Gerettet, aber nicht geborgen
Das lange Bangen im Höhlengefängnis: Die Evakuierung der in thailändischer Höhle eingeschlossenen Kinder kann Monate dauern. Zuvor sollen sie tauchen lernen.
Hey ihr, danke, danke!“Das waren die ersten Worte, mit denen die britischen Taucher John Volanthen und Richard Stanton begrüßt wurden – von schon tot gemeinten Teenagern, die seit zehn Tagen in der überfluteten Tham-Luang-Höhle nahe Chiang Rai in Nordthailand vermisst waren.
Nicht, dass die Kinder völlig am Ende sind, als ihre Retter plötzlich mit Taschenlampen aus dem schwarzen Wasser auftauchen. Sie seien „hungrig, hungrig!“, rufen die Buben. Betäubt von den ersten Lichtstrahlen seit zehn Tagen fragen sie desorientiert, wie lange sie schon in der Höhle seien. Doch keine Spur von Panik. Einer der Gruppe fragt die Retter: „Where you come from?“– woher seid ihr? Den beiden Briten ist klar: Die Kinder sind zwar abgemagert, aber auch zäh und haben in der ausweglosen Situation das einzig Richtige gemacht. „Ihr seid sehr, sehr stark“, ruft ihnen Volanthen zu, der die dramatischen Szenen auf Video fest- hielt. Die Kinder hielten zusammen, um sich gegenseitig zu stärken. Angehörige, die seit zehn Tagen vor der Höhle campierten und auf ein Wunder hofften, hörten erst die Freudenschreie von Helfern. Eltern, Brüder und Schwestern brachen unter Freudentränen zusammen. „Ich möchte mein Kind umarmen“, sagte Adisak Wongsukjan, dessen 14-jähriger Sohn Ekarat in der Höhle gefangen ist. Doch das härteste Stück steht erst bevor: Wie die Freunde vom Fußballklub „Wildschwein“im Alter von 11 bis 16 Jahren und ihren 25-jährigen Coach aus der Höhle bringen?
Volanthen und Stanton, die auf Bitte Thailands anreisten, zählen zu den Besten der Welt. Am späten Montagabend Ortszeit der Durchbruch: Die Extremtaucher hatten es nach einem sechsstündigen Alleingang geschafft, die Vermissten zu orten. Dazu hatten erst engste Passagen ausgemeißelt gehört, uner- fahrene Taucher wären wohl in klaustrophobische Panik verfallen, wenn sie durch brauntrübe Passagen zu tauchen hätten.
Die eingeschlossene Gruppe hatte nicht wie erwartet in der Pattaya-Beach-Höhlenkammer Zuflucht gefunden, musste sich vor den ansteigenden Wassermassen noch weitere 400 Meter in einen höher gelegenen Schacht retten. Entsprechend riskant wird die Evakuierung: Der Höhleneingang, wo schon 13 Krankenwagen bereitstehen, liegt rund drei Kilometer entfernt. Dazwischen liegen Gefahren, die auch Höhlenexperten an ihre Grenzen bringen.
Speziell ausgebildete Ärzte, die einen so schwierigen Tauchgang schaffen, versorgen die Kinder derzeit mit nährreichen Gels, Energiedrinks und Medikamenten, um sie zu stärken. Essen konnte noch nicht durch die zehn Kilometer lange Höhle gebracht werden. Rettungskräfte bemühen sich, eine Versorgungskette einzurichten und Kabel zu ziehen, damit die Kinder mit Familie und Freunden sprechen können. Es können Wochen, wenn nicht Monate verstreichen, bis sie das Tageslicht wiedersehen. Doch die Zeit drängt, die Regenzeit hat begonnen. Laut Thailands In- nenminister Anupong Paochinda gehören die Buben und ihr Coach, allesamt Nichtschwimmer, noch vor dem Anstieg des Flutwassers geborgen. Fraglich, ob die Pumpen genügend Wasser absaugen können, wenn die nächste Monsunfront kommt.
Die Kids könnten erst evakuiert werden, wenn es einen „total sicheren Weg“gebe, beharrt Narongsak Osottanakorn, Leiter der Rettungsarbeiten. Drei Optionen werden erwogen, alle drei gefährlich: Option eins ist, den Kindern die Grundregeln des Tauchens beizubringen. Sie wären auf sich selbst angewiesen, einer nach dem anderen, besonders durch einen schmalen Abschnitt, wo eine enge Begleitung durch Elitetaucher nicht möglich wäre. Und alles ohne Sicht. Option zwei: Ein Schacht wird entdeckt, der zur Kammer der Eingeschlossenen führt oder ausgebohrt werden kann. Dritte Option: Warten, bis die Regenzeit vorbei und Tham Luang wieder trocken ist.