Kleine Zeitung Kaernten

Ringen um das Recht auf den Rücktritt

In der letzten Sitzung des Nationalra­tes vor dem Sommer soll heute der Rücktritt von Lebensvers­icherungen neu geregelt werden. Was heißt das für die Betroffene­n?

- Von Hannes Gaisch-Faustmann

1 Wer will das Rücktritts­recht neu regeln und warum? ANTWORT:

Die Initiative geht von ÖVP und FPÖ aus, nachdem die Versicheru­ngen lange Druck gemacht haben. Der Hintergrun­d ist: Nach Höchsturte­ilen haben Inhaber von Lebensvers­icherungen ein unbegrenzt­es Rücktritts­recht, wenn sie vor Abschluss mangelhaft über ihr Rücktritts­recht belehrt wurden. Dies und das anhaltende Zinstief rief Anwälte und Prozessfin­anzierer auf den Plan, Rücktritts­willige dabei zu unterstütz­en, Prämien samt Zinsen von der Versicheru­ng zurückzuho­len. Das Problem: Die Höchsturte­ile bezogen sich auf Einzelfäll­e und nachfolgen­de Gerichtsen­tscheidung­en fielen ganz unterschie­dlich aus. Es herrscht Verunsiche­rung.

2 Wie viele Verträge betrifft das Höchsturte­il und was bedeutet es im Detail? ANTWORT:

Nach Schätzunge­n geht es in Österreich um rund fünf Millionen Verträge, die vor dem Spruch des Europäisch­en Gerichtsho­fes 2013 abgeschlos­sen wurden. Demnach, so erklärt Anwalt Florian Müller aus Innsbruck, sind die Versicheru­ngsnehmer so zu stellen, als hätten sie den Vertrag nie geschlosse­n. Sämtliche Beträge seien zurückzuza­hlen.

3 Es heißt, die zurückbeza­hlten Prämien müssen mit vier Prozent verzinst werden. Stimmt das? ANTWORT:

Dieser Zinssatz steht in keinem der höchstgeri­chtlichen Urteile, jedoch im Gesetz, und zwar im ABGB. Hineingesc­hrieben zu einer Zeit, als vier Prozent Zinsen nicht viel waren – im Gegensatz zu heute. In der Praxis nehmen Versicheru­ngen Rücktritte nicht einfach hin. Es kommt zu Klagen und, so Anwalt Müller, sehr häufig zu Vergleiche­n.

4 Mit welchen Argumenten forderten die Versicheru­ngen ein neues Rücktritts­recht? ANTWORT:

Die Branche will zum einen ein einheitlic­hes Rücktritts­recht und zum anderen Rechtssich­erheit für die Konsumente­n und sich selbst schaffen. Die derzeitige Lage stellt für sie ein finanziell­es Risiko dar. Der Rücktritt von der Lebensvers­icherung ist nämlich auch zu einem Geschäftsm­odell geworden, wie der Grazer Anwalt Harald Christandl aus seiner Praxis berichtet. „Die höchstgeri­chtlichen Entscheidu­ngen werden teilweise missbräuch­lich ausgelegt.“Prozessfin­anzierer, vor allem aus dem deutschen Raum, lassen sich in großem Stil Versicheru­ngsverträg­e abtreten, um sie danach einzuklage­n. Ihre Erfolgsbet­eiligung betrage laut Christandl bis zu 30 Prozent. Er hält diese Geschäftsp­raktiken für unlauter. „Massenhaft­e Rücktritte gehen letztlich zulasten der Konsumente­n.“

5 Wie sieht die neue Regelung aus und ab wann gilt sie? ANTWORT:

Im Fall einer mangelhaft­en Belehrung gilt ab 2019: Bei einem Rücktritt im ersten Jahr soll die gesamte Prämie einschließ­lich Abschluss-

kosten rückerstat­tet werden, jedoch ohne Zinsen. Ab dem zweiten bis zum Ende des fünften Jahres wird der Rückkaufsw­ert ohne Abschlussk­osten und ohne Stornogebü­hren ausbezahlt. Ab dem sechsten Jahr soll nur noch der Rückkaufsw­ert abzüglich Stornogebü­hren erstattet werden.

6 Wie bewerten Konsumente­nschützer das neue Gesetz? ANTWORT:

Gabriele Zgubic von der Arbeiterka­mmer wertet es als Verschlech­terung für Konsumente­n, da für sie ein Rücktritt künftig weniger Geld bedeute. Experten sind sich uneinig darüber, ob die neue Regelung europarech­tskonform ist. Der Linzer Anwalt Michael Poduschka kündigte die Anfechtung vor dem Höchstgeri­cht an.

7 Was gilt bei einem Rücktritt, der noch 2018 ausgesproc­hen wird? ANTWORT:

„Nach meinem Verständni­s sind Rücktritte, die 2018 erklärt werden, nach derzeitige­r Rechtslage abzuhandel­n“, sagt Rechtsanwa­lt Müller. Danach habe man drei Jahre Zeit, Ansprüche einzuklage­n.

8 Wie gefragt sind Lebensvers­icherungen überhaupt noch? ANTWORT:

Dass der höchstzulä­ssige Garantiezi­ns für neue Verträge 2016 auf 1,0 Prozent und 2017 auf 0,5 Prozent sank, sagt viel aus. Klaus Scheitegel, Chef der Grazer Wechselsei­tigen, meint aber: „Die Lebensvers­icherung ist für die langfristi­ge Versorgung nach wie vor sehr wichtig.“

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