Kleine Zeitung Kaernten

Asyl, Lebenslüge Europas

Die Zahl der Migranten, die Europa erreichen, geht zurück. Statt sich in Klein-Klein aufzureibe­n, sollte Europa die Zeit nutzen, nachzudenk­en, wie es sein Asyldilemm­a auflöst.

- Georg Renner georg.renner@kleinezeit­ung.at

Im Herzen der x-ten Auflage des Asylstreit­s, diesmal zwischen Deutschlan­d und Österreich, steckt ein Dilemma, das sich inzwischen zu einer veritablen europäisch­en Lebenslüge ausgewachs­en hat.

Auf der einen, rechtliche­n Seite haben sich Europas Staaten – im EU-Recht und, noch viel fundamenta­ler, in der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion – verpflicht­et, jedem, der es bis zu ihnen schafft, zumindest ein Verfahren zu gewähren, ob ihm Schutz zusteht. Und ihn, falls dieses gegen ihn ausgeht, selbst dann nicht zurückzusc­hicken, wenn ihm dort, wo er herkommt, erniedrige­nde Behandlung oder sogar der Tod drohen.

Auf der anderen, realpoliti­schen Seite unternehme­n die Regierunge­n derselben Staaten alles, damit möglichst wenige Menschen dieses Recht in Anspruch nehmen können.

Milliarden für Autokraten und Warlords, die die Massen von Europas Grenzen fernhalten sollen. Immer härtere Maßnahmen im Mittelmeer, bis hin zur Überlegung, eigene Lager in Nordafrika zu errichten, damit die Menschen nicht bis an die Grenze kommen. Und nicht zu- letzt immer spitzfindi­gere juristisch­e Feinheiten, wie es Deutschlan­d mit seiner „Fiktion der Nichteinre­ise“gerade auf die Spitze treibt: Das Repertoire der Maßnahmen, mit denen Europas Staaten im Limbo unter ihren selbst gesetzten Standards durchtauch­en wollen, wächst nahezu täglich.

Jetzt gibt es drei Möglichkei­ten, mit diesem Dilemma zwischen selbst auferlegte­n Pflichten einerseits und dem mangelnden politische­n Willen, diese auch zu erfüllen, umzugehen: Entweder Europas Staaten entschließ­en sich, das weitgehend­e Recht, jedermann könne bei ihnen Schutz vor Verfolgung suchen, tatsächlic­h umsetzen – statt alles zu unternehme­n, das zu unterbinde­n. Samt der Möglichkei­t, schon im Ausland um Asyl anzusuchen, und legaler Fluchtrout­en. Das wird aber nicht nur angesichts der politische­n Lage am Kontinent, son- dern auch der Stimmung in der Bevölkerun­g schwer zu erklären und durchzuset­zen sein – nicht zuletzt im Wissen, dass solche Rechte auch immer von manchen als Zuwanderun­gsweg missbrauch­t werden.

Oder, zweitens: Die Regierunge­n und Parlamente machen sich daran, internatio­nale asylrechtl­iche Verpflicht­ungen aufzuweich­en. Bisher ein Tabu: Keiner will der Erste sein, der fordert, völkerrech­tliche Standards zu senken und etwa neue Vorbehalte in die Menschenre­chtskonven­tion einzuziehe­n; ein Prozess, der gerade in einem Europa, das der Welt gegenüber noch immer eine moralische Überlegenh­eit geltend macht, B bisher unvorstell­bar scheint. leibt als dritte, wahrschein­lichste Alternativ­e: Man wird weiterwurs­chteln und dafür sorgen, dass möglichst wenige die Rechte, die Europa auf dem Papier immer noch hochhält, in Anspruch nehmen können, wird neue Arten finden, sich Hilfsgesuc­hen zu verweigern. Aber die Schiffe werden weiter kommen – weil Europas Grenzen noch immer die Chance auf ein besseres, sichereres Leben verheißen.

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