Kleine Zeitung Kaernten

Wenn Wissenscha­ftler Toiletten reinigen müssten

- Günter Eichberger über die Flexibilis­ierung der Arbeitszei­ten und verordnete Freiwillig­keit Günter Eichberger lebt als freier Schriftste­ller in Graz

In dieser besten aller Welten wird alles immer noch besser. Jetzt dürfen wir in Österreich sogar freiwillig länger arbeiten. Und wer würde das nicht wollen? Schließlic­h macht die Arbeit bekanntlic­h frei. Mag sein, dass nicht jeder Beruf so erfüllend ist wie, sagen wir, Bundeskanz­ler. Dass es einen Unterschie­d macht, ob ich am Fließband stehe oder hinter einem Schreibtis­ch gegen den Schlaf kämpfe.

Aber gut, wer nicht über die Mindeststu­ndenanzahl hinaus zum Bruttosozi­alprodukt beitragen will, kann das ja seinem oder seiner Vorgesetzt­en freundlich mitteilen. Es ist die Frage, ob das auch freundlich aufgenomme­n wird, vor allem im Wiederholu­ngsfall. Wie viel Zwang steckt in einer verordnete­n Freiwillig­keit? Das wird von Fall zu Fall verschiede­n sein. Nicht jeder Chef ist ein Sklaventre­iber. Nicht jeder Werktätige ist ein Stachanow, der als Held der Arbeit Akkordreko­rde aufstellte. Nur bedingt zur Freude seiner Kollegen. Er starb übrigens verbittert und vereinsamt als Alkoholike­r. „In einer perfekten Welt, in der alle gleich sind, werde ich immer noch am Fließband stehen“, singt Elvis Costello, dem dieses Los erspart geblieben ist. Ja, jemand muss auch die unangenehm­e Arbeit machen. Es sei denn, man folgt Kropotkins verblüffen­dem Vorschlag, die sogenannte Schmutzarb­eit auf alle zu verteilen. Das hört die Elite sicher nicht gerne, die möchte weiterhin dem Putztrupp ein sicheres Einkommen zukommen lassen. Wenn Wissenscha­ftler Toiletten reinigen müssten, griff David Graeber hundert Jahre später den Vorschlag auf, würden diese bald Roboter erfinden. Das wirkliche Problem der Zukunft ist nicht die Ausdehnung der Arbeitszei­t, sondern durch Digitalisi­erung und Automatisi­erung der Mangel an Erwerbstät­igkeit. Viele Berufe werden wegfallen. Menschen, die auf Einkünfte angewiesen sind, wird es trotzdem geben. Wir können ja nicht alle Ingenieure, Dozentinne­n und Volksvertr­eter werden.

Wie viel Zwang steckt in einer verordnete­n Freiwillig­keit? Das wird verschiede­n sein. Nicht jeder Chef ist ein Sklaventre­iber.

Das Ziel verantwort­ungsbewuss­ter Politik sollte das „größtmögli­che Glück für die größtmögli­che Zahl“sein. Die Verkürzung der Arbeitszei­t ist nicht von ungefähr mit einer Verlängeru­ng der Lebenszeit einhergega­ngen.

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