Kleine Zeitung Kaernten

Deutschlan­d kämpft gegen die Schieflage

Die Regierung steht am Abgrund. Doch plötzlich scheint eine Einigung möglich. Und während die CSU über einen Nachfolger für Seehofer redet, will er doch Minister bleiben.

- Von Daniela Vates, Berlin

So schnell kann es gehen: Innerhalb weniger Stunden dreht die CSU von Frühlingsw­etter auf Sturm, dann wieder zurück und am Ende auf Sonnensche­in. Innerhalb weniger Stunden ist ein Minister und Parteichef Auslaufmod­ell und die eigenen Leute schicken sich an, ihn zu vergessen. Und dann kann Horst Seehofer am Ende wohl doch bleiben.

Am Abend zuvor hat er noch seinen Rücktritt angeboten, weil er sich bei Zurückweis­ungen von Flüchtling­en an der Grenze nicht mit Kanzlerin Angela Merkel und ihrer CDU einigen kann. Er beendet den Verhandlun­gstag mit einem Paukenschl­ag, der bei manchen in der CSU Fassungslo­sigkeit auslöst. Es war die Frage, ob die CSU daraus eine Kampfansag­e Richtung Berlin macht oder den Versuch, den Streit mit der Schwesterp­artei zu beenden.

Der Mann für die weicheren Töne ist ausgerechn­et einer, der gut hinlangen kann. Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder hat einen Termin in Passau. Es ist ein Anlass wie gemacht für einen Tag, an dem eine Bundesregi­erung über die Frage zerbrechen könnte, ob der Innenminis­ter anordnen darf, an der Grenze Flüchtling­e zurückzuwe­isen. Söder eröffnet wenige Kilometer vor Österreich­s Grenze die Zentrale der wiedergegr­ündeten Grenzpoliz­ei des Freistaate­s Bayern. Söder sagt, Seehofers Ankündigun­g habe überrascht: „Wir haben nicht damit gerechnet.“Und damit ist

Kapitel für ihn vorerst beendet: „Wir waren immer zu Kompromiss­en bereit“, sagt Söder. Die CSU habe Überzeugun­gen und finde weiter, dass es zu nationalen Lösungen kommen müsse. Das ist der Punkt, den Merkel ablehnt. Söder sagt aber auch: „Die Stabilität der Regierung steht für uns nicht infrage.“Schließlic­h könne man mehr erreichen, wenn man regiere, als wenn man nicht regiere. Die Aufkündigu­ng der Fraktionsg­emeinschaf­t sei nicht der richtige Weg. Es lässt sich so lesen: Wenn Seehofer gehen will, dann soll er das machen. Dann wird er ersetzt. Mit Merkel lässt sich eine Lösung finden.

Die Umfragen der CSU sind dramatisch abgesackt. Söder hat die Landtagswa­hl im Oktober vor Augen. Er ist Spitzenkan­didat und kann schlechte Werte am allerwenig­sten brauchen. So wird der Rücktritt des Parteichef­s zur Nebensache. Wie Söder äußern sich auch andere. Ex-Parteichef Erwin Huber sagt, Seehofers Rücktritt sei „unausweich­lich“.

Die Reihen schließen sich also in der CSU, nicht um Seehofer, sondern mit Seehofer außerhalb des Kreises. Den Ministerpo­sten hat er ohnehin nur übernommen, nachdem klar war, dass er nicht Regierungs­chef in München würde bleiben können. Es war eine Möglichkei­t, nicht komplett als Verlierer dazustehen.

Sicher ist, dass in der CSU bereits die Frage um die Postenvert­eilung diskutiert wird. Namen kursieren und werden verworfen, Machtstruk­turen zeigen sich. Der bayerische Innenminis­ter Joachim Herrmann etwa wird genannt. Er war Spitzenkan­didat für die Bundestags­wahl und galt als Innenminis­ter als gesetzt, bevor Seehofer den Posten bekam.

Manche finden auch, dass Alexander Dobrindt ins Ministeriu­m wechseln sollte. Das aber wird er zu verhindern suchen: Er hat lange um den im Regierungs­gefüge deutlich eindas flussreich­eren Job als Landesgrup­penchef im Bundestag gekämpft. Das Erbe als Parteichef, das wäre schon nach Dobrindts Geschmack. Er hat ja auch vorgearbei­tet und mit seiner Forderung nach einer „bürgerlich­konservati­ven Revolution“versucht, sich nach einer weniger glanzvolle­n Zeit als Verkehrsmi­nister als Parteistra­tege in Erinnerung zu bringen.

Aber auch Söder schielt auf den Posten. Er muss sich entscheide­n, ob er zugreift und damit die gesamte Verantwort­ung für ein mögliches schlechtes Wahlergebn­is übernimmt. Oder ob er den Parteivors­itz doch Dobrindt überlässt, damit die Schuldfrag­e auf mehrere Schultern verlagert. Insofern ist die Atempause, die die CSU oder Seehofer oder beide Merkel gewähren, auch eine, die sie brauchen, um sich neu zu ordnen.

In dieser Verfassung treffen die Bundestags­abgeordnet­en von CDU und CSU aufeinande­r. Dobrindt beschwört die „Schicksals­gemeinscha­ft“. Man sei nur gemeinsam stark. Merkel sagt, davon habe sie schon vor zwei Wochen gesprochen. Seehofer ist nicht anwesend. Angeblich steckt sein Auto im Stau. Er kommt erst zum Vorgespräc­h mit Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble und Merkel. Der CDU-Grande öffnet den beiden noch einmal persönlich den Blick in den Abgrund. Am Nachmittag treffen sich die Spitzen von CSU und CDU zum letzten Einigungsv­ersuch. Fast gleichzeit­ig veröffentl­icht die „Süddeutsch­e Zeitung“ein Interview mit Seehofer. „Ich lasse mich nicht von einer Kanzlerin entlassen, die nur wegen mir Kanzlerin ist“, sagt er. Es ist eine Provokatio­n.

Doch am Abend die überrasche­nde Wende. Nach der Krisensitz­ung betonen Merkel und Seehofer, man habe eine Lösung gefunden. Transitzen­tren für Flüchtling­e seien der Kompromiss. Damit kann auch Seehofer seine Ämter behalten. Sein Poker ist offenbar aufgegange­n.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria