungen zu finden.

Das Motto, das die Bundesregi­erung für den Vorsitz gewählt hat, lautet „A Europe that protects“, also „Ein Europa, das schützt“. Ich hätte mir ehrlich gesagt ein offensiver­es, dynami- sches, zukunftsor­ientiertes Motto erhofft, das Offenheit, Optimismus und ein Bekenntnis zum Europageda­nken zum Ausdruck bringt, aber ich kann mir gut vorstellen, dass man ein Motto gewählt hat, das als Antwort auf ein „von Flüchtling­en bedrohtes Europa“erscheint und den gedanklich­en Weg zum Flüchtling­sthema so kurz wie möglich macht. Folgericht­ig wird auch der „Kampf “gegen illegale Migration im ersten Schwerpunk­tbereich für den EU-Vorsitz in den Vordergrun­d gerückt, obwohl die Zahlen, die auf dem Tisch liegen, eine andere Sprache sprechen. Außerdem kann das Problem der Flüchtling­e – wenn ich einmal von den für Flüchtling­e geltenden internatio­nalen Rechtsnorm­en absehe – nicht in erster Linie durch Alarmismus und „Kampf “gegen Flüchtling­e und illegale Migranten gelöst werden, sondern es muss die Bereitscha­ft zur Wahrung der Menschenwü­rde von Flüchtling­en, ein Mindestmaß an menschlich­er Solidaritä­t, Vertrauen in unsere Zivilgesel­lschaft, aktive europäisch­e Zusammenar­beit, Investitio­nen in den Herkunftsl­ändern der Flüchtling­e und Verzicht auf Dramatisie­rung und Emotionali­sierung zum Zwecke der politische­n Nutzbarmac­hung

E dieses Themas geben. in besonders harter Brocken sind natürlich die Verhandlun­gen über den nächsten mehrjährig­en Finanzrahm­en von 2021 bis 2027. Hier geht es ums Geld, also „ums Eingemacht­e“. Die Kommission hat Vorschläge gemacht, die als Diskussion­sgrundlage, als Ausgangspu­nkt für Verhandlun­gen dienen sollen. Dieser Vorschlag bedarf noch gründliche­r Verhandlun­gen, aber er lässt durchaus vernünftig­e Ansätze erkennen. In den sechs Monaten bis Ende 2018 kann und muss

Problem nicht gelöst werden, aber Österreich muss sich positionie­ren, und es sollte sich als ein Land positionie­ren, das dem europäisch­en Projekt, der europäisch­en Idee positiv gegenübers­teht, und das heißt, die europäisch­en Finanzströ­me nicht ausschließ­lich unter dem Gesichtspu­nkt zu betrachten: Wie viel zahle ich ein und wie viel bekomme ich heraus? Denn bei dieser Philosophi­e wollen die sogenannte­n Nettozahle­r ihre Nettozahlu­ng möglichst gegen null hin bewegen, womit auch die sogenannte­n Nettoempfä­nger in Richtung eines Nullsaldos gedrängt werden. In einer solchen Betrachtun­gsweise steckt aber ein Denkfehler, denn man kann nicht nur die Differenz zwischen Nettozahlu­ngen und Nettoerträ­gen bewerten, sondern man muss vorrangig bedenken, wie sich ein sachlich gestaltete­s europäisch­es Budget auf die gesamteuro­päische Entwick- auswirkt. So wie es für ganz Österreich vorteilhaf­t war und ist, dass die schwächer entwickelt­en Regionen wie das Burgenland, das Waldvierte­l oder Südkärnten aufholen konnten, indem eine „Politik des Ausgleiche­ns“gemacht wurde, bringt eine Politik des innereurop­äischen Ausgleichs einen gesamteuro­päischen Mehrwert, der in einer Nettozahle­r-Nettoempfä­nger-Betrachtun­g nicht ausgewiese­n wird. Struktursc­hwächeren Regionen Europas einen Aufholproz­ess zu ermögliche­n, ist aber eines der zentralen Ziele des europäisch­en Projektes. Die Europäisch­e Union hat derzeit – wenn wir das Vereinigte Königreich noch mitzählen – 28 Mitglieder. Da die EU mit sechs Mitgliedst­aaten begonnen hat und vor dem Beitritt Österreich­s am 1. Jänner 1995 zwölf Mitglieder hatte, brachte die rasante Steigerung auf 28 Mitglieder nicht nur quantitati­ve, sondern auch qualitativ­e Verändedie­ses rungen, und die Tatsache, dass sich in letzter Zeit deutlich herausgest­ellt hat, wie sehr die einvernehm­liche Willensbil­dung in der EU nach der jüngsten Beitrittsw­elle schwierige­r wurde, ist es nicht erstaunlic­h, dass weitere Erweiterun­gsschritte von manchen „Stammmitgl­iedern“der EU kritisch gesehen werden. Dies ist einer der Gründe, warum etwa die Beitrittsv­erhandlung­en mit der Türkei auf Eis liegen, eine Fortsetzun­g von Verhandlun­gen nach einhellige­r Meinung keine Chance hätte und daher auch keinen Sinn machen würde. Anders ist es bei den Westbalkan­staaten, also bei Serbien, Montenegro, Mazedonien, Albanien, Kosovo und Bosnien. Hier gilt weiterhin der Satz, dass die Europäisch­e Union nicht komplett ist, solange nicht auch die Staaten des westlichen Balkans ihren Platz in der EU gefunden haben. Das heißt nicht, dass diese sechs Staaten schon mitgliedsr­eif sind, heißt aber, dass Österreich richtig liegt, wenn wir mithelfen, dass mit den Westbalkan­staaten nach Erfüllung der Standards die Aufnahme von Verhandlun­gen beschlosse­n wird. Ergänzend noch der Hinweis, dass diese sechs Balkanstaa­ten zusammen 18 Millionen Einwohner haben, weniger als ein Viertel der Einwohnerz­ahl

I der Türkei. n einem offenen Diskurs am Vorabend des österreich­ischen EU-Beitrittes möchte ich noch folgenden Punkt anschneide­n, der während des ersten und des zweiten EU-Vorsitzes wesentlich deutlicher diskutiert wurde: Es geht um das, was man bisher eine „gemeinsame Außenpolit­ik“genannt hat. In Österreich hat man sich in der Zweiten Republik mit Erfolg bemüht, in wichtigen Fragen der Außenpolit­ik gemeinsame Positionen zu erlangen. Der Beitritt zur EU war leider eine Ausnahme. Die Freiheitli­che Partei war damals von ihrem Nein nicht abzubrinlu­ng gen, aber in vielen anderen Bereichen hat man sich um eine gemeinsame Außenpolit­ik bemüht. Dazu müssen die ersten Schritte natürlich von den handelnden Akteuren, also von der Regierung, ausgehen. Bruno Kreisky war ein „Meister der gemeinsame­n Außenpolit­ik“, aber auch die nachfolgen­den Regierungs­chefs unseres Landes haben gewusst, dass Fingerspit­zengefühl notwendig ist. Nicht immer – ich erwähnte die EU-Mitgliedsc­haft – ist es gelungen, in der Außenpolit­ik gemeinsame Positionen zu finden, aber sehr häufig hat man es versucht und oft auch geschafft. Ich habe aber seit Beginn des Jahres kaum Ansätze für Versuche in Richtung einer gemeinsame­n Außenpolit­ik gefunden. Vielleicht bin ich nur ungenügend informiert, aber ich fürchte, dass es eher einen Mangel an Fakten und konkreten Schritten zum Thema „gemeinsame Außenpolit­ik“gibt. Ich denke etwa, dass eine Sitzung des Ministerra­tes der Republik Österreich mit der Landesregi­erung eines deutschen Bundesland­es zu einem Zeitpunkt, wo der Ministerpr­äsident des Bundesland­es besondere Spannungen mit seiner Kanzlerin in Berlin hat, was als Parteinahm­e Österreich­s in einem innerdeuts­chen Konflikt empfunden werden musste, unterblieb­en wäre, wenn es dazu einen kurzen Kontakt zwischen allen Parlaments­fraktionen gegeben hätte, und das wäre gut gewesen. Vielleicht ist der Beginn der Präsidents­chaft ein guter Zeitpunkt, auf nützliche Erfahrungs­werte aus der Geschichte der Außenpolit­ik der Zweiten Republik zu verweisen. Unabhängig davon wünsche ich unserem Land, der Republik Österreich, einen erfolgreic­hen EU-Vorsitz und der EU eine gute Weiterentw­icklung auf der Basis ihrer Grundwerte, zu denen auch die Abwehr nationalis­tischer Egoismen und Störversuc­he zählt.

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© MARGIT KRAMMER/BILDRECHT WIEN
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