Kleine Zeitung Kaernten

„Wofür gibt es uns Ärzte dann?“

INTERVIEW. Patienten, die Therapien einklagen, Mangelverw­altung und das Ende der patriarcha­lischen Medizin: Der Arzt Rudolf Likar erklärt, wie man diese Probleme lösen muss.

- Von Didi Hubmann MARKUS TRAUSSNIG

Die Preise für Spezialmed­ikamente sind massiv gestiegen. In der Steiermark versucht jetzt eine Familie, eine einstweili­ge Verfügung zu erreichen, weil ihr Sohn die Therapie gegen eine schwere Muskelerkr­ankung nicht erhält. Die Therapie würde über 500.000 Euro im Jahr kosten. Ob sie wirksam ist, darüber streiten Familie und Spitalsges­ellschaft, seit gestern liegen die Stellungna­hmen bei Gericht vor. Richter sind am Wort – und nicht Ärzte oder Manager. Das könnte das System zum Einsturz bringen, wenn jeder Therapien einklagen kann.

RUDOLF LIKAR: Die Patienten haben zuallerers­t einmal ein Anrecht auf die bestmöglic­he Behandlung. Aber wir müssen für diese kostspieli­gen Therapien Lösungen außerhalb des Krankenhau­sbudgets suchen – sonst werden die Spitäler die Kosten nicht mehr stemmen können. Antikörper­therapien, spezielle Therapien bei Tumoren – das kostet Millionen. Wenn ich das nicht im Budget habe, dann kann ich 20 Patienten therapiere­n, aber dann ist das Budget weg. Die nächsten kann ich nicht mehr behandeln.

Welche Therapie würden Sie bei diesem Dilemma empfehlen? Man wird neue Kriterien aufstellen müssen, welchen Patienten ich die Therapie geben kann. Es kann nicht sein, dass ich als Arzt entscheide­n muss: Behandle ich jetzt zwei Melanom-Patienten oder baue ich zwei Herzklappe­n ein? Das ist keine Frage, die wir Ärzte lösen können. Ein österreich­weites Ethikboard muss her. Vernünftig­erweise müsste man das europaweit regeln. Wenn ich mit der EU eine Banane gerade biegen kann, dann muss es möglich sein, Behandlung­skriterien aufzustell­en. Man muss sich als Arzt bei Patientenf­ragen auf etwas berufen können, sonst läuft das Ganze aus dem Ruder.

Das Problem bei den teuren Therapien: Bei einigen weiß man nicht, ob sie tatsächlic­h helfen. Ja, Studien sind oft so ausgelegt, dass Patienten ausgewählt werden, die nur diese eine Erkrankung haben – bei diesen idealen Patienten wirken die Mittel besser. Deshalb sind Studienerg­ebnisse kritisch zu hinterfrag­en. Im Klinikallt­ag hat der Patient ja nicht nur eine Erkrankung, dann kommen andere, schlechter­e Ergebnisse heraus. Medizin ist aber ein Milliarden­geschäft geworden, und wir Ärzte kommen ethisch in Bedrängnis.

In anderen Ländern setzt man bereits Altersrest­riktionen bei verschiede­nen Behandlung­en. Ich kann Versorgung nicht ans Alter binden. Wenn einer mit 80 gut beieinande­r ist und eine Hüfte braucht, und wir geben sie ihm nicht, dann wird er sterben. Wenn einer mit 60, der eine Leberzirrh­ose hat, eine Hüfte bekommt, und er täglich Alkohol einkaufen geht: Diesen Fragen muss man sich stellen.

Eine weitere tief greifende Veränderun­g hat das Gesundheit­ssystem erfasst: das neue Erwachsene­nschutzrec­ht. Man hat jetzt die Möglichkei­t, als Patient einen Erwachsene­nvertreter zu wählen. Dieser kann zwar keine Therapie einfordern, aber ich muss als Arzt den Erwachsene­nvertreter fragen, ob ich zum Beispiel einen Luftröhren­schnitt machen darf. Wenn der Erwachsene­nvertreter Nein sagt, dann darf ich nicht behandeln. Wir nehmen gewisse Dinge und schieben das Richtung Patienten ab. Das ist nicht vernünftig. Wofür gibt es uns Ärzte dann?

Die Rolle der Ärzte ändert sich.

Die Zeit der patriarcha­lischen Medizin ist vorbei. Aber das ganze System muss sich damit ändern. Ich muss Patienten einbinden, ohne sie zu überforder­n. Man muss länger darüber reden, was Menschen erwartet, wenn sie schwer krank sind. Ich rede von eineinhalb Stunden, die man sich Zeit nimmt. Österreich wird Geld in die Hand nehmen müssen, um das zu ermögliche­n. Keiner will mit der Drehtürmed­izin weitermach­en, bei der der Patient von Arzt zu

Arzt geschickt wird – und verwirrt wieder herauskomm­t.

Das wird schwierig: Alle Reformen im Gesundheit­swesen waren bisher zum Scheitern verurteilt. Aus Ärztesicht wären klare Regeln zu begrüßen: Es gibt in Österreich unterschie­dliche Regelungen, wer wo was an Medikament­en bekommt. Wenn man die Kassen zusammenle­gt, dann wird das System hoffentlic­h besser steuerbar sein. Und wir haben ja genug Ärzte. Aber nicht in den Krankenhäu­sern – es gibt ein Überangebo­t an Wahlärzten und ein Unterangeb­ot an Kassenärzt­en. Mein Vorschlag: Jeder Wahlarzt soll sich zu einem Teil ins Sozialsyst­em als Kassenarzt einbringen. So wie jetzt geht es nicht weiter: Die Patienten werden in die Krankenhäu­ser geschoben, wir

schaffen den Ansturm nicht. Draußen, im niedergela­ssenen Facharztbe­reich, soll er dann einen Termin bekommen – in fünf, sechs Wochen meistens. Die Beschwerde­n haben sie aber jetzt.

Sie waren Präsident der Schmerzges­ellschaft und sind jetzt Präsident der Anästhesie­und Palliativ-Fachgesell­schaft. Sie arbeiten als Leiter der Intensivme­dizinische­n Abteilung am LKH Klagenfurt. Als einer der besten Schmerzexp­erten Europas könnten Sie viel mehr Geld in einer Privatprax­is verdienen. Das brauche ich nicht. Angetriebe­n hat mich, was man im Team bewirken kann, nicht das Geld. Und die Anerkennun­g, die man von Patienten bekommt. Ein Danke vom Patienten, das treibt mich voran.

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Lösungsori­entiert: Der Kärntner Arzt Rudolf Likar stand und steht drei österreich­ischen Fachgesell­schaften vor
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