„Wofür gibt es uns Ärzte dann?“
INTERVIEW. Patienten, die Therapien einklagen, Mangelverwaltung und das Ende der patriarchalischen Medizin: Der Arzt Rudolf Likar erklärt, wie man diese Probleme lösen muss.
Die Preise für Spezialmedikamente sind massiv gestiegen. In der Steiermark versucht jetzt eine Familie, eine einstweilige Verfügung zu erreichen, weil ihr Sohn die Therapie gegen eine schwere Muskelerkrankung nicht erhält. Die Therapie würde über 500.000 Euro im Jahr kosten. Ob sie wirksam ist, darüber streiten Familie und Spitalsgesellschaft, seit gestern liegen die Stellungnahmen bei Gericht vor. Richter sind am Wort – und nicht Ärzte oder Manager. Das könnte das System zum Einsturz bringen, wenn jeder Therapien einklagen kann.
RUDOLF LIKAR: Die Patienten haben zuallererst einmal ein Anrecht auf die bestmögliche Behandlung. Aber wir müssen für diese kostspieligen Therapien Lösungen außerhalb des Krankenhausbudgets suchen – sonst werden die Spitäler die Kosten nicht mehr stemmen können. Antikörpertherapien, spezielle Therapien bei Tumoren – das kostet Millionen. Wenn ich das nicht im Budget habe, dann kann ich 20 Patienten therapieren, aber dann ist das Budget weg. Die nächsten kann ich nicht mehr behandeln.
Welche Therapie würden Sie bei diesem Dilemma empfehlen? Man wird neue Kriterien aufstellen müssen, welchen Patienten ich die Therapie geben kann. Es kann nicht sein, dass ich als Arzt entscheiden muss: Behandle ich jetzt zwei Melanom-Patienten oder baue ich zwei Herzklappen ein? Das ist keine Frage, die wir Ärzte lösen können. Ein österreichweites Ethikboard muss her. Vernünftigerweise müsste man das europaweit regeln. Wenn ich mit der EU eine Banane gerade biegen kann, dann muss es möglich sein, Behandlungskriterien aufzustellen. Man muss sich als Arzt bei Patientenfragen auf etwas berufen können, sonst läuft das Ganze aus dem Ruder.
Das Problem bei den teuren Therapien: Bei einigen weiß man nicht, ob sie tatsächlich helfen. Ja, Studien sind oft so ausgelegt, dass Patienten ausgewählt werden, die nur diese eine Erkrankung haben – bei diesen idealen Patienten wirken die Mittel besser. Deshalb sind Studienergebnisse kritisch zu hinterfragen. Im Klinikalltag hat der Patient ja nicht nur eine Erkrankung, dann kommen andere, schlechtere Ergebnisse heraus. Medizin ist aber ein Milliardengeschäft geworden, und wir Ärzte kommen ethisch in Bedrängnis.
In anderen Ländern setzt man bereits Altersrestriktionen bei verschiedenen Behandlungen. Ich kann Versorgung nicht ans Alter binden. Wenn einer mit 80 gut beieinander ist und eine Hüfte braucht, und wir geben sie ihm nicht, dann wird er sterben. Wenn einer mit 60, der eine Leberzirrhose hat, eine Hüfte bekommt, und er täglich Alkohol einkaufen geht: Diesen Fragen muss man sich stellen.
Eine weitere tief greifende Veränderung hat das Gesundheitssystem erfasst: das neue Erwachsenenschutzrecht. Man hat jetzt die Möglichkeit, als Patient einen Erwachsenenvertreter zu wählen. Dieser kann zwar keine Therapie einfordern, aber ich muss als Arzt den Erwachsenenvertreter fragen, ob ich zum Beispiel einen Luftröhrenschnitt machen darf. Wenn der Erwachsenenvertreter Nein sagt, dann darf ich nicht behandeln. Wir nehmen gewisse Dinge und schieben das Richtung Patienten ab. Das ist nicht vernünftig. Wofür gibt es uns Ärzte dann?
Die Rolle der Ärzte ändert sich.
Die Zeit der patriarchalischen Medizin ist vorbei. Aber das ganze System muss sich damit ändern. Ich muss Patienten einbinden, ohne sie zu überfordern. Man muss länger darüber reden, was Menschen erwartet, wenn sie schwer krank sind. Ich rede von eineinhalb Stunden, die man sich Zeit nimmt. Österreich wird Geld in die Hand nehmen müssen, um das zu ermöglichen. Keiner will mit der Drehtürmedizin weitermachen, bei der der Patient von Arzt zu
Arzt geschickt wird – und verwirrt wieder herauskommt.
Das wird schwierig: Alle Reformen im Gesundheitswesen waren bisher zum Scheitern verurteilt. Aus Ärztesicht wären klare Regeln zu begrüßen: Es gibt in Österreich unterschiedliche Regelungen, wer wo was an Medikamenten bekommt. Wenn man die Kassen zusammenlegt, dann wird das System hoffentlich besser steuerbar sein. Und wir haben ja genug Ärzte. Aber nicht in den Krankenhäusern – es gibt ein Überangebot an Wahlärzten und ein Unterangebot an Kassenärzten. Mein Vorschlag: Jeder Wahlarzt soll sich zu einem Teil ins Sozialsystem als Kassenarzt einbringen. So wie jetzt geht es nicht weiter: Die Patienten werden in die Krankenhäuser geschoben, wir
schaffen den Ansturm nicht. Draußen, im niedergelassenen Facharztbereich, soll er dann einen Termin bekommen – in fünf, sechs Wochen meistens. Die Beschwerden haben sie aber jetzt.
Sie waren Präsident der Schmerzgesellschaft und sind jetzt Präsident der Anästhesieund Palliativ-Fachgesellschaft. Sie arbeiten als Leiter der Intensivmedizinischen Abteilung am LKH Klagenfurt. Als einer der besten Schmerzexperten Europas könnten Sie viel mehr Geld in einer Privatpraxis verdienen. Das brauche ich nicht. Angetrieben hat mich, was man im Team bewirken kann, nicht das Geld. Und die Anerkennung, die man von Patienten bekommt. Ein Danke vom Patienten, das treibt mich voran.