Was Murad von Lukas lernen soll
Daniel Landau, Lehrer, Gastwirt und Grüner, diskutiert mit dem Mathematiker und ÖVP-Bildungssprecher Rudolf Taschner über die umstrittenen Deutschklassen für Kinder, die der Sprache noch nicht mächtig sind.
Herr Professor Taschner, was spricht Ihrer Ansicht nach für separate Deutschklassen vor Schuleintritt für jene Kinder, die nur schlecht Deutsch können?
RUDOLF TASCHNER: Das Gesetz sieht die Trennung ab acht Kindern vor, die dem Regelunterricht nicht folgen können. Ich habe im Mathspace, wo ich Mathematikunterricht gab, erlebt, was passiert, wenn man das nicht tut. Die Kinder, die den Vorträgen folgen konnten, haben gesagt: „Die lassts weg, die verstehen eh nichts.“Da ist eine Separierung in der Klasse passiert, die wirklich schrecklich ist. Die waren wirklich ausgestoßen.
Die Besseren haben den Schwächeren nicht geholfen?
TASCHNER: Überhaupt nicht. Und wenn sie noch viel mehr werden, kann es passieren, dass der Lukas vom Murad Türkisch lernt, statt dass der Murad vom Lukas Deutsch lernt.
DANIEL LANDAU: Das wäre ein Mehrwert, wenn beide voneinander die Sprache lernen würden.
TASCHNER: Das macht der Murad leider nicht. Der ist nämlich stolz auf seine Herkunft, der wir sind die Besseren.
LANDAU: Ich glaub, stolz ist der Lukas auch, er wird ja auch entsprechend politisch aufgebaut. Es ist auch o. k., wenn man auf seine Herkunft stolz ist. Auch wird von niemandem bestritten, dass die momentanen Ergebnisse, wie Kinder Deutsch lernen, sehr schlecht sind. Übrigens auch bei Kindern, die in Österreich geboren sind. Die Sprachverarmung nimmt zu. Das wird ja auch von eurer Seite thematisiert, muss man fairerweise sagen.
Was spricht dann gegen einen Versuch mit separaten Deutschklassen?
LANDAU: Ein Grund für die breite Ablehnung des Entwurfs war, dass die Schulautonomie in dem Bereich gegen null gefahren werden soll. Alles gleich vom Bodensee bis nach WienFavoriten? Keine gute Idee. Jetzt gibt’s erste Anzeichen, dass es im Bildungsministerium verstanden wird, dass wir autonome Ansätze brauchen.
TASCHNER: Autonomie haben wir in Wien erlebt und – um es liebevoll zu sagen – es ist suboptimal gelungen.
LANDAU: Weil zu wenige Mittel da waren und sind.
TASCHNER: Es gibt schon Mittel, aber sie werden falsch eingesetzt. Es gibt Lehrer, die keine Klasse von innen sehen.
Was machen die?
LANDAU: Das kritisiere ich schon lange. Teilweise werden diese Lehrer noch nicht einmal im Nahbereich von Schule eingesetzt. Das gibt es nicht nur in Wien, sondern auch außerhalb, leider wurde das noch nicht genau erhoben. Und noch ein Punkt gegen das Regierungsvorhaben: Es ist ein Sparprogramm. Der Integrationstopf ist gestrichen worden. Man hat gekürzt, obwohl schon vorher zu wenig da war.
Die separaten Deutschklassen sollen schon im Herbst beginnen, Deutschtests gibt es aber erst ab Herbst 2019. Warum überhaupt Tests?
TASCHNER: Wir testen, weil Mittel damit verbunden sind. Es zeigt sich schon jetzt, so viele Deutschklassen wird es gar nicht geben wie ursprünglich angenommen. Deshalb besteht jetzt die Möglichkeit, die Mittel so zu verwenden, dass diese Deutschförderklassen nicht mit 25 Schülern gemacht werden müssen, sondern höchstwahrsagt, scheinlich in kleineren Klassen möglich sind.
Sind die Zahlen der Kinder, die den Unterricht brauchen würden, vorher aufgebauscht worden?
TASCHNER: Ehrlichkeit in Schulpolitik ist eine Sache für sich, weil es um Geld geht.
LANDAU: Die Zahlen sind schlicht noch nicht vollständig da.
TASCHNER: Von Wien wissen wir es noch nicht genau. Der Minister will jedenfalls Ordnung schaffen und da kommen die Leute und klagen, ihr nehmt uns die Autonomie weg. Wir sind daran interessiert, dass die Kinder möglichst schnell Deutsch lernen. Wir wissen, dass sie in die Neue Mittelschule kommen und noch immer nicht der Sprache mächtig sind. Das geht wirklich nicht.
LANDAU: Warum halbiert ihr dann in den zweiten, dritten, vierten Klassen Volksschule und in den NeuenMittelschulen die tatsächliche Zahl der Unterstützungsstunden fast von elf auf sechs?
TASCHNER: Dafür gibt es in der ersten Klasse die Unterstützung in den Deutschfördergruppen, dann können sie die Sprache so gut, dass sie die Um-
gangssprache verstehen.
LANDAU: Das ist so nicht möglich.
TASCHNER: Das ist möglich.
Das wird man in vier Jahren sehen. Warum aber sind alle Lehrervertretungen so dagegen?
LANDAU: Weil sie wissen, wie auch alle Experten, Kinder lernen Deutsch nicht, indem sie in einer Klasse sitzen und Grammatik und Vokabeln lernen. Kinder lernen am meisten voneinander, integrativ, sagen die, die sich auskennen. Ich fand es wirklich bedenklich, als von der ÖVP und der FPÖ der Vorwurf kam, die Gegner argumentierten nur ideologisch. Ich frage mich, welche Ideologie hat denn die schwarze Lehrergewerkschaft? Und der schwarze Landesschulrat?
TASCHNER: Soviel ich weiß, sind sie dafür, die Kinder in Deutschförderklasse für einen Crashkurs zu geben. Sie haben nur gesagt, wir wissen noch nicht, wie die Organisation funktionieren soll. Und sie sind nicht begeistert, dass 25 Kinder in einem Kurs sein könnten, was aber jetzt, wegen der geringen Zahlen, ohnedies nicht der Fall sein wird.
LANDAU: Warum sind die ÖVP- dagegen?
TASCHNER: Den Lehrervertretern kann ich nur sagen: Ihr wisst genau, dass die gesamte Bevölkerung einsieht, dass ein Crashkurs eine sinnvolle Maßnahme ist, damit die Kinder die Sprache lernen. Ihr werdet doch die Möglichkeit finden, das ordentlich durchzuführen. Versteckt euch nicht hinter irgendwelchen Floskeln – so wie die Sache jetzt ist, ist sie ja schlecht.
Welche Motivation vermuten Sie dahinter?
TASCHNER: Das weiß ich nicht, ich kann mich in ein gewerkschaftliches Denken nicht so gut hineinversetzen.
LANDAU: Und Tirol und Vorarlberg?
TASCHNER: Vorarlberg ist ein Land für sich, das hat die Gesamtschule eingeführt, nur um daraus ein bisschen Geld zu lukrieren. Ich glaube, es sind manchmal Motive, die nicht ganz mit den hehren pädagogischen Zielen einhergehen, die da vorgeschoben werden.
LANDAU: Sie werden von mir nie hören, Sie haben eine verdeckte Agenda und sind nur ideologisch motiviert. Und ich würde alle ersuchen, in Gesprächen mehr auf dieser E bene zu bleiben, Kritikpunkten mit sachlichen Argumenten zu begegnen.
Was spricht eigentlich gegen einen Crashkurs?
LANDAU: Überhaupt nichts, nur ist es ein Sparprogramm geworden, weil es nur noch einen Bruchteil der Schüler erfasst. Zusätzlich ist die geplante nahezu dauernde Trennung für den Spracherwerb kontraproduktiv. Gerade Kinder mit sechs Jahren lernen besser voneinander und in vertrauter Gemeinschaft. Deswegen sprachen sich auch bei den Stellungnahmen zum Gesetzesvorschlag nahezu alle einmütig gegen diese Form aus.
TASCHNER: Dass die Kinder segregiert werden, stimmt nicht. Die Kinder werden in anderen Stunden in den Regelklassen dabei sein. Die Klassengemeinschaft gibt es also. Es wird den Kindern hoffentlich nicht schaden, dass sie manchmal da, manchmal dort sind. Sie werden bei Turnen, bei bildnerischer Erziehung dabei sein, in Musik. Es stimmt auch nicht, dass sie den Lehrstoff verlieren. Sie lernen ja nicht abstrakt Vokabeln, sondern fachlich die ersten Wörter, die dabei vorLehrervertreter kommen. Nach einem halben Jahr kommen sie meistens schon in den Regelunterricht. Sollen die Linguisten kommen und sagen, das ist ein Wahnsinn. Die Praxis wird uns zeigen, es wird ganz gut laufen.
Gibt es vonseiten der Regierung Hilfe, sollte die Umsetzung in der kurzen Zeit nicht klappen?
TASCHNER: Wir schauen uns von Schule zu Schule an, wo der Schuh drückt, das ist versprochen. Eine Schule, die Schwierigkeiten hat, soll sich bei der Bildungsdirektion melden und die wendet sich ans Ministerium. Das ist garantiert. Das Ministerium ist ja interessiert daran, dass es gut geht. Wir haben ja das Gesetz nicht gemacht, damit Chaos entsteht.
LANDAU: Es nimmt aber Kollateralschäden in Kauf.
TASCHNER: Wir wollen auch keinen Kollateralschaden. Wir wollen den Kindern nur die Möglichkeit geben, möglichst rasch dem Regelunterricht zu folgen, das ist das A und O. Aber ein bisschen muss man doch eingestehen, dass es vorher nicht geklappt hat.
LANDAU: Eingestanden, der Zustand ist nicht zufriedenstellend.