Deutschland kämpft gegen die Schieflage
Die Regierung steht am Abgrund. Doch plötzlich scheint eine Einigung möglich. Und während die CSU über einen Nachfolger für Seehofer redet, will er doch Minister bleiben.
So schnell kann es gehen: Innerhalb weniger Stunden dreht die CSU von Frühlingswetter auf Sturm, dann wieder zurück und am Ende auf Sonnenschein. Innerhalb weniger Stunden ist ein Minister und Parteichef Auslaufmodell und die eigenen Leute schicken sich an, ihn zu vergessen. Und dann kann Horst Seehofer am Ende wohl doch bleiben.
Am Abend zuvor hat er noch seinen Rücktritt angeboten, weil er sich bei Zurückweisungen von Flüchtlingen an der Grenze nicht mit Kanzlerin Angela Merkel und ihrer CDU einigen kann. Er beendet den Verhandlungstag mit einem Paukenschlag, der bei manchen in der CSU Fassungslosigkeit auslöst. Es war die Frage, ob die CSU daraus eine Kampfansage Richtung Berlin macht oder den Versuch, den Streit mit der Schwesterpartei zu beenden.
Der Mann für die weicheren Töne ist ausgerechnet einer, der gut hinlangen kann. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat einen Termin in Passau. Es ist ein Anlass wie gemacht für einen Tag, an dem eine Bundesregierung über die Frage zerbrechen könnte, ob der Innenminister anordnen darf, an der Grenze Flüchtlinge zurückzuweisen. Söder eröffnet wenige Kilometer vor Österreichs Grenze die Zentrale der wiedergegründeten Grenzpolizei des Freistaates Bayern. Söder sagt, Seehofers Ankündigung habe überrascht: „Wir haben nicht damit gerechnet.“Und damit ist
Kapitel für ihn vorerst beendet: „Wir waren immer zu Kompromissen bereit“, sagt Söder. Die CSU habe Überzeugungen und finde weiter, dass es zu nationalen Lösungen kommen müsse. Das ist der Punkt, den Merkel ablehnt. Söder sagt aber auch: „Die Stabilität der Regierung steht für uns nicht infrage.“Schließlich könne man mehr erreichen, wenn man regiere, als wenn man nicht regiere. Die Aufkündigung der Fraktionsgemeinschaft sei nicht der richtige Weg. Es lässt sich so lesen: Wenn Seehofer gehen will, dann soll er das machen. Dann wird er ersetzt. Mit Merkel lässt sich eine Lösung finden.
Die Umfragen der CSU sind dramatisch abgesackt. Söder hat die Landtagswahl im Oktober vor Augen. Er ist Spitzenkandidat und kann schlechte Werte am allerwenigsten brauchen. So wird der Rücktritt des Parteichefs zur Nebensache. Wie Söder äußern sich auch andere. Ex-Parteichef Erwin Huber sagt, Seehofers Rücktritt sei „unausweichlich“.
Die Reihen schließen sich also in der CSU, nicht um Seehofer, sondern mit Seehofer außerhalb des Kreises. Den Ministerposten hat er ohnehin nur übernommen, nachdem klar war, dass er nicht Regierungschef in München würde bleiben können. Es war eine Möglichkeit, nicht komplett als Verlierer dazustehen.
Sicher ist, dass in der CSU bereits die Frage um die Postenverteilung diskutiert wird. Namen kursieren und werden verworfen, Machtstrukturen zeigen sich. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann etwa wird genannt. Er war Spitzenkandidat für die Bundestagswahl und galt als Innenminister als gesetzt, bevor Seehofer den Posten bekam.
Manche finden auch, dass Alexander Dobrindt ins Ministerium wechseln sollte. Das aber wird er zu verhindern suchen: Er hat lange um den im Regierungsgefüge deutlich eindas flussreicheren Job als Landesgruppenchef im Bundestag gekämpft. Das Erbe als Parteichef, das wäre schon nach Dobrindts Geschmack. Er hat ja auch vorgearbeitet und mit seiner Forderung nach einer „bürgerlichkonservativen Revolution“versucht, sich nach einer weniger glanzvollen Zeit als Verkehrsminister als Parteistratege in Erinnerung zu bringen.
Aber auch Söder schielt auf den Posten. Er muss sich entscheiden, ob er zugreift und damit die gesamte Verantwortung für ein mögliches schlechtes Wahlergebnis übernimmt. Oder ob er den Parteivorsitz doch Dobrindt überlässt, damit die Schuldfrage auf mehrere Schultern verlagert. Insofern ist die Atempause, die die CSU oder Seehofer oder beide Merkel gewähren, auch eine, die sie brauchen, um sich neu zu ordnen.
In dieser Verfassung treffen die Bundestagsabgeordneten von CDU und CSU aufeinander. Dobrindt beschwört die „Schicksalsgemeinschaft“. Man sei nur gemeinsam stark. Merkel sagt, davon habe sie schon vor zwei Wochen gesprochen. Seehofer ist nicht anwesend. Angeblich steckt sein Auto im Stau. Er kommt erst zum Vorgespräch mit Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble und Merkel. Der CDU-Grande öffnet den beiden noch einmal persönlich den Blick in den Abgrund. Am Nachmittag treffen sich die Spitzen von CSU und CDU zum letzten Einigungsversuch. Fast gleichzeitig veröffentlicht die „Süddeutsche Zeitung“ein Interview mit Seehofer. „Ich lasse mich nicht von einer Kanzlerin entlassen, die nur wegen mir Kanzlerin ist“, sagt er. Es ist eine Provokation.
Doch am Abend die überraschende Wende. Nach der Krisensitzung betonen Merkel und Seehofer, man habe eine Lösung gefunden. Transitzentren für Flüchtlinge seien der Kompromiss. Damit kann auch Seehofer seine Ämter behalten. Sein Poker ist offenbar aufgegangen.